Büro Brüssel

Ausgabe 03/2006                                                                                                                16.02.2006

 

Themen in dieser Ausgabe:

 

Zivilrecht

-       Geänderter Kommissionsvorschlag für ein Europäisches Mahnverfahren

-       Ausschließliche Zuständigkeit der EG für den Abschluss des neuen Lugano-Übereinkommens

Wirtschaftsrecht

-        EuGH erweitert den Herstellerbegriff

 

Freizügigkeit

-        Dienstleistungsrichtlinie – 1. Lesung

 

Sonstiges

-        Bundesrat fordert Beteiligung an der Richterauswahl für EuGH und EGMR

-        EuGH - Weniger und kürzere Prozesse in 2005

 


 

Zivilrecht

 

Geänderter Kommissionsvorschlag für ein Europäisches Mahnverfahren

Die Kommission hat am 7. Februar 2006 einen geänderten Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens vorlegt. Mit der Verordnung soll ein Verfahren geschaffen werden, mit Hilfe dessen schnell und wirksam über bezifferte und fällige Geldforderungen entschieden werden kann. Der geänderte Vorschlag ist die Reaktion auf die im Dezember 2005 vom Europäischen Parlament angenommenen Änderungen, die der Ratsposition entsprechen. Im geänderten Vorschlag übernimmt die Kommission die Mehrzahl der Änderungen. Dies betrifft auch den umstrittenen Punkt des Anwendungsbereichs: Erfreulicherweise sieht nunmehr auch die Kommission eine Beschränkung auf grenzüberschreitende Sachverhalte vor. Außerdem wird die Verfahrensausgestaltung modifiziert. Entgegen des ersten Kommissionsvorschlags ist nun ein einstufiges Verfahren vorgesehen. Der zunächst vorgeschlagene Zwischenschritt, der Erlass einer sog. „Europäischen Zahlungsaufforderung“ bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen und Anwendbarkeit des Verfahrens, entfällt und stattdessen ist der sofortige Erlass des sog. „Europäischen Zahlungsbefehls“ vorgesehen. Unverändert bleibt die Regelung, dass ein fristgerecht gegen den Zahlungsbefehl eingelegter Widerspruch zur Überleitung in einen ordentlichen Zivilprozess führt. Neu ist auch die Abschaffung des Exequatur-Verfahrens: Der mangels Widerspruchs für im Ursprungsland vollstreckbar erklärte Zahlungsbefehl soll in den übrigen Mitgliedstaaten ohne einen weiteren Zwischenschritt anerkannt werden und vollstreckbar sein. Mit der Verabschiedung der Verordnung ist in der ersten Jahreshälfte 2006 zu rechnen.

Über das Europäische Mahnverfahren berichteten wir in den Ausgaben 1, 9, 20, 21 aus 2003, Ausgaben 5, 7, 18 aus 2004 sowie 8, 11, 16, 19 und 23 aus 2005 der Nachrichten aus Brüssel.

 

Ausschließliche Zuständigkeit der EG für den Abschluss des neuen Lugano-Übereinkommens

In seinem Gutachten vom 7. Februar 2006 stellt der EuGH fest, dass die EG eine ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss des neuen Übereinkommens von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen hat.

Hintergrund ist, dass durch die Verordnung (EG) Nr.44/2001 das zwischen allen EG-Mitgliedstaaten geltende Brüsseler Übereinkommen ersetzt wurde. Inhalt der Bestimmungen ist die Regelung von Kompetenzkonflikten zwischen den nationalen Gerichten und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Das Brüsseler Übereinkommen wurde durch das Lugano-Übereinkommen auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelszone (EFTA: Norwegen, Island, Schweiz und Liechtenstein) ausgeweitet. Um die Zuständigkeit für die Anpassung der inhaltlichen Bestimmungen an die Verordnung zu klären, hat der Rat den EuGH um ein Gutachten ersucht.

Der EuGH kommt zu dem Schluss, dass die Zuständigkeitsvorschriften des neuen Lugano-Übereinkommens die einheitliche und kohärente Anwendung der Verordnung und das reibungslose Funktionieren des mit dieser errichteten Systems beeinträchtigen. Zum Abschluss eines solchen völkerrechtlichen Abkommens sei nur die EG selbst, weder die Mitgliedstaaten einzeln noch gemeinsam befugt. Der EuGH stützt seine Argumentation auf das AETR-Urteil (Rs. 22/70, Slg. 1970, 263), wonach die Mitgliedstaaten, wenn gemeinsame Rechtsnormen erlassen worden sind, nicht mehr berechtigt sind, mit Drittstaaten Verpflichtungen einzugehen, die diese Normen beeinträchtigen, da mit fortgeschrittener Gemeinschaftsrechtssetzung nur die Gemeinschaft über die ausschließliche Zuständigkeit für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge verfügt.

 

Wirtschaftsrecht

 

EuGH erweitert den Herstellerbegriff

In seinem Urteil vom 9. Februar 2006  in der Rechtssache C-127/04 stellt der EuGH klar, dass der Begriff des Herstellers auch Tochtergesellschaften umfassen kann, die sich mit dem Vertrieb eines Produkts befassen. Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Begriff des „Inverkehrbringens“ in Art. 11 der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte nicht näher definiert und daher objektiv auszulegen ist. Ein Produkt sei als in den Verkehr gebracht anzusehen, wenn der Prozess der Herstellung beim Hersteller beendet sei und das Produkt öffentlich angeboten werde. Ist die Vertriebsgesellschaft jedoch eng mit dem Hersteller verbunden, etwa als 100%ige Tochtergesellschaft des Herstellers, so sei zu prüfen, ob die jeweilige Einrichtung in Folge dieser engen Verbindung in den Herstellungsprozess des Produktes eingebunden sei. Bei der Beurteilung der Umstände sei es unerheblich, ob es sich bei den Gesellschaften um unterschiedliche juristische Personen handle. Erheblich sei lediglich, wie eng die Beziehung sei und ob die Übergabe des Produktes ein Inverkehrbringen bewirke. Ist die Verbindung so eng, dass das Produkt zwar von einer auf die andere übergeht, dabei aber nicht im eigentlichen Sinne in den Verkehr gebracht wird, kann auch eine Vertriebsgesellschaft wie der Hersteller für durch ein Produkt verursachte Schäden haftbar sein.

 

Freizügigkeit

 

Dienstleistungsrichtlinie – 1. Lesung

Das EP hat am 16. Februar 2006 in erster Lesung über die Dienstleistungsrichtlinie abgestimmt. Dabei hat es sich für die Ausnahme von Dienstleistungen von Rechtsanwälten aus der Richtlinie ausgesprochen, sofern sie von anderen Gemeinschaftsrechtsakten geregelt werden. Damit ist klargestellt, dass die anwaltsspezifischen Richtlinien gegenüber der horizontalen neuen Richtlinie vorgehen. Durch die erste Lesung ist das „Herkunftslandprinzip“ gestrichen worden. Der betreffende Artikel 16 lautet nunmehr „Freier Dienstleistungsverkehr“ und bestimmt, dass die Erbringung von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem der Dienstleistungserbringer seine Niederlassung hat, nicht von Anforderungen abhängig gemacht werden darf, welche die Grundsätze der Diskriminierungsfreiheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit nicht beachten. Indes regelt der verändert angenommene Art. 17 Nr. 8 explizit, dass Art. 16 keine Anwendung auf Vorbehaltsaufgaben, also auch die Rechtsberatung, findet. Hierdurch wird eine Aushebelung des Rechtsberatungsgesetzes bzw. Rechtsdienstleistungsgesetzes durch Rechtsberatung in Form der Dienstleistung aus dem Ausland verhindert. Nach Art. 17 Nr. 7a (neu) ist auch die Aufnahme von Tätigkeiten zur Beitreibung von gerichtlichen Forderungen nicht vom Anwendungsbereich des Art. 16 erfasst.

Die Kommission hat angekündigt, nach der Abstimmung einen geänderten Richtlinienvorschlag vorzulegen.

Über die Dienstleistungsrichtlinie berichteten wir in den Ausgaben 1 und 12 aus 2004 sowie 2, 3, 5, 6, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 18  und 22 aus 2005 der Nachrichten aus Brüssel.

 

Sonstiges

 

Bundesrat fordert Beteiligung an der Richterauswahl für EuGH und EGMR

Mit seinem Beschluss vom 1. Februar 2006 fordert der Bundesrat eine Beteiligung an der Auswahl von Richtern und Generalanwälten am EuGH und dem EGMR. Die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat an der Richterauswahl für den EuGH wurde zwar bereits im November 2005 gesetzlich geregelt, jedoch ist das Inkrafttreten dieses Gesetzes an das Inkrafttreten der Europäischen Verfassung gebunden und daher zeitlich nicht absehbar. Der neue Gesetzesentwurf erweitert den Anwendungsbereich des Gesetzes auf die deutschen Richter am EGMR. Bisher nimmt in Deutschland allein die Bundesregierung die Auswahl der Kandidaten vor.

Über die Diskussion zur Zukunft der  Europäischen Verfassung berichteten wir in den Ausgaben 13 , 20 aus 2005 und 2 aus 2006 der Nachrichten aus Brüssel.

 

EuGH - Weniger und kürzere Prozesse in 2005

Laut Pressemitteilung des EuGH vom 13. Februar 2006 ist die Zahl der anhängigen Rechtssachen im Vergleich zum Vorjahr um 12% gesunken. Damit setzt sich der Trend aus 2004 fort: Der EuGH hat im zweiten Jahr in Folge mehr Rechtssachen abschließen können, als bei ihm eingingen. Dies sei nicht nur auf eine geringere Anzahl eingehender Rechtssachen zurück zu führen, sondern auch auf eine beschleunigte Prozessführung. Vorabentscheidungsverfahren sind in 2005 in über 5 Monaten schneller als in 2001 abgewickelt worden, nämlich in 20,1 Monaten. Hintergrund ist u.a., dass 2005 35% der Urteile ohne Schlussanträge des Generalstaatsanwalts ergangen sind. Dies ist möglich, wenn die Schlussanträge keine neuen Rechtsfragen aufwerfen. Die erhebliche Steigerung abgeschlossener Rechtssachen im Jahr 2005 liege in der Ankunft von 10 neuen Richtern im Jahre 2004 und durch die Übernahme von Rechtssachen durch das Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union begründet. Trotz des ermutigenden Geschäftsausganges im Jahr 2005 habe die durchschnittliche Prozessdauer zugenommen, was vornehmlich auf den Abschluss mehrerer komplexer Rechtssachen zurückzuführen sei.

 

Impressum

Bundesrechtsanwaltskammer, Büro Brüssel, Avenue de Tervuren 142-144, B-1150 Brüssel, Tel: 0032-2-743 86 46, Fax: 0032-2-743 86 56, E-Mail: brak.bxl@brak.be

 

Redaktion und Bearbeitung: RAin Dr. Heike Lörcher, RA Dr. Wolfgang Eichele, LL.M. und RAin Mila Otto, LL.M.

© Bundesrechtsanwaltskammer

 

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