RA Michael Then

Mal nachgefragt…

Strukturierter Parteivortrag – Segen oder Fluch?

23.08.2022Interview

Der strukturierte Parteivortrag, d. h., die Ordnung des Parteivorbringens nach bestimmten Merkmalen im Rahmen eines digitalen Eingabe- und Abfragesystems, ist in aller Munde. Ob diese Strukturierung eher Vor- oder doch Nachteile mit sich bringen würde, klärt Stephanie Beyrich, Pressesprecherin der BRAK, mit Rechtsanwalt Michael Then, Schatzmeister der BRAK.


RA Michael Then, Schatzmeister

RA Michael Then, Schatzmeister der BRAK

Lieber Herr Then, heute geht es um ein ganz heiß diskutiertes Thema im Rahmen der Digitalisierung. Um es direkt vorweg zu nehmen: Von der Richterschaft sehr befürwortet – von der Anwaltschaft sehr abgelehnt, da derartige Vorgaben schnell einem zu starren Korsett gleichkommen könnten. Aber riskieren wir doch mal einen genaueren Blick: Gibt es denn wirklich überzeugende Argumente die gegen die Einführung des strukturierten Parteivortrags sprechen? Struktur ist doch dem Grunde nach erst einmal etwas Gutes und müsste doch von der Anwaltschaft befürwortet werden.

Nein, das ist für das Thema der falsche Ansatz: Denn im Zivilprozess sind die Parteien für die Beibringung der Tatsachen verantwortlich, dem Gericht obliegt die prozessuale Leitung und schließlich die Erarbeitung der entscheidungserheblichen Tatsachen. Aufgabe des Anwalts ist es nicht nur die Grundstruktur des Streites rechtlich darzustellen, sondern die oft sehr diffizilen und entscheidenden Besonderheiten filigran herauszuarbeiten. Über § 139 ZPO haben die Zivilrichterinnen und Zivilrichter sodann die Möglichkeit, soweit erforderlich, auf eine Strukturierung hinzuwirken. Diese werden allerdings weit überwiegend nicht genutzt. Um direkt mit einem Vorurteil aufzuräumen: Ungeachtet der Tatsache, dass viele Anwaltskolleginnen und Anwaltskollegen den strukturierten Parteivortrag im Rahmen der Digitalisierung ablehnen, geht es nicht nur um persönliche Präferenzen, sondern vor allem um das jeweilige Aufgabenverständnis. Rechtlich ist zu beachten: Nach dem Grundgesetz  muss zum einen der Anspruch auf rechtliches Gehör in Art. 103 Abs. 1 GG beachtet werden, zum anderen das Rechtsstaatsprinzip. Die Rechte der Beteiligten dürfen nicht - auch nicht durch Digitalisierung - beschnitten werden. Und genau hier sehe ich durchaus gewichtige Probleme bei einem nach konkreten, strengen Merkmalen strukturierten Parteivortrag.

Könnte es den Mandantinnen und Mandanten nicht dienlich sein, wenn der Richter sozusagen direkt die „richtigen“ Tatsachen vor Augen führt bzw. den Prozess darauf fokussiert?

Darum geht es im Grunde gar nicht, denn: Aufgabe der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist es nicht, mit ihren Schriftsätzen das Urteil sozusagen zu begründen. Denn die Erarbeitung des entscheidungserheblichen Sachverhalts aus dem Prozessvortrag ist originäre Aufgabe der Zivilrichterin und des Zivilrichters. Es geht  darum, auf diese Urteilsfindung mit anwaltlichem Vorbringen und  richtiger Argumentation Einfluss zu nehmen und diese vorzubereiten. Genau diese klare Aufgabenaufteilung macht unseren sehr gut funktionierenden Rechtsstaat aus.

Wenn der strukturierte Parteivortrag aber eben doch kritisch zu betrachten ist, drängt sich mir die Frage auf: Ist er denn zwingende Voraussetzung, um sinnvoll und effektiv zu digitalisieren? Geht es nicht auch ohne?

Digitalisierung und eine gewisse Form der Strukturierung in ganz einfachen Verfahren, die auch skalierbare Sachverhalte betreffen, kann Vorteile bieten und dann Arbeitsschritte erleichtern. Eine gewisse – eigenverantwortliche – Strukturierung des eigenen Schriftsatzes gibt auch der Rechtsanwältin und dem Rechtsanwalt die Möglichkeit, insbesondere im fortgeschrittenen Verfahrensstadium konkret nachzuvollziehen, zu welchen Tatbestandsvoraussetzungen er vorgetragen hat, an welchen Stellen Nachbesserungsbedarf, auch im Vergleich zum gegnerischen Vortrag, besteht. Zwingende Voraussetzung ist sie allerdings nicht, schon gar nicht in der bislang angedachten Form. Eine gewisse „weiche“ Struktur bei der Eingabe könnte  bei skalierbaren Verfahren nicht ausgeschlossen werden.  Bei jedem  individuellen Rechtsbegehren halte ich eine Strukturierung dagegen weder für sinnvoll noch für umsetzbar. In einem Online-Klageverfahren  müsste eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt  die Möglichkeit eines opt-out  haben, um eine Verkürzung der Vortragsmöglichkeiten sicher auszuschließen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Mandanten und Mandantinnen als Herren und Herrinnen des Verfahrens mitentscheiden können müssen, was Ihr Parteivertreter im Verfahren vorbringen soll und was nicht.

Ich danke Ihnen für das Gespräch!