BFH zur Erbschaftsteuer

Befreiung trotz frühzeitigen Auszugs möglich

Die gesundheitliche Unzumutbarkeit kann ein „zwingender Grund“ sein, vorzeitig aus dem Familienheim auszuziehen, ohne Erbschaftsteuer zu zahlen.

05.08.2022Rechtsprechung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit am 4. August 2022 veröffentlichtem Urteil entschieden, dass erbende Ehepartner auch weiterhin von der Erbschaftsteuer befreit sein können, wenn es ihnen aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist, volle 10 Jahre im geerbten Familienhaus zu wohnen (Urt. v. 01.12.2021, Az. II R 1/21). Bereits am 7. Juli hatte der BFH bekanntgegeben, dass dasselbe auch für erbende Kinder gilt (Urt. v. 01.12.2021, Az. II R 18/20).

Hintergrund ist die Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG): Danach fällt grundsätzlich keine Erbschaftsteuer an, wenn der überlebende Ehegatte (Nr. 4b) oder das Kind (Nr. 4c) ein Familienheim erben, das der Erblasser bis zum seinem Tod zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat und das dem Erben als Heim dienen soll. Die Steuerbefreiung entfällt jedoch rückwirkend, wenn der Erbe innerhalb von zehn Jahren auszieht. Davon gibt es jedoch eine Ausnahme, die in diesem Fall streitentscheidend war: Danach bleibt es weiter bei der Erbschaftssteuerbefreiung, wenn der Erbe „aus zwingenden Gründen“ daran gehindert ist, weiterhin selbst im Familienheim zu wohnen.

Frauen zogen aus gesundheitlichen Gründen nach weniger als 10 Jahren aus Familienheim

In dem aktuell veröffentlichten Fall hatte die überlebende Ehefrau mit ihrem Ehemann ein Einfamilienhaus bewohnt und war nach dessen Tod aufgrund des Testaments Alleineigentümerin geworden. Nach knapp zwei Jahren veräußerte sie das Haus jedoch und zog in eine Eigentumswohnung. Gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) berief sie sich erfolglos darauf, sie habe das Haus wegen einer depressiven Erkrankung auf ärztlichen Rat verlassen. Die Depression habe sich nach dem Tod ihres Ehemannes gerade deshalb verschlimmert, weil sie in dem ehemals gemeinsam bewohnten Haus lebte. Das FG war jedoch der Ansicht, das sei kein zwingender Grund für den Auszug, da der Frau die Führung eines Haushalts nicht schlechthin unmöglich gewesen sei.

In dem anderen Fall erbte eine Frau das Familienhaus ihres Vaters und wohnte sieben Jahre darin.  Im Anschluss wurde das Haus abgerissen. Gegenüber dem Finanzamt und dem FG machte sie erfolglos geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können. Das FG war der Ansicht, das sei kein zwingender Grund für den Auszug, da sich die Klägerin fremder Hilfe hätte bedienen können.

BFH: Auch unzumutbarer Gesundheitszustand kann „zwingender Grund“ sein

In beiden Fällen hat der BFH das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG muss nun prüfen, ob die Klägerinnen nicht jeweils aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert waren, das geerbte Familienhaus weiter zu nutzen. In diesem Fall können sie weiterhin von der Befreiung der Erbschaftsteuer profitieren.

Dabei machte der BFH jedoch folgende Vorgaben: „Zwingend“ erfasse nicht nur den Fall, dass es unmöglich sei, das Heim selbst zu nutzen. Es reiche vielmehr aus, wenn das nur unzumutbar sei. In diesem Sinne unzumutbar könne eine weitere Nutzung durchaus sein, wenn der Gesundheitszustand des Erben erheblich beeinträchtigt wäre, wenn er weiterhin im Familienheim bleiben würde.

Das FG muss nun prüfen, ob die jeweils geltend gemachte gesundheitliche Beeinträchtigung der beiden Frauen die Kriterien des BFH erfüllen. Im Fall der depressiven Ehefrau wird das Gericht möglicherweise auf ein ärztliches Gutachten angewiesen sein, auch im Hinblick auf Schwere und Verlauf der Depression. Im Fall der Tochter geht es vor allem um das Ausmaß ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung.