BGH zu Designerdrogen

BtMG-Wertungen auch im NpSG relevant

Handel mit neuen psychoaktiven Stoffen bestraft das NpSG. Bei der Strafzumessung dürfen Gerichte die „nicht geringe Menge“ des BtMG heranziehen.

02.04.2022Rechtsprechung

Psychoaktive Stoffe können insbesondere nach zwei Gesetzen verboten sein: Nach einer enumerativen Liste verbotener Substanzen im Anhang des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) und nach dem Verbot ganzer Stoffgruppen im Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun entschieden, dass die Tatgerichte im Rahmen der Strafzumessung auch bei einer Verurteilung nach dem NpSG auf den Begriff der "nicht geringen Menge" aus § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zurückgreifen dürfen (Beschl. v. 11.01.2022, Az. 6 StR 461/21).

Dem Maß der Grenzwertüberschreitung des psychoaktiven Stoffs komme für die Strafzumessung „überragende Bedeutung“ zu. Dies gelte, so der 6. Strafsenat in Karlsruhe, obwohl der Gesetzgeber im NpSG bewusst keine Unterscheidung zwischen geringer und nicht geringer Menge aufgenommen habe. Schließlich bräuchten die Tatgerichte einen Maßstab, anhand dessen sie die Gefährlichkeit der Stoffe bewerten könnten.

Verhältnis zwischen BtMG und NpSG

Hintergrund war die Verurteilung zweier Männer, die synthetische Cannabinoide vertrieben hatten. Diese Stoffe waren zunächst nur vom Stoffgruppen-Verbot des NpSG erfasst und sind erst später – allerdings noch vor Verkündung des Urteils gegen sie - auch in die Anlage zum BtMG aufgenommen worden.

Das NpSG, das 2016 eingeführt wurde, soll etwaige Strafbarkeits-Lücken schließen. Diese waren vorher dadurch entstanden, dass das BtMG immer nur ganz konkrete Stoffe enumerativ auflistet. So fielen Mittel mit nur kleinen chemischen Veränderungen bekannter Drogen zunächst nicht unter das BtMG. Die Aufnahme in dessen Liste benötigte jedoch zu viel Zeit. Es kam zu einem Wettlauf zwischen den Dealern der vermeintlichen „Legal Highs“ und den anzupassenden Verbotsregelungen. Der Europäische Gerichtshof hatte diese Situation in Deutschland bereits 2014 moniert. Seit 2016 nun verbietet das NpSG u.a. den Handel mit ganzen Stoffgruppen wie etwa allen Cannabinoiden, Amphetaminen oder Benzodiazepinen.

Das Landgericht (LG) Göttingen hatte die angeklagten Männer im konkreten Fall „nur“ gem. § 2 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 NpSG wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit neuen psychoaktiven Stoffen verurteilt. Im Rahmen der Strafzumessung orientierte das Gericht sich im Hinblick auf den Umfang des Handels und den Wirkstoffgehalt allerdings am Begriff der "nicht geringen Menge" aus § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Dementsprechend fiel die Strafe mit Freiheitsstrafen von sechs Jahren und neun Monaten bzw. fünf Jahren recht hoch aus.

BGH: BtMG im Rahmen der Strafzumessung beim NpSG relevant

Der BGH sah darin keine Rechtsfehler. Es sei zunächst im Rahmen der gebotenen konkreten Gesamtbetrachtung richtig gewesen, die Männer im Schuld- und Strafausspruch nur nach dem NpSG und nicht nach dem BtMG zu verurteilen. Die Angeklagten erfüllten jeder für sich in allen Fällen das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit, außerdem überschritten die gehandelten Stoffe jeweils den Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Daher sei diejenige Strafvorschrift maßgeblich, die eine gegenüber § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG niedrigere Höchststrafe vorsehe, während eine Bestrafung nach dem von § 29 Abs. 1 BtMG vorgesehenen Strafrahmen ausscheide.

Auch dass das LG sich zur Ermittlung der für die Strafrahmenwahl relevanten „erheblichen Menge“ an den Grenzwerten der „nicht geringen Menge“ von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG orientiert hatte, erklärte der Senat für rechtmäßig. Darin spiegelten sich Gefährlichkeit und Toxizität des Stoffes wider.

Zwar habe sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, bei den Strafvorschriften des § 4 NpSG die Konzeption der §§ 29 ff. BtMG zu übernehmen. Schließlich unterschieden sich die neuen psychoaktiven Stoffe hinsichtlich der Evidenz ihrer Wirkung und des Gefahrenpotenzials für die Gesundheit von den Stoffen in der BtMG-Anlage. Allerdings dienten beide Gesetze gleichermaßen dem Schutz der Gesundheit vor den Gefahren des Drogenkonsums. Daher müsse die Strafe auch ansteigen, wenn mit großen Mengen der Stoffe gehandelt wurde. Trotz fehlender "Vertatbestandlichung" der nicht geringen Menge in § 4 NpSG komme dem Maß einer etwaigen Grenzwertüberschreitung des psychoaktiven Stoffs deshalb auch für die Strafzumessung im NpSG überragende Bedeutung zu, so der BGH. 

Nach ständiger BGH-Rechtsprechung könne das Tatgericht den konkreten Grenzwert dann anhand eines gutachterlichen Vergleichs mit den Wirkungen bereits bekannter, verwandter Drogen bestimmen.