BGH zu Fristverlängerung

Kein Vertrauen auf der ZPO widersprechende Auskunft

Zweite Fristverlängerungen erlaubt die ZPO nur mit Zustimmung des Gegners. Auf eine dem widersprechende Auskunft darf sich ein Anwalt nicht verlassen.

09.10.2022Rechtsprechung

Wer in einer Zivilsache eine Berufungsbegründungsfrist um länger als einen Monat verlängern will, benötigt dafür nach § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 Zivilprozessordnung (ZPO) unbedingt die Einwilligung des Prozessgegners. Liegt diese bei Fristablauf nicht vor, könne die Verlängerung nicht bewilligt werden - auch nicht um eine Woche, um dem Gegner Zeit zur Stellungnahme zu geben, so der Bundesgerichtshof (BGH). Das Vertrauen in eine anderslautende Behauptung der eigenen Angestellten oder eine Auskunft der Geschäftsstelle sei nicht schutzwürdig (Beschl. v. 21.06.2022, Az. II ZB 3/22).

Anwältin vertraute auf Auskunft der Geschäftsstelle zur Verlängerung der Frist

In der Sache ging es um eine Klage auf Abfindung von ca. 380.000 Euro nach Ausscheiden aus einer Gesellschaft. Das Landgericht hatte der Klage großteils stattgegeben, dagegen hatte die Beklagte Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hatte die Begründungsfrist für sie bereits einmal um einen Monat verlängert, als das Gericht ein zweiter Antrag erreichte: Drei Tage vor Ablauf der Frist beantragte die Beklagte eine erneute Fristverlängerung um eine Woche, weil ihre Rechtsanwältin und weitere Mitarbeitende der Kanzlei erkrankt seien.

Der Vorsitzende wies die Beklagte jedoch schriftlich innerhalb der ersten Nachfrist darauf hin, dass der Fristverlängerung wegen § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO nicht ohne Einwilligung des Klägers stattgegeben werden könne. Dennoch reichte die Anwältin der Beklagten die Begründung erst nach Fristablauf ein, jedoch innerhalb der von ihm gewünschten Fristverlängerung um eine Woche. Sie hatte sich dabei auf die Auskunft ihrer Rechtsanwaltsfachangestellten verlassen. Diese hatte an Eides statt versichert, noch vor Ablauf der ersten Frist eine Auskunft der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erhalten zu haben, dass die Frist um eine Woche verlängert worden sei - obwohl die Einwilligung des Klägers noch nicht vorgelegen habe.

Letztlich war auf diese Worte jedoch kein Verlass. Der Kläger verweigerte seine Zustimmung zur Fristverlängerung, woraufhin das OLG den Verlängerungsantrag zurückwies. Auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung mit der Begründung, die Anwältin habe sich auf die Auskunft der Geschäftsstelle verlassen, lehnte der Vorsitzende ab. Er verwarf die Berufung damit als unzulässig (Beschl. v. 15.12.2021, Az. 2 U 114/21). Die Versäumung der Begründungsfrist beruhe auf einem der Beklagten zurechenbaren Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, das die Wiedereinsetzung in die Frist ausschließe. Die Beklagte habe nicht auf eine weitere Verlängerung der Begründungsfrist vertrauen dürfen, da sie von einer Zustimmung des Klägers abhängig gewesen sei.

BGH: Gesetz schlägt Vertrauen auf Auskunft

Daraufhin wandte sich die Beklagte mit einer Rechtsbeschwerde an den BGH und beantragte, den Beschluss aufzuheben und ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie und ihre Anwältin hätten auf die Auskunft der Geschäftsstelle vertrauen dürfen.

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde nun jedoch als unzulässig verworfen. Ansprüche auf Gewährung rechtlichen Gehörs, auf willkürfreie Entscheidung und auf effektiven Rechtsschutz seien nicht verletzt. Zwar dürfe einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund zu hoher Anforderungen an die anwaltlichen Sorgfaltspflichten oder anderweitig unzumutbar Gründe erschwert werden. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Das Berufungsgericht habe im Ergebnis zu Recht die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

Die Beklagte habe nicht glaubhaft machen können, die Berufungsbegründungsfrist ohne ein ihr zurechenbares Verschulden ihrer Anwältin versäumt zu haben. Zwar dürfe eine Prozessbevollmächtigte sich grundsätzlich darauf verlassen, wenn ihr die zuverlässig arbeitende Kanzleiangestellte eine solche telefonische Auskunft der Geschäftsstelle mitteilt.

Dies sei jedoch ausnahmsweise dann nicht der Fall, wenn diese Auskunft in offenkundigem Widerspruch zur Gesetzeslage stehe. So habe es hier gestanden, denn § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO verlange die Zustimmung des Gegners zur Fristverlängerung. Die Beklagte hätte auf eine solche Auskunft allenfalls vertrauen dürfen, wenn zu erwarten gewesen sei, der Gegner werde die erbetene Zustimmung vor Ablauf der Frist erteilen. Hier war aber umgekehrt klar, dass diese Zustimmung gerade nicht vorgelegen hatte. Das Vertrauen auf die „in unaufgelöstem Widerspruch stehende Auskunft“, der Fristverlängerung sei entgegen den Vorschriften der ZPO auch ohne Zustimmung des Gegners stattgegeben worden, sei deshalb nicht schutzwürdig. Dies gelte selbst für den hypothetischen Fall, dass die Versagung des Klägers rechtsmissbräuchlich gewesen wäre.