BGH zu Stealthing

Verurteilung wegen Vergewaltigung möglich

Der BGH hat sich in einem Beschluss erstmals zum „Stealthing“ geäußert: Dies sei ein sexueller Übergriff, auch eine Vergewaltigung komme ich Betracht.

03.02.2023Rechtsprechung

Zieht der Mann vor dem ansonsten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr heimlich entgegen der vorherigen Absprache kein Kondom über (sog. Stealthing), ist dies laut Bundesgerichtshof (BGH) ein sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Auch eine Verurteilung wegen Vergewaltigung nach 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB komme in Betracht, so die Bundesrichter am Rande des Beschlusses. Damit hat sich der BGH erstmals zum Phänomen des Stealthing geäußert (Beschl. v. 13.12.2022, Az. 3 StR 372/22).

Im konkreten Fall musste der BGH über die Revision eines Mannes entscheiden, den das Landgericht (LG) Düsseldorf aufgrund mehrerer Taten wegen Vergewaltigung, schweren sexuellen Übergriffs sowie sexuellen Übergriffs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt hatte. Zwar hob der BGH das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers auf und verwies den Fall zurück ans LG. Doch er nutzte die Gelegenheit, um zu betonen, dass die Verurteilung wegen eines sexuellen Übergriffs durch Stealthing korrekt gewesen sei.

In einem Fall hatten der Angeklagte und eine Besucherin sich zwar darüber geeinigt, miteinander schlafen zu wollen – dies jedoch auf Wunsch der Frau nur mit Kondom. Andernfalls hätte sie keinen Sex mit ihm haben wollen. Der Mann ging zwar an eine Kommode, holte sichtbar ein Kondom heraus und öffnete die Verpackung. Tatsächlich aber nutzte er einen unbeobachteten Moment und beließ es nicht abgerollt im Bett. Es kam zum ungeschützten Geschlechtsverkehr. Nachdem die Frau bemerkt hatte, dass er kein Kondom trug, verließ sie die Wohnung.

BGH: Auf die Einwilligung in die konkrete sexuelle Handlung kommt es an

Das LG habe dieses Geschehen zutreffend als sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 1 StGB gewertet, so der BGH. Stimme eine Person Geschlechtsverkehr ersichtlich nur unter der Voraussetzung zu, dass dabei ein Kondom genutzt werde, stünden ohne Präservativ vorgenommene sexuelle Handlungen dem erkennbaren Willen entgegen. Daran ändere sich nichts, nur weil die Frau grundsätzlich dem Geschlechtsverkehr zugestimmt hatte.

Bei der Frage, ob eine sexuelle Handlung dem maßgeblichen Willen zuwiderläuft, komme es auf die konkret vorgenommene Handlung an. In einem Fall wie diesem bestand zwar eine Einwilligung in Sex mit Kondom – in Sex ohne Kondom habe die Frau aber nicht eingewilligt, sondern dies vielmehr abgelehnt. Beide Formen stellten qualitativ unterschiedliche sexuelle Handlungen dar. Dafür spreche insbesondere die Eignung eines Kondoms, vor sexuell übertragbaren Krankheiten und ungewollter Schwangerschaft zu schützen. Wie wichtig das sei, zeige sich auch darin, dass für die Prostitution gemäß § 32 Abs. 1 Prostitutionsschutzgesetz eine Kondompflicht besteht.  

Abschließend betonte der BGH, dass grundsätzlich die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB (Vergewaltigung) in Betracht komme. Nur im konkreten Fall spielte dies keine Rolle, weil das LG diese Strafnorm im konkreten Fall nicht angenommen hatte und der Angeklagte daher diesbezüglich nicht beschwert war.