BVerfG zum Rechtsschutz

Gerichte dürfen Anwaltsvollmacht nur selten anzweifeln

Von Amts wegen die anwaltliche Vollmacht prüfen? Das BVerfG verlangt begründete Zweifel von den Gerichten. Und wird dabei sehr deutlich.

11.04.2022Rechtsprechung

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen-Anhalt habe das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz  nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz (GG) verletzt, als es den Antrag eines Mannes auf Zulassung einer Berufung verwarf, weil es Zweifel an der Bevollmächtigung seines Rechtsanwalts hegte, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

Durch eine übermäßig strenge Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften sowie eine unnötig kurze Fristsetzung habe das Gericht den Mann daran gehindert, seine Rechte gerichtlich durchzusetzen. Von Amts wegen dürfe ein Gericht nur dann Zweifel an der anwaltlichen Bevollmächtigung berücksichtigen, wenn es hierfür auch ausreichende Gründe gebe – in diesem Fall hätten diese nicht vorgelegen (BVerfG, Beschl. v. 18. 02. 2022, Az. 1 BvR 305/21).

OVG hatte Zweifel an anwaltlicher Vollmacht

Der Eigentümer eines Grundstücks mit einem Gewässer hatte ursprünglich vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg auf Feststellung der Mitgliedschaft in einer Fischereigenossenschaft geklagt. Das Gericht wies die Klage jedoch ab. Dagegen legte der Grundstückseigentümer Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Das Gericht hatte seiner Meinung nach unberechtigterweise einen Antrag seines erkrankten Prozessvertreters auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung abgelehnt. Den Namen seines Anwalts nannte er in dem Schreiben ausdrücklich.

Der Prozessvertreter beantragte mit Schriftsatz vom 12. November 2020 die Zulassung der Berufung beim OVG in Magdeburg. Das OVG schrieb ihm am 20. November, er möge doch bis zum 27. November die Prozessvollmacht im Original nachreichen. Diese Frist konnte der Anwalt jedoch nicht einhalten, weil bereits der Versand des Schriftstücks von seinem Mandanten an ihn auf dem Postweg länger dauerte. Auf eine Erinnerung der Geschäftsstelle vom 1. Dezember meldete er sich sofort und erklärte diese Umstände. Einen Tag später beantragte er im Hinblick auf die kommenden Feiertage zudem eine Fristverlängerung für die Begründung des Antrags und erklärte, „die Prozessvollmacht im Original wird zeitnah übersandt werden“. Tatsächlich erhielt er die Vollmacht erst am 8. Dezember und leitete sie umgehend weiter, sodass sie am 11. Dezember bei Gericht einging.

Allerdings hatte das OVG den Antrag bereits am 3. Dezember als unzulässig verworfen mit der Begründung, der Rechtsanwalt habe seine Bevollmächtigung nicht innerhalb der gesetzten Frist nachweisen können (Az. 1 L 131/20). Das Gericht habe dies auch von Amts wegen prüfen dürfen, weil besondere Umstände Anlass für Zweifel begründeten, ob eine hinreichende Prozessvollmacht für das eingeleitete Verfahren bestehe. Schließlich sei eine Vollmacht schon im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgelegt worden. Zudem sei es ungewöhnlich, dass der Rechtsanwalt auf die gerichtliche Aufforderung hin nicht umgehend eine Vollmacht oder zumindest eine Erklärung vorgelegt habe, was einer Vorlage bislang entgegengestanden habe. Auch die Beantragung einer nicht unerheblichen Verlängerung der Begründungsfrist könne, so das OVG, auf einen fehlenden Kontakt des Bevollmächtigten zu dem Beschwerdeführer hindeuten.

BVerfG: Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt

Gegen diesen Beschluss des OVG erhob der Grundstückseigentümer Verfassungsbeschwerde und rügte u.a. eine Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und auf ein faires Verfahren.

Das BVerfG gab dem Mann Recht und zeigte in seiner Begründung wenig Verständnis für das strenge Vorgehen des OVG. Es habe keinen hinreichenden Anlass gegeben, den Antrag auf Zulassung der Berufung zu verwerfen. Gerichte dürften den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung der eigenen Rechte nicht durch übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Schranken unzumutbar verkürzen. Genau dies sei hier aber geschehen.

Schon die Umstände ergäben keine Zweifel an der Bevollmächtigung des auftretenden Rechtsanwalts. Dies wäre  aber nach § 67 Abs. 6 Satz 3 und 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Voraussetzung dafür, einen Mangel der Vollmacht ausnahmsweise von Amts wegen zu berücksichtigen. Solche Zweifel könnten Gerichte nur annehmen, wenn die Art und Weise der Prozessführung beziehungsweise sonstige besondere Umstände dazu berechtigten Anlass geben.

Der Fristablauf allein reiche dafür grundsätzlich nicht, vielmehr müssten weitere Aspekte hinzukommen – etwa, dass der Anwalt den angeblich vertretenen Kläger nicht ordnungsgemäß bezeichnet. Entsprechende Umstände hätten hier aber nicht vorgelegen. Auch die Tatsache, dass eine Vollmacht in der ersten Instanz nicht vorgelegen habe, ändere daran nichts. Schließlich habe der Mandant in seiner Dienstaufsichtsbeschwerde den Rechtsanwalt persönlich benannt, was schon „unmissverständlich“ für dessen ordnungsgemäße Bevollmächtigung gesprochen habe. „Überhaupt nicht nachvollziehbar“ sei vor diesem Hintergrund auch, „warum die Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hier auf einen Abbruch des Kontakts des Bevollmächtigten zum Beschwerdeführer hindeuten sollte“, so die deutlichen Worte des BVerfG.

Hinzu komme, dass eine Frist von lediglich einer Woche keinesfalls ausgereicht habe, um dem Anwalt die Gelegenheit zu geben, eventuelle Zweifel durch Vorlage der Vollmacht auszuräumen. Unabhängig davon, ob eine Wochenfrist für die Nachreichung der Vollmacht nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Hs.  2 VwGO grundsätzlich ausreichen könnte, habe eine solche Begrenzung jedenfalls in diesem Fall der Effektivität des Rechtsschutzes widersprochen. Schließlich habe auch  kein besonderer Eil- bzw. Beschleunigungsbedarf bestanden  noch nicht einmal die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung sei abgelaufen gewesen.

Das OVG Sachsen-Anhalt wird sich nach dieser Schelte des BVerfG nun erneut mit der Sache auseinandersetzen müssen.