Drogenscreenings in JVA

Beaufsichtigte Urinkontrollen waren verfassungswidrig

Eine beaufsichtigte Urinkontrolle ohne konkreten Missbrauchsverdacht in einer JVA in NRW hat das Persönlichkeitsrecht eines Häftlings verletzt, so das BVerfG.

11.08.2022Rechtsprechung

Die Verfassungsbeschwerde des Häftlings einer Justizvollzugsanstalt (JVA) in Nordrhein-Westfalen sei „offensichtlich begründet“, entschied das Bundesverfassungsgericht mit einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss. Die instanzgerichtlichen Entscheidungen, die die in der JVA durchgeführten mehrfachen Drogenscreenings bestätigten, verletzten den klagenden Häftling in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (BVerfG, Beschl. v. 22.07.2022, Az. 2 BvR 1630/21)

Der Mann, der eine mehrjährige Haftstrafe verbüßte, war im Jahr 2020 binnen etwas mehr als vier Wochen vier beaufsichtigten Urinkontrollen unterzogen worden. Die Kontrollen, die Suchtmittelmissbrauch in der Haftanstalt unterbinden sollten, erfolgten unter Aufsicht, um Manipulationen oder Täuschungen zu vermeiden. Ein gleichgeschlechtlicher Justizvollzugsbediensteter war anwesend und hatte während der Abgabe der Probe einen freien Blick auf das entkleidete Genital des Beschwerdeführers.

Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er feststellen lassen wollte, dass die Urinabgaben rechtswidrig gewesen seien und dass Drogentests künftig per Blutentnahme aus der Fingerbeere erfolgen sollten, blieb erfolglos. Das zuständige Landgericht (LG) erachtete die Kontrollen als rechtmäßig: Sie berührten nicht nur die gesundheitlichen Belange eines Gefangenen und seine Resozialisierung, sondern auch die Sicherheit des Stravollzugs, so das LG. Die JVA hätte auch keine Alternative anbieten müssen, meinte das LG, denn andere Maßnahmen wären mit noch gravierenden körperlichen Eingriffen verbunden. Die Rechtsbeschwerde des Häftlings gegen dieses Urteil verwarf das Oberlandesgericht.

Rechtsgrundlage muss eindeutig sein, JVA hätte Fingerpunktion anbieten müssen

 „Staatliche Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar“, heißt es in der Mitteilung des BVerfG. Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, ließen sich im Haftvollzug zwar nicht immer vermeiden. Sie seien aber besonders schwerwiegend und der Gefangene habe insoweit einen Anspruch auf besondere Rücksichtnahme. Vor diesem Hintergrund beruhte, so die 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG, der Beschluss des LG auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Häftlings.

Das BVerfG lässt offen, ob ein solche Urinkontrolle überhaupt angeordnet werden kann, wenn es gar keinen konkreten Verdacht auf Drogenmissbrauch des betroffenen Gefangenen gibt. Denn jedenfalls, so die Karlsruher Richterinnen und Richter, habe das LG schon keine hinreichende Rechtsgrundlage zugrunde gelegt, weil es nicht zwischen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder Ordnung der Anstalt (geregelt in § 65 Strafvollzugsgesetz NRW) und solchen zum Schutz der Gesundheit des Gefangenen (normiert in § 43 StVOllzG NRW, aber auch in § 56 StVollzG des Bundes) unterschieden habe.

Außerdem habe das LG zu Unrecht nicht geprüft, ob die Haftanstalt nicht als milderes Mittel eine Punktion der Fingerbeere hätte anbieten müssen. Schließlich wurde § 65 StVollzG NRW, die Norm also, auf die das LG den Eingriff stützte, bereits im Jahr 2017 ergänzt: In Absatz 1 S. 2 der Vorschrift heißt es nun „Diese Maßnahmen dürfen mit einem geringfügigen körperlichen Eingriff, namentlich einer Punktion der Fingerbeere zur Abnahme einer geringen Menge von Kapillarblut, verbunden sein, wenn die Gefangenen einwilligen“.  Beaufsichtigte, mit Entkleidung verbundene Urinkontrollen seien ein viel schwererer Eingriff als die einverständliche Punktion der Fingerbeere.

Das hätte die JVA auch von Amts wegen prüfen müssen, so das BVerfG. Dass der Häftling das nicht selbst vor der ersten Urinkontrolle beantragt hatte, schadete deshalb dem Erfolg seiner Verfassungsbeschwerde nicht. Schließlich hätte das LG bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Kontrollen auch deren berücksichtigen müssen: Schon die angeordnete Frequenz der Kontrollen könnte nicht angemessen gewesen sein, argumentieren die Karlsruher Richterinnen und Richter.