EuGH zum Urlaubsanspruch

Urlaubstage verjähren nicht automatisch nach drei Jahren

Versäumt der Arbeitgeber es, den Arbeitnehmer über die drohende Verjährung seines Urlaubs zu unterrichten, verjähren die Ansprüche nicht.

26.09.2022Rechtsprechung

Urlaubsansprüche können erst dann verjähren bzw. verfallen, nachdem der Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin ihre Mitarbeitenden tatsächlich in die Lage versetzt hat, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen. In drei Vorlagen des des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) damit die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Hinblick auf ihren Jahresurlaub gestärkt.

In einem Fall ging es um die deutsche Regelung, nach der Urlaubsansprüche automatisch innerhalb der dreijährigen Frist verjähren, beginnend ab Schluss des Jahres, in dem diese Anspruch entstanden sind. Hier entschied der EuGH, dass zwar die Verjährungsfrist unionsrechtskonform sei, sie jedoch nicht zu laufen beginnen dürfe, bevor Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber auf die bestehenden Ansprüche auf Resturlaub und ihren drohenden Verfall hingewiesen hätten (Urt. v. 22.09.2022, Rs. C-120/21 LB).

In zwei weiteren Fällen hat der EuGH Ähnliches auch für den krankheitsbedingten Verfall von Urlaubsansprüchen entschieden. Zwar sei es grundsätzlich in Ordnung, dass diese im deutschem Recht nach 15 Monaten durchgehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit verfallen. Doch dies komme für das laufende Urlaubsjahr nur in Betracht, wenn der Arbeitgeber den kranken Mitarbeitenden zuvor über den Urlaubsanspruch unterrichtet habe (Urt. v. 22.09.2022, Az. C-518/20 und C-727/70). 

Antwort auf die BAG-Vorlage zur dreijährigen Verjährungsfrist

Im ersten Fall hatte eine Steuerfachangestellte nach Ende des Arbeitsverhältnisses eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verlangt. Sie hatte behauptet, wegen des hohen Arbeitsaufwands nicht in der Lage gewesen zu sein, diesen Urlaub auch zu nehmen. Ihr Arbeitgeber hatte ihr die im Zivilrecht übliche Verjährungsfrist der Ansprüche gem. §§ 194 Abs. 1, 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entgegengehalten. Das BAG war jedoch der Ansicht, dass die Ansprüche nicht erloschen und die Verjährungsfristen nicht anwendbar seien, weil der ehemalige Arbeitgeber seine Mitarbeiterin nicht in die Lage versetzt habe, ihren bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zur gebotenen Zeit zu nehmen.  

Mit seinem Urteil gab der EuGH dem BAG nun weitestgehend Recht und stützt seine Entscheidung auf Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) sowie auf Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wonach ein Grundrecht auf bezahlten Jahresurlaub besteht. Die deutsche Verjährungsfrist von drei Jahren sei zwar als solche unproblematisch. Die Vorschriften zum Fristbeginn seien aber unionsrechtskonform auszulegen.

Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzieller Vergütung für nicht genommenen Urlaub nach mehr als 3 Kalenderjahren konfrontiert werden zu müssen. Dieses Interesse sei jedoch dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber seine Arbeitnehmerin nicht in die Lage versetzt habe, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch tatsächlich wahrzunehmen. Dadurch bringe er sich selbst selbst in eine Situation, in der er mit solchen Anträgen konfrontiert werde. So könnte er aus der Situation auch noch zulasten der Arbeitnehmerin einen eigenen Nutzen ziehen. In einer solchen Situation sei es Sache des Arbeitgebers, gegen späte Anträge Vorkehrungen zu treffen, indem er seinen „Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten“ gegenüber der Arbeitnehmerin nachkomme. Erst nach einem entsprechenden Hinweis auf den Resturlaub und dessen drohenden Verfall dürfe die Verjährungsfrist zu laufen beginnen. Wie die Sachlage im konkreten Fall aussieht, wird nun das BAG zu prüfen haben.

Antwort auf die BAG-Vorlage zum krankheitsbedingten Verfall

In den beiden anderen Fällen hatten die Kläger ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub geltend gemacht, nachdem sie aus gesundheitlichen Gründen im Verlauf des Urlaubsjahrs dauerhaft krankheitsbedingt arbeitsunfähig wurden und bis dahin zumindest teilweise hätten Urlaub nehmen können. Nach deutschem Recht verfalle der Urlaubsanspruch bei Krankheit jedoch gem. § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz grundsätzlich 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahrs, so das BAG. Die Erfurter Richter wollten daher vom EuGH wissen, ob dies auch dann gilt, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten nicht erfüllt hat – ob er also z.B. eine Frist hätte setzen müssen, in welcher der Urlaub genommen werden soll.

Der EuGH bestätigte diese Ansicht weitestgehend. Zwar dürfe Urlaub nach 15 Monaten durchgehender Arbeitsunfähigkeit verfallen. Dies gelte allerdings nur, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeitenden zuvor über den Urlaubsanspruch unterrichtet und dadurch rechtzeitig in die Lage versetzt habe, den Urlaub auch zu nehmen. Aufgrund derselben EU-Vorschriften wie im ersten Fall ergäben sich hier Grenzen für die Mitgliedstaaten.

Zwar bestehe unter "besonderen Umständen" bei langen Krankheiten die Gefahr einer Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und daraus resultierenden Schwierigkeiten für die Arbeitsorganisation. Dadurch unterschieden sich diese Fälle laut EuGH vom ersten Fall des nicht genommenen Jahresurlaubs. So könne das Erlöschen des Jahresurlaubs wegen Krankheit teilweise gerechtfertigt sein. In den beiden zu entscheidenden Fällen sei dies aber gerade nicht der Fall gewesen, hier erscheine ein Schutz der Interessen des Arbeitgebers nicht unbedingt erforderlich.

Offene Fragen

Was das ganz konkret für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bedeutet, hängt nun auch davon ab, wie genau das BAG die Vorgaben des EuGH in den konkreten Fällen umsetzt. Eine Frage wird sein, wie konkret Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden informieren müssen. Eine andere, wer darzulegen und zu beweisen hat, wie viel Urlaubsanspruch noch besteht und ob eine entsprechende Unterrichtung erfolgt ist.