Corona

Keine Impfung für Anwälte

VG Gelsenkirchen erklärt NRW-Priorisierung für „nicht nachvollziehbar“

26.05.2021Rechtsprechung

Ein Anwalt aus NRW war mit seinem Antrag auf Impfung teilweise erfolgreich. Einen Anspruch auf eine Impfung hat er noch nicht, doch die Stadt Bochum muss neu entscheiden. Und dabei die Rechtsauffassung des VG Gelsenkirchen beachten, das zur Differenzierung zwischen Richtern und Anwälten eine sehr deutliche Meinung hat.

Das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen kritisiert die Entscheidung der Stadt Bochum, Anwälte zum aktuellen Zeitpunkt nicht zu impfen, während Richter, Beschäftigte in den Servicebereichen der Gerichte und Justizbehörden sowie Staatsanwälte bereits geimpft werden können. „Diese Differenzierung ist auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs des § 114 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu beanstanden“, heißt es in einem bislang unveröffentlichten Beschluss vom 21. Mai (Az. 2 L 664/21).

Damit ist der Antrag eines Anwalts auf Erlass einer einstweiligen Anordnung teilweise erfolgreich, mit einem mRNA-Impfstoff im Impfzentrum geimpft zu werden. Zwar wird der Anwalt nicht sofort geimpft. Die 2. Kammer des VG verpflichtet die Stadt aber dazu, erneut über seinen Antrag zu entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des VG zu berücksichtigen. Diese wird in dem Beschluss sehr deutlich.

„Die getroffene Priorisierungsentscheidung entbehrt einer nachvollziehbaren, auf tragfähige Tatsachen gestützten Begründung“, heißt es in dort. Aus Sicht des VG spricht nichts dafür, dass Richter, Staatsanwälte und Justizbeschäftigte einen größeren Infektionsrisiko ausgesetzt wären, weil sie typischerweise beruflich mehr Kontakte zu anderen Menschen hätten als Rechtsanwälte. Diese Einschätzung, für die das VG keine Anhaltspunkte erkennt, hätte die Stadt aus seiner Sicht Gelsenkirchen aber belegen müssen.

5 Sitzungstage statt einem, Mandanten in Haft statt geschützte Richterbank

Die Stadt Bochum kann sich zur Begründung ihrer Impfreihenfolge auf eine Weisung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums in einem Erlass vom 5. Mai 2021 stützen, die seit Wochen für Empörung in der Anwaltschaft sorgt. Demnach können aktuell Richter, Staatsanwälte und Justizbedienstete geimpft werden, Rechtsanwälte aber nicht. Die Stadt Bochum berief sich darauf, Rechtsanwälte hätten berufsbedingt zwar auch zahlreiche Kontakte zu anderen Menschen, „bei typisierender Betrachtungsweise“ aber doch nicht ganz so viel Kontakt wie Justizbeschäftigte, schließlich könnten sie viel per Telefon oder Videocall regeln.

Das VG Gelsenkirchen setzt sich damit eingehend auseinander. Während Richter in der Regel an einem oder zwei Tagen im selben Saal und mit derselben Besetzung an einem von den anderen Beteiligten weit entfernten Tisch verhandelten, müssten Anwälte an bis zu fünf Tagen pro Woche bei unterschiedlichen Gerichten und unterschiedlichen Spruchkörpern Termine wahrnehmen. Zudem hätten sie Kontakt zu viel mehr wechselnden Personen.

Auch können Richter ebenso wie Staatsanwälte aus Sicht des VG Gelsenkirchen mehr per Mail und Telefon regeln als ein Anwalt, der häufiger persönlich mit Menschen sprechen müsste. Schließlich befänden ihre Mandanten sich in Justizvollzugsanstalten oder therapeutischen Einrichtung.

Außerdem sei die Justiz mit den nötigen elektronischen Mitteln ausgestattet, während „ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung und damit die Mandantschaft der Rechtsanwälte - wie die Erfahrung mit dem Distanzunterricht in den Schulen eindrucksvoll gezeigt haben - nicht über die medialen Kenntnisse [verfüge], die für eine problemlose elektronische Kommunikation unabdingbar“ seien.

Das VG billigt dem Anwalt deshalb noch keinen Anspruch auf eine Impfung zu. Einerseits ist schlicht nicht genug Impfstoff verfügbar, so dass jeder Anspruch nur im Rahmen der aktuell bestehenden Kapazitäten bestehe. Andererseits könnte die Stadt Bochum aber ihre Differenzierung zwischen Anwälten und Justizangehörigen ja noch sachlich begründen. Für denkbar hält das VG es auch, dass Anwälte zwar in der Priorisierung gleichgestellt werden, der erst 40-jährige klagende Anwalt aber dennoch noch nicht sofort dran wäre. Mangels genügend Impfstoffs könnte die Stadt auch innerhalb der Justiz und der Anwaltschaft noch nach Alter, Vorerkrankung oder konkreter Tätigkeit priorisieren.  Die Stadt hat für ihre Reaktion nun bis zum 28. Mai 2021 Zeit.

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