OLG zur Wiederaufnahme

Mordprozess darf wieder aufgerollt werden

Ein im Jahr 1983 freigesprochener Angeklagter soll nochmals vor Gericht. Das OLG Celle billigt die umstrittene Neuregelung, die das möglich macht.

22.04.2022Rechtsprechung

Im Jahr 2021 hatte der Gesetzgeber dem § 362 der Strafprozessordnung (StPO) eine Nummer 5 hinzugefügt. Sie regelt die Wiederaufnahme von Strafverfahren zuungunsten des Angeklagten. Eine solche soll nun bei wenigen schweren Straftaten wie bspw. Mord möglich sein, wenn sich neue Tatsachen oder Beweismittel zeigen, die einen bereits freigesprochenen Angeklagten wieder belasten.

Nun hatte das Oberlandesgericht Celle implizit über die umstrittene Neuregelung zu entscheiden. Nachdem diese in Kraft getreten war, hat die Staatsanwaltschaft Verden im September 2021 sofort den Antrag gestellt, das Verfahren gegen den Mann wiederaufzunehmen, dessen Freispruch im Jahr 1983 jedenfalls mit der Grund dafür war, dass die Wiederaufnahmemöglichkeit 2021 ins Gesetz aufgenommen wurde.

Der Angeklagte ist der schon 1981 wegen des Mordes an Ulrike Möhlmann Beschuldigte. Die 17-Jährige war damals brutal vergewaltigt und ermordet worden. Gegen den Beschuldigten wurde schon damals ermittelt und ein Verfahren eröffnet, doch dem Gericht reichten die Beweise nicht. Er wurde freigesprochen. Jedoch hatten sich im Jahr 2012 aufgrund eines molekulargenetischen Gutachtens neue Hinweise darauf ergeben, dass der Mann doch der Täter sein könnte. Wegen des rechtskräftigen Freispruchs aber war ein erneutes Verfahren zunächst nicht möglich. Der Vater des Mordopfers aber gab nicht auf, er reichte Petitionen ein und schließlich kam es im Jahr 2021 zu der Neuregelung.

 Das Landgericht in Verden gab dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt und ordnete Untersuchungshaft an (Beschl. v. 25.02.2022, Az. 1 Ks 148 Js 1066/22). Das neue DNA-Gutachten bilde im Zusammenhang mit den früheren Beweisen einen dringenden Grund im Sinne von § 362 Nr. 5 StPO, der Betroffene trotz deshalb früheren Freispruchs erneut wegen Mordes angeklagt werden.

OLG Celle: § 263 Nr. 5 StPO als enge Ausnahmeregelung verfassungsrechtlich zulässig

Der wandte sich mit Beschwerden gegen die Wiederaufnahme und die angeordnete Untersuchungshaft an das OLG Celle. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens widerspräche dem Doppelbestrafungsverbot nach Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz (GG), so der damals Beschuldigte.

Der dortige 2. Strafsenat teilte diese Auffassung aber nicht (Beschl. v. 20.04.2022, Az. 2 Ws 62/22). Die Neuregelung der StPO sei vielmehr verfassungsgemäß und verstoße nicht gegen Art. 103 Abs. 3 GG.

Das Doppelbestrafungsverbot gelte nicht absolut und gebe dem Gesetzgeber die Möglichkeit,  Regelungen wie § 362 Nr. 5 StPO zu beschließen. Die Vorschrift sei nur äußerst eng umgrenzte Fallkonstellationen beschränkt und sehe sehr hohe Hürden für die Wiederaufnahme vor, so die Richterinnen und Richter.

Konkret müssten „neue“ Tatsachen oder Beweise vorliegen, die als „dringende“ Gründe ein erneutes Verfahren gegen einen bereits Freigesprochenen begründen sollen. Nicht jede nachträgliche Veränderung begründe daher direkt einen Tatverdacht.

Zudem sehe die Regelung die Möglichkeit der Wiederaufnahme nur bei schwersten, unverjährbaren Straftaten wie Mord, Völkermord oder Kriegsverbrechen vor. Dies sei eine sehr restriktive Einschränkung. Der Gesetzgeber bewege sich damit im Rahmen der ihm vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Möglichkeit der Weiterentwicklung des Art. 103 Abs. 3 GG, so das OLG Celle.

Dabei war der nun erneut Beschuldigte mit seiner Kritik nicht allein. Die Neuregelung, die noch von der Großen Koalition verabschiedet worden war, wurde schon vor ihrem Inkrafttreten stark kritisiert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte den Gesetzentwurf erst nach langem Zögern unterzeichnet und verfassungsrechtliche Bedenken geäußert. Er bat um eine nochmalige Kontrolle durch den – nun neu zusammengesetzten - Bundestag. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat eine erneute Prüfung angekündigt.