Pauschalreisen Corona

Kostenloser Rücktritt? Es kommt drauf an

Der BGH hat in drei Fällen über die Anzahlung für vor dem Corona-Ausbruch gebuchte Pauschalreisen entschieden. Und urteilt: Es kommt drauf an.

01.09.2022Rechtsprechung

Die Corona-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist um drei Entscheidungen reicher, die sich einreihen in die bisherige Rechtsprechung. Ob Betriebsschließungsversicherung, geschlossene Fitnessstudios oder halbierte Gewerbemieten, weil es wegen Corona-Maßnahmen faktisch kein Gewerbe mehr gab: Der BGH stellte stets auf den Einzelfall ab.

Dieser Linie bleibt der BGH treu. Der u. a. für das Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat urteilte am Mittwoch in drei Rücktrittsfällen unterschiedlich. Die Begründetheit der Klagen auf Rückzahlung geleisteter Anzahlungen hing in allen Fällen davon ab, ob die beklagten Reiseveranstalter dem Anspruch der klagenden Verbraucherinnen und Verbraucher einen Anspruch auf Entschädigung entgegenhalten konnten.

„Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden“  

Einen solchen sieht § 651h Abs. 1 S. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) regelmäßig vor, wenn der oder die Reisende zurücktritt. Allerdings ist dieser Entschädigungsanspruch nach Abs. 3 der Norm ausgeschlossen, „wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“.

Der X. Zivilsenat hält die Corona-Pandemie grundsätzlich für geeignet, eine solche erhebliche Beeinträchtigung zu sein. Dass das Virus nicht nur am Urlaubsort, sondern auch in der Heimat grassierte, ändere daran nichts. Eine erhebliche Beeinträchtigung im Sinne der Norm kann laut dem BGH schon vorliegen, wenn die Durchführung der Reise aufgrund außergewöhnlicher Umstände mit erheblichen und nicht zumutbaren Risiken in Bezug auf die Gesundheit oder sonstige Rechtsgüter des oder der Reisenden verbunden wäre. Die Beurteilung, ob solche Risiken bestehen, erfordere “regelmäßig eine Prognose aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsreisenden“.

Ungeimpfte ältere Dame auf Kreuzfahrt: Zu riskant

Eine ältere Dame, die im Januar 2020 eine Donaukreuzfahrt vom 22. bis 29. Juni 2020 für 1.599,84 Euro gebucht hatte und am 7. Juni 2020 von der Reise zurücktrat, erhält daher ihre bereits geleistete Anzahlung von 320 Euro zurück, obwohl die Flussfahrt trotz Pandemie unter Auflagen stattfand (BGH, Urt. v. 30.08.2022, X ZR 66/21).

Der X. Zivilsenat bejaht wie schon die Vorinstanzen eine hinreichend wahrscheinliche erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB schon im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. Auch mit Blick auf das Alter der Klägerin bejahten die Richterinne und Richter eine unzumutbare Gesundheitsgefährdung. Die Begründung: die räumlichen Verhältnisse auf einem Flusskreuzfahrtschiff, die mangelnde Impfmöglichkeit und fehlende Therapien gegen Corona.

Auf das Alter der klagenden Verbraucherin abzustellen, hält der BGH jedenfalls dann für zulässig, wenn das Alter ein Risikofaktor ist, der bei Vertragsschluss noch nicht bekannt oder auch nur absehbar war. Die Zugehörigkeit zur Risikogruppe der Älteren, die sich im Laufe der Pandemie als besonders vulnerabel und weit überdurchschnittlich anfällig für schwere Verläufe zeigten, reichte den Karlsruher Richterinnen und Richtern dafür aus: Schließlich hätte das Alter der Verbraucherin vor Reiseantritt nicht verhindert, dass sie reist. „Die Pandemie und die aus ihr folgenden Risiken aber“ hätten, so der BGH, den Charakter der Reise verändert.

Anderes Hotel auf Mallorca: nicht zwingend eine erhebliche Beeinträchtigung

Ob auch ein Mallorca-Tourist seine Anzahlung zurückerhält, muss nun erneut das Berufungsgericht entscheiden. Der Mann hatte im Februar 2020 eine Pauschalreise auf die Lieblingsinsel der Deutschen vom 5. bis 17. Juli 2020 für 3.541 Euro gebucht, trat am 3. Juni 2020 aber von der Reise zurück und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Anzahlung von 709 Euro. Die Reiseveranstalterin berechnete Stornokosten 25 % des Reisepreises und belastete die Kreditkarte des Klägers um weitere 177 Euro.

Obwohl das von dem Pauschaltouristen gebuchte Hotel zum Zeitpunkt seines Rücktritts und im Reisezeitraum geschlossen war, kommt der BGH – anders als noch das Landgericht, das ihm einen Rückzahlungsanspruch zugesprochen hatte - hier zu einem anderen Ergebnis: Ein von dem Mann vorgelegtes Gutachten für den Verbraucherzentrale Bundesverband belege eine erhebliche Beeinträchtigung nicht konkret genug, weil darin nicht stand, welche konkreten Infektionsrisiken im Juli 2020 auf Mallorca bestanden. Auch die Unterbringung in einem anderen Hotel als dem gebuchten könne zwar zur Minderung des Reisepreises berechtigen, sei damit aber noch nicht weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung i.S.v. § 651h Abs. 2 BGB. Zweck und Ausgestaltung der Reise sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung muss nun das Berufungsgericht noch einmal prüfen.

Ein drittes Verfahren schließlich hat der X. Zivilsenat mit Blick auf Luxemburg ausgesetzt  (BGH, Beschl. v. X ZR 53/21.. Die Frage, ob und wie es sich auf die Rechte rund um den Rücktritt auswirkt, wenn die Reise, von der der Tourist zurücktritt, später ohnehin abgesagt wird, liegt dem Europäischen Gerichtshof bereits zur Prüfung vor (EuGH, Az. C-477/22).