Parlaments-Präsidium

AfD hat keinen Anspruch auf Bundestags-Vize-Posten

Die AfD hatte erfolglos Kandidaten für den Posten als Stellvertreter des Bundestagspräsidenten vorgeschlagen. Das BVerfG billigt das Verfahren.

23.03.2022Rechtsprechung

Insgesamt sechs Kandidaten hatte die Fraktion der Alternative für Deutschland (AfD) vorgeschlagen, als 2017 die Stellvertreterinnen und Stellvertreter des Bundestagspräsidenten gewählt wurden. Die Kandidatinnen und Kandidaten aller anderen Bundestagsfraktionen wurden im ersten Wahlgang gewählt, der Kandidat der AfD erhielt in drei Wahlgängen nicht die erforderliche Mehrheit. Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode des 19. Deutschen Bundestags schlug die AfD-Fraktion noch fünf weitere Abgeordnete vor; keiner bekam die erforderliche Mehrheit.

Dagegen ging die AfD-Fraktion per Organstreitverfahren vor. Sie sah sich in ihrem Recht auf gleiche Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) verletzt. Zudem rügte sie vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Verletzung des Rechts auf loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Bundestages (GO BT) und eine Verletzung des Grundsatzes der Organtreue. In § 2 GO BT ist unter anderem geregelt, dass jede Fraktion durch mindestens eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten im Präsidium vertreten wird (sog. Grundmandat). Erfolg hatte die AfD in Karlsruhe nicht.

Die gleichberechtigte Mitwirkung der Fraktionen stehe eben unter dem Vorbehalt einer Wahl, erklärten die Verfassungsrichter. Auch mit der GO BT stehe das in Einklang. Der Bundestag sei auch nicht verpflichtet, die in Art. 40 Abs. 1 S. 1 GG geregelte Wahl mit irgendwelchen „prozeduralen Vorkehrungen“ zu versehen, wie die AfD gefordert hatte (BVerfG, Beschl. v. 22.03.2022, Az. 2 BvE 9/20).

Kein faktisches Besetzungsrecht der Fraktionen

Zwar geht der Zweite Senat in seinem Beschluss davon aus, dass das Recht von Fraktionen auf Gleichbehandlung grundsätzlich auch für den Zugang zum Präsidium des Deutschen Bundestags gelte. Es sei aber ausdrücklich geregelt, dass die Bundestagsvizepräsidentinnen und -präsidenten gewählt werden, wodurch sich gerade kein losgelöstes Besetzungsrecht der Fraktionen ergebe. Wenn von vorneherein eine Pflicht zur Wahl einer bestimmten Kandidatin oder eines Kandidaten bestünde, wäre die ausdrücklich vorgeschriebene Wahl somit „ihres Sinns entleert“, so die Karlsruher Richter.

Deshalb stehe das freie Mandat der Abgeordneten dem Recht der Fraktionen auf ein bestimmtes Wahlergebnis entgegen. Es verhindere auch, dass es weitere prozedurale Vorgaben für die Durchführung der Wahl geben müsste. Sonst könnte die freie Wahl in ein faktisches Besetzungsrecht der Fraktionen umschlagen.

Auch die Regelung des § 2 GO BT sei nicht als Anspruch jeder Fraktion zu sehen, eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten zu stellen. Vielmehr ergebe sich daraus das Recht der Fraktionen, einen Abgeordneten zur Wahl zu stellen. Diese Auslegung der GO BT durch den Bundestag wahrt aus Sicht des BVerfG  auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 40 Abs. 1 GG.

Vorschlagsrecht nur für Fraktionen

Auch in einem weiteren Organstreitfverfahren entschied das BVerfG gegen einen AfD-Abgeordneten. Er hatte als einzelner Abgeordneter bei der Wahl des Bundestagesvizepräsidenten im zweiten Wahldurchgang einen weiteren eigenen Kandidaten vorgeschlagen. Damit wollte er erreichen, dass die Stimmen aus der AfD im dritten Wahlgang reichen würden, wenn zwei Kandidaten der Rechtspopulisten gegeneinander antreten würden. Im dritten Wahlgang wird derjenige gewählt, der die meisten Stimmen bekommt. Die itzungsleitende Bundestagsvizepräsidentin verwehrte ihm das mit dem Verweis darauf, dass lediglich die Fraktionen und nicht einzelne Abgeordneten ein Vorschlagsrecht hätten.

Diese Beschränkung des Wahlvorschlagsrechts auf die Fraktionen hat das BVerfG am Dienstag bestätigt (BverfG, Beschl. v. 22.03.2022, Az. 2 BvE 2/20). Der Auffassung des AfD-Abgeordneten, dadurch in seinem Recht auf gleiche Mitwirkung an der parlamentarischen Willensbildung gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt zu sein, hielt der Zweite Senat entgegen, dass das freie Mandat nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nicht schrankenlos gewährleistet sei Vielmehr ergebe sich eine Beschränkung aus der GO BT, auch hier konkret aus § 2 Abs. 1 Satz 2 GO BT.

Das Wahlvorschlagsrecht auf die Fraktionen zu beschränken, sei unter dem Gesichtspunkt des Erhalts der Effektivität und der Funktionsfähigkeit des Parlaments geeignet, erforderlich und angemessen.

Zudem erhöhe  es  interfraktionelle Verständigungs- und Kompromisspotenziale, während ein von einzelnen Abgeordneten vorgeschlagener Kandidat möglicherweise nicht das Vertrauen der ganzen zu vertretenden Fraktion genießen könnte.