(BGH-)Anwälte müssen Fristbeginn selbst aufklären
Auch wenn das Berufungsgericht einen Fehler gemacht hat: Revisionsanwälte müssen sich aktiv erkundigen, ob die Revision zugelassen wurde.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Beschluss detaillierte Anforderungen an (BGH-)Anwälte bei der Wahrung von Fristen formuliert (Beschl. v. 25.01.2022, Az. VIII ZR 233/20). Es ging um einen Fall, in dem ein Fehler bei Gericht vorlag. Wenn für den Kläger und seine Prozessvertreter unklar ist, ob das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat oder nicht, beginnt die Frist für die Einreichung des zulässigen Rechtsmittels zwar erst, wenn diese Unklarheit beseitigt ist.
Allerdings reicht es dann, dass diese Information den Anwälten der Vorinstanz zugeht, auch wenn diese bereits ihr Mandat niedergelegt haben und mittlerweile die BGH-Anwälte zuständig sind. Um ihre Sorgfaltspflichten zu erfüllen, müssten die (BGH-)Anwälte sich deshalb aktiv darum bemühen, in Erfahrung zu bringen, ob die erforderliche Information (berichtigte Urteilsabschrift oder Berichtigungsbeschluss) bereits verfügbar ist. Einfach fünf Monate abzuwarten, führe hingegen zu einem verschuldeten Versäumnis der Frist, welches die Partei sich zurechnen lassen muss.
Ein folgenschwerer Fehler auf der Geschäftsstelle
In dem Fall ging es um Schadensersatz wegen des Dieselskandals. Das Berufungsgericht hatte mit am 4. Juni 2020 verkündetem Urteil ausdrücklich entschieden, dass die Revision nicht zugelassen wird. Allerdings machte die Geschäftsstelle einen Fehler und stellte dem Kläger am 1. Juli 2020 Abschriften des Urteils zu, in denen es hieß, die Revision sei doch zugelassen worden. Dementsprechend legten die BGH-Anwälte für den Kläger am 3. August 2020 Revision ein und begründeten diese fristgemäß.
Der Senatsvorsitzenden fiel jedoch die Diskrepanz hinsichtlich der Zulassung der Revision auf. Sie teilte den BGH-Anwälten mit Schreiben vom 25. Januar 2021 mit, dass die Gerichtsakten zur weiteren Aufklärung vorerst an das Berufungsgericht zurückgesandt würden und dass sie davon ausgehe, dass die Parteien von dort weitere Nachricht erhalten. Das Berufungsgericht fand den Fehler schnell und schickte die korrekte Urteilsabschrift - mit nicht zugelassener Revision - an die Anwälte aus der zweiten Instanz, wo sie am 17. März 2021 einging. Da diese jedoch zwischenzeitlich ihr Mandat niedergelegt hatten, gelangte diese Information weder an die nun zuständigen BGH-Anwälte noch an den Kläger selbst. Die BGH-Anwälte erkundigten sich auch nicht initiativ danach, ob sich der Sachverhalt mittlerweile aufgeklärt hatte.
Erst mit Schreiben vom 25. Juni 2021 - nach Wiedereingang der Gerichtsakten beim BGH - teilte die Senatsvorsitzende den BGH-Anwälten mit, wie der tatsächliche Sachstand war. Daraufhin legten die BGH-Anwälte für den Kläger am 12. Juli 2021 beim BGH eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein und beantragten zugleich die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist. Die zuvor eingelegte Revision erhielten sie ebenso aufrecht.
Der BGH verwarf nun jedoch sowohl die Revision als auch die Nichtzulassungsbeschwerde und den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist. Die BGH-Anwälte hätten schuldhaft jegliche Fristen versäumt, sodass es nun zu spät sei. Das Verschulden der Anwälte müsse sich der Kläger zurechnen lassen.
Es zählt, was das Gericht entschieden hat; nicht das, was in der Ausfertigung steht
Zunächst stellten die Karlsruher Richter klar, dass es allein Sache des Gerichts sei, über die Zulassung der Revision zu entscheiden. Ein Fehler in der Geschäftsstelle ändere daran nichts. Daher sei hier allein die Nichtzulassungsbeschwerde möglich gewesen, die Revision hingegen nicht.
Die Beschwerde sei jedoch nicht fristgerecht eingelegt worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 544 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Urteils einzulegen. Diese sei jedoch bei Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde am 12. Juli 2021 bereits abgelaufen gewesen.
Voraussetzung für den Fristbeginn ist nach § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO die ordnungsgemäße Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils. Im konkreten Fall habe die Frist zwar erst mit Zustellung des korrekten Urteils – mit nicht zugelassener Revision - zu laufen begonnen. Denn wenn, wie hier, Unklarheiten vorlägen, die zu Unsicherheiten über das mögliche Rechtsmittel führten, dürfe dies der Partei nicht zum Nachteil gereichen.
Zustellung des Berichtigungsbeschlusses darf nur an Berufungsanwälte gehen
Allerdings, so der Senat, sei die Zustellung an die Anwälte der Berufungsinstanz am 17. März 2021 wirksam gewesen. Die Zustellung einer berichtigten Abschrift des Berufungsurteils habe nämlich gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO ausschließlich an die Anwälte für den Berufungsrechtszug zu erfolgen. Auch dass diese bereits ihr Mandat niedergelegt hatten, sei irrelevant. Denn die Kündigung eines Anwaltsmandats erlange im Verhältnis zum Gericht erst rechtliche Wirksamkeit, wenn man für dieselbe Instanz einen neuen Anwalt anzeigt. Die Bestellung von BGH-Anwälten falle hingegen nicht darunter.
Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO sei unzulässig, weil er nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO beim BGH eingegangen war. Gemäß § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist. Das Hindernis war hier die Unklarheit über die (Nicht-)Zulassung der Revision.
Die diesbezügliche Unkenntnis sei zwar noch nicht mit Zustellung an die Anwälte der Vorinstanz am 17. März 2021 weggefallen. Schließlich hätten weder der Kläger noch die BGH-Anwälte Kenntnis davon erlangt. Die Kenntnis der zweitinstanzlichen Anwälte sei dem Kläger auch nicht zuzurechnen, weil hier die Beendigung des Mandatsverhältnisses durchaus Wirkung entfalte. Zuzurechnen war dem Kläger aber das Versäumnis seiner neuen BGH-Anwälte.
Revisionsanwalt muss eigenverantwortlich das relevante Zustelldatum ermitteln
Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH beginne die Wiedereinsetzungsfrist nämlich spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die (drohende) Versäumung der Frist hätte erkennen können. Unterlasse er entsprechende Nachforschungen, könne die Unkenntnis nicht mehr als unverschuldet angesehen werden. Zu seinen Sorgfaltspflichten gehöre es vorrangig, dass er eigenverantwortlich das für den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfristen maßgebende Zustellungsdatum feststellt.
Die BGH-Anwälte hätten dieser Sorgfaltspflicht jedoch nicht entsprochen. Bei ihnen hätten mit dem ersten Schreiben der Senatsvorsitzenden vom 25. Januar 2021 erstmals begründete Zweifel daran entstehen müssen, ob eine Revision hier ausreichte. Außerdem sei aufgrund dieses Schreibens mit einer zeitnahen Reaktion von Seiten des Berufungsgerichts zu rechnen gewesen. Die Anwälte hätten auch nicht davon ausgehen dürfen, dass das richtige Urteil an sie zugestellt werden würde, weil sie im Berufungsverfahren nicht zuständig gewesen seien.
Sie hätten sich vielmehr aktiv bemühen müssen, um den aktuellen Stand in Erfahrung zu bringen - z.B. durch regelmäßige Anfragen bei dem Gericht oder den Anwälten der Vorinstanz oder beim BGH selbst. Wie sie das genau hätten machen sollen und wann genau die Frist für die Wiedereinsetzung abgelaufen war, ließ der BGH offen. Denn nach Ablauf von fünf Monaten sei es jedenfalls mehr als zwei Monate zu spät gewesen.