Überlange Dauer des Haftprüfungsverfahrens verletzt Grundrechte
Wer in U-Haft sitzt, hat ein Recht auf Haftprüfung. Dieses Recht darf nicht wegen gerichtsinterner Gründe faktisch verwehrt werden, so das BVerfG.
Ein Untersuchungsgefangener saß schon ein Jahr in U-Haft, bis das Gericht über seine gesetzlich vorgeschriebene Haftprüfung entschied. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat seiner Verfassungsbeschwerde nun stattgegeben und festgestellt, dass er aufgrund der überlangen Dauer des Haftprüfungsverfahrens tiefgreifend in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt ist. Gründe wie eine Erkrankung des ursprünglich zuständigen Berichterstatters sowie „eigene“ Haftsachen der Vertreterin und eine Corona-Erkrankung in ihrer Familie ließ das BVerfG nicht als Entschuldigung gelten (Beschl. v. 21.09.2023, Az. 2 BvR 825/23).
Der Inhaftierte ist wegen diverser Wirtschaftsstraftaten verdächtig und befindet sich seit dem 30. Juni 2022 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Jedoch erst ein Jahr später, am 26. Juni 2023 (und nach Eingang seiner Verfassungsbeschwerde), hat das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Gründe für die Verzögerung
Grundsätzlich gilt nach §§ 121, 122 Strafprozessordnung (StPO): Der Vollzug der Untersuchungshaft darf über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Dies muss das Gericht von Amts wegen nach sechs Monaten prüfen und anschließend alle drei Monate erneut überprüfen.
Hier waren die Akten zur Haftprüfung bereits am 28. Dezember 2022 und damit vor Ablauf der Sechsmonatsfrist an das Gericht gelangt. Zudem hatte der Verdächtige bereits mit Schreiben vom 9. Januar 2023 die Aufhebung des Haftbefehls beantragt. Auf seine erneute Nachfrage Ende März 2023 teilte das OLG ihm mit, dass der Berichterstatter längerfristig krankheitsbedingt verhindert sei. Der nun zuständigen Richterin liege das Verfahren erst seit wenigen Tagen zur Bearbeitung in Vertretung vor. Angesichts „eigener“ vorrangig zu bearbeitender Haftsachen und anstehenden Urlaubs sei derzeit nicht absehbar, wann eine Entscheidung ergehen werde. Am 13. April 2023 stellte die zuständige Richterin in einem Aktenvermerk die Gründe für die Verzögerung nochmals dar und führte ergänzend eine Corona-Erkrankung in ihrer Familie an.
Der Mann wandte sich daraufhin mit am 16. Juni 2023 beim BVerfG eingegangener Verfassungsbeschwerde u.a. gegen die bisherige Nichtentscheidung des OLG im gesetzlichen Haftprüfungsverfahren. Diese verletze sein Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 104 Grundgesetz, GG) und sein Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Diese erhielt er auch aufrecht, nachdem das OLG in der Folge die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet hatte. Er wollte nun feststellen lassen, dass ihn die Nichtentscheidung des OLG bis zum 26. Juni 2023 in seinem Grundrecht auf Freiheit und auf effektiven Rechtsschutz verletze.
BVerfG: Überlange Verfahrensdauer verletzt Grundrechte
Die überlange Dauer des Haftprüfungsverfahrens verletze ihn tatsächlich in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz, entschied nun das BVerfG. Wirksamer Rechtsschutz bedeute auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit, wobei die Frage der Angemessenheit eine Einzelfallentscheidung sei. Dieser Anspruch erlange im Hinblick auf Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i. V. m. Art. 104 GG besondere Bedeutung. Bei einem Haftprüfungsverfahren sei außerdem Art. 5 Abs. 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen, das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Dieser gewähre jeder Person in Haft das Recht, zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet.
Zwar ruht der Fristenlauf des § 121 Abs. 1 StPO bis zur Entscheidung des OLG, so dass dem Verdächtigen formell keine der in §§ 121, 122 StPO vorgeschriebenen Prüfungen verwehrt worden sei. Indem die Entscheidung aber erst knapp sechs Monate nach Ablauf der Sechsmonatsfrist ergangen ist, habe das OLG ihm sowohl diese erste Haftprüfung als auch die nach weiteren drei Monaten faktisch genommen.
Die vom OLG angeführten Gründe für die Verzögerung rechtfertigten den Eingriff in das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht. Zum einen habe der Inhaftierte diese nicht zu vertreten. Zum anderen rechtfertigten sie keine Verzögerung über mehrere Monate. Dass die Richterin außerdem erst am 24. März 2023 für das Verfahren vertretungsweise zuständig wurde, liege auch in der Sphäre des Gerichts. Dieses hatte auf die bereits seit November 2022 bestehende Erkrankung eines Beisitzers erst im März 2023 reagiert. Unabhängig davon seien von der Zuweisung des Verfahrens an die neue Richterin bis zur Entscheidung noch einmal mehr als drei Monate vergangen.