Gerichtliche Zuständigkeiten: BRAK fordert sorgfältige Evaluation vor Umverteilung
Die Justizministerkonferenz fordert eine Erhöhung des Streitwerts, bis zu dem die Amtsgerichte in Zivilsachen zuständig sind. Doch die Verschiebung zahlreicher Streitfälle auf die Landgerichte hätte erhebliche Auswirkungen für Justiz, Anwaltschaft sowie rechtsuchende Bürgerinnen und Bürger. Das sollte nur nach sorgfältiger Evaluation der Folgen angegangen werden, warnt die BRAK.
Die Konferenz der Justizministerinnen und -minister des Bundes und der Länder (JuMiKo) möchte den Streitwert, bis zu dem die Amtsgerichte in Zivilsachen zuständig sind, zeitnah von derzeit 5.000 Euro auf 8.000 Euro anheben. Zudem sollen unabhängig vom Streitwert Spezialzuständigkeiten bei den Amtsgerichten für Fluggastrechtesachen sowie Nachbarschaftsstreitigkeiten und bei den Landgerichten für Vergabesachen, und für Streitigkeiten aus Heilbehandlungen sowie über Veröffentlichungen in den Medien geschaffen werden. Dies beschloss die Justizministerkonferenz in ihrer Frühjahrssitzung am 25./26.5.2023 in Berlin.
Beide Forderungen hätten erhebliche Folgewirkungen, warnt die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), die auf Anfrage des Bundesministeriums der Justiz zu dem Beschluss der Justizministerkonferenz Stellung genommen hat. Einer Anpassung des Zuständigkeitsstreitwerts steht die BRAK aufgeschlossen gegenüber, schon weil die letzte Anpassung vor 30 Jahren erfolgte. Weil dadurch aber nach der Schätzung einer von der Justizministerkonferenz eingesetzten Arbeitsgruppe rund 60.000 Verfahren jährlich von den Landgerichten auf die Amtsgerichte verlagert würden, mahnt die BRAK dringend an, dass eine Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts nicht ohne eine präzise Evaluierung möglicher Konsequenzen erfolgen darf.
In ihrer Stellungnahme weist sie zunächst darauf hin, dass eine Stärkung der Amtsgerichte gerade in ländlichen Regionen begrüßenswert sei, anderenorts aber zu einer Überlastung führen könne. Eine ausreichende Personalausstattung und mehr personelle Kontinuität in den einzelnen Verfahren hält sie daher für unabdingbar. Zudem sei zu bedenken, dass einige Landgerichte bereits jetzt nicht voll ausgelastet seien. Die Schließung von Gerichtsstandorten wäre aus ihrer Sicht auf keinen Fall hinnehmbar. Daher fordert sie eine differenzierte Betrachtung über das gesamte Bundesgebiet, insbesondere auf strukturschwächere Regionen.
Die BRAK weist zudem darauf hin, dass die Umverlagerung von Verfahren auf die Amtsgerichte auch Folgen für die richterliche Rechtsfortbildung durch die Oberlandesgerichte hätte, bei denen ebenfalls rund 20 % der Fälle wegbrächen. Sie fordert daher, die Auswirkungen auf Berufungsverfahren unbedingt ebenfalls zu untersuchen.
Auch die Auswirkungen einer Streitwertanhebung auf die Interessen der Mandanten müssten berücksichtigt werden. Die BRAK fordert, den bisherigen Wert für den sog. Postulationszwang, also den Wert, ab dem man sich vor Gericht anwaltlich vertreten lassen muss, beizubehalten. Denn Streitwerte über 5.000 Euro stellten gemessen am Durchschnittsverdienst von Vollzeitbeschäftigten ein erhebliches finanzielles Risiko dar. Der Anwaltszwang diene dem Schutz rechtsunkundiger Personen und stellt Waffengleichheit her.
Die Einrichtung von streitwertunabhängigen Spezialzuständigkeiten begrüßt die BRAK im Grundsatz. Denn eine Bündelung von Fachwissen und Expertise in Justiz wie Anwaltschaft könne auch zu einem schnelleren Ablauf der Verfahren beitragen. Allerdings sei gerade hier der Anwaltszwang mitzubedenken. Einige Rechtsanwaltskammern sehen die Zersplitterung gerichtlicher Zuständigkeiten mit Sorge, gerade für nicht anwaltlich vertretene Rechtsuchende. Die BRAK fordert, hinsichtlich jeder angedachten Spezialzuständigkeit gesondert zu prüfen, ob sie tatsächlich sachgerecht und erforderlich ist.
Schließlich weist die BRAK darauf hin, dass die Verschiebung der Zuständigkeiten auch für die Anwaltschaft zu einem spürbaren Verlust an Verfahren führe. In Anbetracht der noch immer ausstehenden Erhöhung der Anwaltsgebühren und nach Verlusten während der Corona-Pandemie könne dies gerade für Anwältinnen und Anwälte in der Fläche zu einem wirtschaftlichen Problem heranwachsen, das letztlich den Zugang zum Recht in der Fläche bedrohe.
Die BRAK hatte sich bereits Ende 2022 mit einem ausführlichen Positionspapier in die Diskussion eingebracht. Darin hatte sie ebenfalls auf die großen Folgewirkungen aufmerksam gemacht; zudem verwies sie auf die Bedeutung des Postulationszwangs. Auch in die weitere Diskussion wird die BRAK sich intensiv einbringen.
Weiterführende Links:
Schreiben von BRAK-Vizepräsident Then v. 27.7.2023 (PDF, nicht barrierefrei)
Beschluss der Frühjahrs-Justizministerkonferenz 2023 (PDF)
Stellungnahme Nr. 47/2022 (PDF, nicht barrierefrei)
Nachrichten aus Berlin 1/2023 v. 11.1.2023