Bezeichnung als „fetter Anwalt“ kann unter Anwälten erlaubt sein
Im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen könne man sein Anliegen mit besonders starken und eindringlichen Ausdrücken unterstreichen, so das BVerfG.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Verfassungsbeschwerde einer Anwältin genutzt, um die Bedeutung der Meinungsfreiheit – gerade bei rechtlichen Auseinandersetzungen – erneut zu unterstreichen: Unter dem Gesichtspunkt des sogenannten „Kampf um das Recht“ im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen sei es grundsätzlich erlaubt, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (Beschl. v. 24.11.2023, Az. 1 BvR 1962/23).
Die Anwältin hatte über ein familiengerichtliches Verfahren gebloggt und darin den gegnerischen Anwalt mit Formulierungen wie „fetter Anwalt“ und „Rumpelstilzchen“ bezeichnet. Dieser hatte ihr im Eilverfahren vor dem Amtsgericht (AG) und Landgericht (LG) Dresden die Verbreitung solcher Ausdrücke untersagen lassen. Die Gerichte hatten hier eine Beleidigung iSd § 185 Strafgesetzbuch (StGB) angenommen, außerdem eine Persönlichkeitsrechtverletzung des Anwalts.
BVerfG: In gerichtlichen Verfahren darf es schon einmal derber zugehen
Dagegen hatte die Anwältin Verfassungsbeschwerde eingelegt. Diese nahm das BVerfG zwar mangels Rechtswegserschöpfung nicht zur Entscheidung an – schließlich stünden ihr noch mehrere Wege offen, das Ganze in der Hauptsache entscheiden zu lassen. Dennoch nahmen die Karlsruher Verfassungsrichterinnen und -richter den Fall zum Anlass, die Urteile der Instanzgerichte zu rügen und die Bedeutung der Meinungsfreiheit noch einmal zu betonen: Die Verfassungsbeschwerde lasse „eine Verletzung von Rechten (…) inhaltlich nachvollziehbar erkennen“, so das BVerfG. Die Instanzgerichte hätten den Kontext dieser Äußerungen nicht erörtert. Zudem fehle es an einer Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des anderen Anwalts und dem Recht der Anwältin auf freie Meinungsäußerung.
Das BVerfG nutze die Gelegenheit, seine bisherige Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit nochmals zu bestätigen: Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Meinungsäußerungen sei, dass ihr Sinn zutreffend erfasst werde. Maßgeblich sei hierfür der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums habe. Dabei sei zwar stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, dieser lege ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er werde vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext der Äußerung sowie den für die Rezipienten erkennbaren Begleitumständen bestimmt. Urteile, die den Sinn der umstrittenen Äußerung erkennbar verfehlten und darauf ihre rechtliche Würdigung stützten, verstießen gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Die Ausgangsgerichte hätten den Kontext jedoch völlig außer Acht gelassen.
Zudem ließen die Ausgangsgerichte jede Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Interessen vermissen. Sie hätten schlicht eine Beleidigung angenommen, weil sie der Ansicht waren, die genannten Bezeichnungen seien „ein Werturteil, welches ehrverletzenden Charakter“ habe. Grundsätzlich müsse aber stets eine Abwägung mit der widerstreitenden Meinungsfreiheit stattfinden. Diese sei nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Äußerung als Schmähung oder Schmähkritik, als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung zu werten sei. Einen solchen Fall hätten die Gerichte hier aber nicht angenommen.
Aus dem Blick verloren hätten die Gerichte zudem, dass die untersagten Äußerungen im Kontext eines gerichtlichen Verfahrens gefallen seien. Sie hätten daher zumindest in Erwägung ziehen müssen, dass es unter dem Gesichtspunkt des sogenannten „Kampf um das Recht“ im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt sei, auch besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen, so das BVerfG.
So kann es weitergehen
Die Verfassungsrichterinnen und -richter gaben der Beschwerdeführerin sogleich noch Hinweise auf ihre Möglichkeiten, doch noch einen Erfolg in der Hauptsache zu erzielen:
- Sie könnte den in § 926 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehenen Antrag auf Fristsetzung zur Erhebung der Hauptsacheklage durch den Verfügungskläger stellen.
- Kommt dieser der Fristsetzung nicht nach, könnte sie das Aufhebungsverfahren nach § 926 Abs. 2 ZPO betreiben.
- Sie könnte im Wege der negativen Feststellungsklage eine Klärung des der einstweiligen Verfügung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses herbeiführen. Auf der Grundlage eines obsiegenden Urteils könnte sie sodann die Aufhebung der Eilentscheidung gemäß § 927 ZPO verlangen.
Zwar sei das Obsiegen der Beschwerdeführerin in Hinblick auf die untersagten Äußerungen – insbesondere die Worte „fetter Anwalt“ – keineswegs gewiss, so das BVerfG einschränkend. Als von vornherein aussichtslos lasse sich das Hauptsacheverfahren deshalb aber nicht betrachten.