Nach Kritik von Richtern: Buschmann verzichtet auf Videoaufzeichnung in Hauptverhandlung
Ursprünglich wollte der Bundesjustizminister künftig Strafprozesse in Bild und Ton aufnehmen lassen. Nun schlägt er eine Beschränkung auf Tonaufnahmen vor.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat am 6. April 2023 einen Kompromissvorschlag für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (DokHVG) vorgelegt. Mit dem neuen Referentenentwurf reagiert er auf Kritik aus der Richterschaft und Staatsanwaltschaft sowie der Länder. Sein Ministerium möchte jetzt auf die im ursprünglichen Referentenentwurf vom 22. November 2022 noch zwingend vorgeschriebene Videoaufzeichnung in allen erstinstanzlichen Verfahren vor Land- und Oberlandesgerichten verzichten. Verpflichtend sollen nur noch die Tonaufzeichnung sowie deren Transkription per Software in ein Textdokument sein. Die Videoaufzeichnung solle für die optional werden - wobei Buschmann auf Pilotprojekte hofft.
Im ursprünglichen Entwurf war außerdem vorgesehen, dass die Länder die Aufzeichnung für Staatsschutzsenate an den Oberlandesgerichten bereits 2026 umsetzen müssen – dies wurde nun auf 2028 verschoben. Bei den Landgerichten soll es bei der Einführung 2030 bleiben.
In dem neuen Entwurf wird außerdem noch einmal klargestellt, dass der Bundesgerichtshof (BGH) aufgrund des Transkripts nicht zu einer Tatsacheninstanz wird. Das hatten viele Richterinnen und Richter befürchtet. Der neue Entwurf sieht nun vor, dass dem Transkript im Revisionsverfahren kein Protokollcharakter zukommen soll. Es solle nur ein Hilfsmittel für das Verfahren in der Tatsacheninstanz sein.
Bundesjustizministerium reagiert auf Kritik am ersten Entwurf
Mit dem Umschwenken von der Video- zur reinen Audioaufzeichnung möchte Buschmann auf verschiedene Kritikpunkte eingehen, die zum ersten Entwurf geäußert worden waren: So nehme er die Kapazitätsprobleme der IT-Abteilungen der Justizbehörden ernst, die bis Anfang 2026 noch stark mit der flächendeckenden elektronischen Akte beschäftigt seien. Die Länder hatten hier vor allem die Kosten für die neue Technik und Personal moniert, die auf sie zukämen. Die Installation von Tonaufzeichnungsgeräten wäre weniger kostspielig als die von zusätzlichen Kameras.
Von Seiten der Justiz waren auch Bedenken geäußert worden, Zeuginnen und Zeugen könnten sich durch eine Videoaufzeichnung eingeschüchtert fühlen. Insbesondere, weil zu befürchten sei, dass solche Aufzeichnungen im Internet verbreitet würden. Diesen Befürchtungen möchte der neue Entwurf explizit begegnen. Reine Tonaufnahmen hätten einen weniger einschüchternden Effekt. Außerdem soll künftig die Veröffentlichung von Bild- und Tonaufnahmen auch aus einer Hauptverhandlung ohne Einschränkung strafbar sein. Schließlich müssten – wenn die Länder Videoaufzeichnung zuließen - die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gewahrt und auf Nahaufnahmen von Verfahrensbeteiligten verzichtet werden.
Anwältinnen und Anwälte hatten Videoaufzeichnung gefordert
Doch nicht alle Juristinnen und Juristen stehen der nun gestrichenen Videoaufzeichnung kritisch gegenüber. Die Bundesrechtsanwaltskammer fordert bereits seit langem eine umfangreiche Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung. Gegenstand des Strafverfahrens sei die Frage, ob ein staatlicher Grundrechtseingriff von erheblicher Tragweite (ggf. eine Gefängnisstrafe) angeordnet wird. Dies müsse auf zutreffender Tatsachengrundlage geschehen. Die Verfahrensbeteiligten und insbesondere die Richterinnen und Richter sollten nicht mehr gezwungen sein, sich auf eigene Mitschriften von Zeugenbefragungen zu verlassen. Dass diese gerade bei monatelangen Prozessen nicht sonderlich zuverlässig seien, findet auch Buschmann.
Reaktion der Länder auf den geänderten Entwurf
Nachdem sich zuvor alle Länder geeint gegen die Videoaufzeichnung ausgesprochen hatten, sind die bisherigen Reaktionen nun unterschiedlicher. Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) begrüßte das Entgegenkommen Buschmanns und die Streichung der Videoaufzeichnung.
Bayern lehnt die Dokumentation der Strafprozesse jedoch auch nach dem Kompromissvorschlag weiterhin ab. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich kritisiert: „Der neue Kompromissvorschlag des Bundesjustizministers ist unzureichend. Entscheidende Probleme sind weiter ungelöst. Ich befürchte, dass auch eine reine Audioaufzeichnung am Ende in das Revisionsverfahren eingeführt werden muss. Damit ist ein enormer Aufwand für den Bundesgerichtshof und die Staatsanwaltschaften zu erwarten.“ Per Software erstellte Wortlautprotokolle seien zudem fehleranfällig und es könne zu erhebliche Verzögerungen der Hauptverhandlungen kommen.
Als Alternative zur Aufzeichnung schlägt er vor, umfangreiche Papierakten durch die E-Akte zu ersetzen. Damit reagiert er auf die Forderung Buschmanns, die dicken Gerichtsakten, um die ein Stoffgürtel gespannt wird - oft Gürteltiere genannt – sollten so schnell wie möglich „auf die Liste der bedrohten Arten“ gesetzt werden.
Der neue Entwurf ist bereits zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung weitergeleitet worden. Länder und Verbände können nun Stellungnahmen abgeben. Im Anschluss wird ein finaler Gesetzesentwurf erstellt. Wenn das Kabinett diesem zugestimmt hat, wird letztlich der Bundestag über das Gesetz entscheiden.
Weiterführende Informationen
BRAK fordert erneut Dokumentation der Hauptverhandlung, Presseerklärung der BRAK v. 13.03.2023
Stellungnahme der BRAK Nr. 8/2023: Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung
Stellungnahme der BRAK 9/2023: Referentenentwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz – DokHVG)
"Kurz & knackig: Endlich! Da is das Ding!", Prof. Dr. Christoph Knauer zur Dokumentation der Hauptverhandlung; Podcastreihe (R)ECHT INTERESSANT v. 07.12.2022
Digitale Dokumentation von Hauptverhandlungen kommt; Nachrichten aus Berlin, Ausgabe 24/2022
Bundesjustizministerium will Videoverhandlungen ausweiten; Nachrichten aus Berlin, Ausgabe 24/2022
BRAK fordert Video-Dokumentation der Hauptverhandlung; Nachrichten aus Berlin, Ausgabe 23/2021
Artikel aktualisiert am 17.4.2023