Rechtliches Gehör

Gerichte müssen Hinweis auf BGH-Urteil beachten

Weist eine Partei auf ein für ihre Argumentation maßgebliches BGH-Urteil hin, muss das Gericht sich mit diesem auch inhaltlich auseinandersetzen.

20.06.2023Rechtsprechung

Das Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ist verletzt, wenn sich ein Gericht nicht mit dem Vortrag einer Partei zur höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzt, so das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Insbesondere wenn der Vortrag dieser Rechtsprechung den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, bestehe für das Gericht eine Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Ein Schweigen in den Urteilsgründen lasse hingegen den Schluss zu, dass der Vortrag der Prozesspartei nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde (Beschl. v. 28.04.2023, Az. 2 BvR 924/21).

Amtsgericht ignoriert Hinweis auf BGH-Rechtsprechung

Das Amtsgericht (AG) Bremen hatte die Klage eines international tätigen US-Unternehmens auf Ersatz von Inkassokosten mit der Begründung abgewiesen, für ein internationales Unternehmen sei es nicht notwendig, vorgerichtlich noch ein Inkassounternehmen zu beauftragen. Es könne stattdessen entweder selbst mahnen oder direkt ein gerichtliches Mahnverfahren einleiten.

Dagegen hatte das Unternehmen jedoch mehrfach und nachdrücklich vorgebracht, der Bundesgerichtshof (BGH) habe entschieden, dass regelmäßig auch in einfachen Fällen des Zahlungsverzugs die Beauftragung eines Rechtsanwalts erforderlich und zweckmäßig sei (Urt. v. 17.09.2015, Az. IX ZR 280/14). Dann könne nichts anderes auch für die Beauftragung eines Inkassounternehmens gelten.

Das AG Bremen blieb von dieser Argumentation jedoch unbeeindruckt. In seinem Urteil setzte es sich mit dem BGH-Urteil nicht auseinander. Eine Berufung ließ es nicht zu, auch eine Anhörungsrüge blieb erfolglos.

BVerfG: Gericht muss sich mit Hinweis auf BGH-Rechtsprechung auseinandersetzen

Die Verfassungsbeschwerde, gestützt auf Art. 103 Abs. 1 GG, hatte jedoch Erfolg. Ein Gericht müsse sich mit einer relevanten BGH-Entscheidung auseinandersetzen, auf die sich eine Partei mehrfach ausdrücklich berufen und sich deren Erwägungen es sich zu Eigen gemacht hat.

Gerade weil in diesem Fall Argumentation des Unternehmens stehe und falle, wäre eine Auseinandersetzung mit der Entscheidung zu erwarten gewesen. Laut BVerfG ließen die Ausführungen des AG aber jegliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des BGH vermissen. Das Schweigen der Entscheidungsgründe lasse insofern den Schluss zu, dass der Vortrag nicht oder zumindest nicht hinreichend beachtet wurde.

Tatsächlich sei hier aber eine Konstellation wie in dem BGH-Urteil gegeben – mit dem einzigen Unterschied, dass ein Inkassounternehmen und nicht ein Rechtsanwalt beauftragt wurde. Die Erwägungen des BGH könnten indes auf die Beauftragung eines Inkassounternehmens übertragbar sein. Schließlich gehe es vor allem darum, der eigenen Forderung Nachdruck zu verleihen. Entsprechendes dürfte auch für Inkassounternehmen gelten, so das BVerfG. Mit dem Auftrag, dies noch einmal zu prüfen, wurde das Verfahren an das AG Bremen zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.