Büro Brüssel
Ausgabe
21/2005 17.11.2005
Themen
in dieser Ausgabe: -
EuGH-Urteil:
Zustellung zwischen den Mitgliedstaaten -
EP- Vorratsdatenspeicherung -
EuGH:
Vorlageverfahren zu dem Grundsatz ne bis in idem" in Art. 54 SDÜ |
-
Verhaltenskodex
zur Besteuerung multinationaler Unternehmen -
Umbesetzungen in der Kommission -
Transparenzinitiative
der Kommission -
EP-Abstimmung über den Jahresbericht 2004 des
Bürgerbeauftragten -
EGMR: Klagen wegen überlanger Verfahrensdauer in
Deutschland |
Zivilrecht
|
EuGH-Urteil:
Zustellung zwischen den Mitgliedstaaten
Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung
über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in
Zivil- und Handelssachen kann der Empfänger die Annahme eines Schriftstücks
verweigern, wenn die verwendete Sprache nicht die Amtsprache des
Empfangsstaates oder eine sonstige Sprache ist, die vom Empfänger verstanden
wird. Mit seinem Urteil vom 8. November 2005 stellte der EuGH nunmehr klar, dass der
Absender des nach Art. 8 Abs. 1 berechtigterweise verweigerten Schriftstücks
die Möglichkeit hat, diesen Form- und Zustellungsmangel durch schnellstmögliche
und ordnungsgemäße Übersendung der Übersetzung zu heilen. Die Auswirkung der
Übersendung einer ordnungsgemäßen Übersetzung auf den Zustellungszeitpunkt
beurteilt der EuGH im Wege einer Analogie zum in Art. 9 der Verordnung ausgestalteten
System des doppelten Datums. Sofern der Zustellungszeitpunkt für den
Antragsteller maßgeblich sei, könne er sich auf die Wirkung der ursprünglichen
Zustellung berufen, wenn er das Erforderliche für eine Heilung des
Zustellungsmangels veranlasst habe. Sei dagegen der Zeitpunkt der Zustellung
für den Empfänger von Bedeutung, so sei zum wirksamen Schutz des Empfängers nur
der Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem er die Übersetzung des Schriftstücks
erhalten habe. Über das Verfahren berichteten wir auch in der Ausgabe 14
aus 2005 der Nachrichten aus Brüssel.
Strafrecht
|
EP-
Vorratsdatenspeicherung
Der liberale Berichterstatter Alvaro
des EP-Ausschusses
Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres hat seinen Bericht
zum Kommissionsvorschlag
zur Vorratspeicherung von Daten veröffentlicht. Darin sind kürzere
Speicherfristen für Verkehrsdaten als in den Vorschlägen der Kommission und des
Rates,
nämlich nur solche von drei Monaten, sowie die Verpflichtung zur späteren
Löschung vorsehen. Eine Speicherung von Standortdaten soll nicht erfolgen.
Durch die Einfügung eines neuen Artikels soll der Zugang zu den Daten geregelt
werden. Der Datenschutz und Grundrechtsschutz werden gestärkt. Außerdem ist
vorgesehen, dass ein Verstoß gegen die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung
Sanktionen nach sich zieht. Nach dem Bericht soll die Richtlinie nach fünf
Jahren ihre Rechtswirksamkeit verlieren, sofern sie nicht bestätigt wird. Die Kompromissänderungsanträge
zu dem Bericht wurden im Ausschuss am 14. November 2005 diskutiert. Es ist
wahrscheinlich, dass die Abstimmung im Ausschuss am 24. November 2005
stattfinden wird, so dass eine Verabschiedung durch das Plenum des EP im
Dezember 2005 erfolgen könnte.
Über die Vorratsspeicherung von Daten
berichteten wir auch in den Ausgaben 22
und 23
aus 2004 sowie 12,
15,
17
und 19
aus 2005 der Nachrichten aus Brüssel.
EuGH:
Vorlageverfahren zu dem Grundsatz ne bis in idem" in Art. 54 SDÜ
In seinen Schlussanträgen
in dem Vorabentscheidungsverfahren C-436/04 hat Generalanwalt Colomer,
unter Berufung auf den Zweck und den Wortlaut des Art. 54 des Schengener
Durchführungsübereinkommens des (SDÜ) in den meisten Sprachen der EG, dafür
plädiert, den Begriff derselben Tat" rein sachverhaltsbezogen zu
interpretieren und nicht auf die rechtliche Qualifizierung oder die geschützten
Rechtsgüter abzustellen. Nur so könne eine doppelte Bestrafung aufgrund der
unterschiedlichen Ausgestaltung des Strafrechts in den Mitgliedstaaten
vermieden und der Sinn des SDÜ, die Freizügigkeit der Bürger im Schengen-Raum
zu gewährleisten, verwirklicht werden. Außerdem spricht sich Colomer dafür aus,
dass bei zwei Urteilen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten wegen derselben
Tat, jeweils das zeitlich letztere Urteil für die Anwendung des Art. 54 SDÜ
entscheidend sein soll.
In einem durch den BGH eingeleiteten
Vorabentscheidungsverfahren (C-288/05)
geht es ebenfalls um die Auslegung des Begriffs derselben Tat" in Art. 54
SDÜ. Zudem möchte der BGH geklärt wissen, ob eine Sanktion, im Falle der
vorherigen Strafaussetzung zur Bewährung und vollstreckter Untersuchungshaft in
einem anderen Mitgliedstaat, i.S.d. Art. 54
SDÜ bereits vollstreckt" ist oder gerade vollstreckt" wird.
Wirtschaftsrecht
|
Verhaltenskodex
zur Besteuerung multinationaler Unternehmen
Die
Kommission hat am 7. November 2005 einen Vorschlag
für einen politisch verpflichtenden, rechtlich aber unverbindlichen
Verhaltenskodex zur Verrechnungspreisdokumentation von verbundenen Unternehmen
vorgelegt. Hierin ist vorgesehen, dass multinationale Unternehmen den
Steuerbehörden zur Gestaltung ihrer Verrechnungspreise für grenzüberschreitende
konzerninterne Transaktionen eine standardisierte und auf Konzernebene
zentralisierte Dokumentation vorlegen können. Dies soll zu einer Verringerung
steuerlicher Komplikationen sowie der Doppelbesteuerung führen, die Qualität
der Informa-tionslieferung durch die Unternehmen steigern und dazu beitragen,
dass die Steuerpflichtigen ihren Dokumentationspflichten besser nachkommen können.
Sonstiges
|
Umbesetzungen
in der Kommission
Vor dem Hintergrund der
Mobilitätsvorschriften der Kommission, die einen Amtswechsel der Generaldirektoren
nach fünf Jahren vorsehen, erhielten
acht Generaldirektoren und neun stellvertretende Generaldirektoren zum 1.
Januar 2006 neue Posten. Catherine Day (Irland) wird Generalsekretärin
der Kommission, Claire-Françoise Durand
(Frankreich) Generaldirektorin des Juristischen Dienstes werden. Zu den 16 erst
in 2006 zu besetzenden (auch stellvertretenden) Generaldirektionsämtern gehört
u.a. die GD
Binnenmarkt, deren Generaldirektor Schaub im Juli 2006 in Ruhestand geht,
sowie die GD
Wettbewerb.
Transparenzinitiative
der Kommission
Auf Vorschlag von Kommissar Kallas vom
März 2005 hat sich das Kollegium der Kommissionsmitglieder am 9. November 2005 geeinigt,
eine europäische Transparenzinitiative auf den Weg zu bringen. Ziel dieser
Initiative ist die Schaffung eines Gemeinschaftsrahmens für berufsethische
Grundsätze, die für EU-Entscheidungsträger und Lobbyisten gelten sollen. Noch
für 2005 ist die Veröffentlichung eines Grünbuchs vorgesehen, mit dem die Diskussion
darüber angestoßen werden soll, wie dieses Ziel erreicht werden kann.
Um die Transparenz der Arbeiten der
Kommission zu erhöhen, hat die Kommission bereits am 8. November 2005 ein öffentliches
Verzeichnis der rund 1300 Expertengruppen eingerichtet, die an der Erarbeitung
von Legislativvorschlägen und Maßnahmen mitwirken.
EP-Abstimmung
über den Jahresbericht 2004 des Bürgerbeauftragten
Das EP hat am 8. November 2005 den Jahresbericht 2004 des Europäischen
Ombudsmanns mit
426:3:9 Stimmen angenommen. Dabei unterstützten die Parlamentarier den
Ombudsmann darin, einen gemeinsamen Verhaltenskodex (code of good administrative
behaviour") für alle europäischen Institutionen zu erstellen. Gleichzeitig
bat ihn die Petitionskommission des EP darum, das Konzept der schlechten Verwaltung"
(maladministration") präziser zu definieren, insbesondere eine
abschließende Liste der darunter fallenden Institutionen und Organisationen zu
erstellen und Beschwerden kategorisch auszuschließen, die in den Verantwortungsbereich
der nationalen Verwaltung fallen.
Über den Jahresbericht 2004 des
Europäischen Bürgerbeauftragten berichteten wir in Ausgabe 10 aus 2005 der Nachrichten aus
Brüssel.
EGMR:
Klagen wegen überlanger Verfahrensdauer in Deutschland
Deutschland muss sich wegen der langen
Dauer eines Zivilgerichtsverfahrens seit dem 9. November 2005 vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) (Sürmeli
gegen Deutschland, englisch) verantworten. Der Kläger sieht sich in Art. 6
Abs. 1 S. 1 EMRK verletzt, wonach jede Person ein Recht auf ein faires Verfahren
hat, welches öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist verhandelt wird.
In einem anderen Verfahren wegen
überlanger Verfahrensdauer liegt bereits seit dem 10. November 2005 ein Urteil
vor: Darin verurteilt der EGMR die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung
von Art. 5 Abs. 3 EMRK, wonach jede Person während der Untersuchungshaft einen
Anspruch auf ein Urteil innerhalb einer angemessenen Frist, oder auf Entlassung
während des Verfahrens hat. Er weist die Klage aber insoweit zurück, als dass
eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 S. 1 gerügt wurde. Er führte dazu aus, dass
die ausreichende Berücksichtigung einer überlangen Verfahrensdauer in der
Strafzumessung dazu führe, dass die Opfereigenschaft des Klägers und damit die
Beschwerdebefugnis gem. Art. 34 EMRK entfiele.
Impressum Bundesrechtsanwaltskammer, Büro Brüssel,
Avenue de Tervuren 142-144, B-1150 Brüssel, Tel: 0032-2-743 86 46, Fax:
0032-2-743 86 56, E-Mail: brak.bxl@brak.be Redaktion und Bearbeitung: RAin Dr. Heike Lörcher, RA Dr. Wolfgang Eichele, LL.M. und RAin Mila Otto, LL.M. |
Der
Newsletter ist im Internet unter www.BRAK.de
abrufbar und kann auch dort be- oder abbestellt werden.
Wenn
Sie diesen Newsletter zukünftig nicht mehr erhalten möchten, schreiben Sie
bitte eine E-Mail an brak.bxl@brak.be.