Asylbewerberleistungsgesetz

Die Bezahlkarte – alles kann, nichts muss?!

Der Ausschuss Migrationsrecht der BRAK kritisiert die vorgesehene und beschlossene Einführung der Bezahlkarte für Personen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen.

19.03.2024Gesetzgebung

Die nun vorgesehene Bezahlkarte ist eine guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion, die ohne Verknüpfung mit einem herkömmlichen Girokonto funktioniert. Es besteht für die Verwaltung die technische Möglichkeit, laufend Einsicht in den aktuellen Guthabenstand der Karte zu nehmen sowie eine sofortige Kartensperrung zu erwirken. Darüber hinaus lässt sich der Einsatzbereich der Karte einschränken. Dies kann mittels Bindung der Karte an ein ausgewähltes Postleitzahlengebiet oder auch durch den Ausschluss bestimmter Händlergruppen erfolgen. Die konkrete Ausgestaltung der Bezahlkarte soll den Ländern obliegen. Der Ausschuss Migrationsrecht sieht die Bezahlkarte kritisch.

„Allein diese Auflistung der Möglichkeiten der Einschränkung zeigen das Einfallstor für massive Grundrechtseingriffe auf und lassen zudem auch datenschutzrechtliche Bedenken aufkommen“, sagt Rechtsanwältin Claire Thérèse Deery (Mitglied des Ausschusses Migrationsrecht).

Die Personen, die eine solche Karte erhalten könnten, dürften zumindest Empfänger von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG sein. Das heißt, dass neueingereiste Personen für die ersten drei Jahre eingeschränkte Leistungen erhalten und erst danach Leistungen auf dem Niveau des SGB XII. Für diese Gruppe wurde kürzlich die Bezugszeit von 18 auf 36 Monate durch das Rückführungsverbesserungsgesetzverdoppelt. Schon die nunmehr vorgenommene Änderung der Verlängerung der Vorbezugszeiten auf drei Jahre dürfte im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest zu prüfen sein. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat dies jüngst in einem Gutachten festgehalten. Diese Gesetzesänderung wird absehbar schon jetzt zu einer Klagewelle führen, da derzeit eher zu wenig Geld an Grundleistungsbezieher gezahlt wird als zu viel. Denn in diesen ersten 36 Monaten erhalten Personen rund 20 Prozent weniger als Bürgergeldempfänger. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11) festgehalten, dass Leistungskürzungen nur für einen kurzen Zeitraum und nur dann zulässig sind, wenn nachvollziehbar berechnet und nachgewiesen werden kann, dass tatsächlich in der ersten Zeit ein geringerer Bedarf besteht gegenüber dem Rest der Bevölkerung. Eine solche Begründung fehlt nach wie vor, obwohl das Bundesverfassungsgericht am 19.10.2022 seine Rechtsprechung nochmals bekräftigt und damit eine weitere verfassungswidrige Kürzung des Gesetzgebers aufgehoben hat. Fast anderthalb Jahre später ist diese noch immer nicht gesetzlich umgesetzt worden.

Diese geringe Geldsumme ist dann zusätzlich durch die Bezahlkarte nunmehr nicht frei einsetzbar oder verfügbar. Die Bezahlkarte führt zu einer weiteren Rechtsunsicherheit und Unklarheit im Anwendungsbereich des AsylbLG.

Bei der betroffenen Personengruppe werden durch die Einführung der Karte Teilhabemöglichkeiten am sozialen und wirtschaftlichen Leben nun für jedenfalls 36 Monate erheblich abgeschnitten. Denn es kann von außen reglementiert werden, welche Waren Menschen wo einkaufen können, ob und wieviel Bargeld sie abheben dürfen und Überweisungen sind ausgeschlossen.

Die Raten für den Rechtsbeistand, Dolmetscherleistungen, Zuzahlungen für Medikamente, Geld für die Klassenfahrten oder die Möglichkeit, Dinge günstig auf dem Flohmarkt oder über Kleinanzeigen zu kaufen – all dies ist durch die Ausgestaltung der Karte nur noch durch Debitzahlung möglich. Die Schwierigkeiten liegen auf der Hand. Denn bei der Verbraucherstichprobe, die den Warenkorb bestimmt und der bei der Berechnung der Leistungen des Existenzminimums zugrunde gelegt wurde, konnte ein uneingeschränkter Zugang zu den Waren als Voraussetzung angenommen werden.

Im Hinblick auf die Inanspruchnahme anwaltlicher Leistungen führt die Einführung einer Bezahlkarte mittelbar dazu, dass die Betroffenen in ihren Verfahrensrechten aus Art. 6 Abs. 1, 3c EMRK erheblich beschränkt werden bzw. dieses Recht vollständig vereitelt wird. Denn ob die ausgewählte Kanzlei eine Zahlung per Debitkarte akzeptiert, ist überaus fraglich. Das Recht auf freie Anwaltswahl ist ein zentrales Verfahrensgrundrecht in allen rechtsstaatlichen Justiz- und Verwaltungsverfahren und folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren („fair trial“). In Deutschland ist dieses Recht in § 3 BRAO normiert. Als Verfahrensgrundrecht folgt es aus dem in Abs. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip sowie aus den allgemeinen Freiheitsrechten. Unter dem Begriff der freien Anwaltswahl ist das Recht einer jeden Person zu verstehen, sich in allen Rechtsangelegenheiten durch einen Rechtsanwalt eigener Wahl beraten und vor Gericht, Schiedsgerichten oder Behörden vertreten zu lassen. Dieses Recht wird Personen aber genommen, die anwaltliche Honorare nicht zahlen können und gegebenenfalls keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe wegen der Aussichtslosigkeit des Verfahrens haben. Anwältinnen und Anwälte obliegt es aber nach § 49b BRAO, zumindest die gesetzlichen Gebühren nach dem RVG zu beanspruchen. Diese Beschneidung der Verfahrensgrundrechte tritt selbst dann ein, wenn eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt das Mandat ausnahmsweise pro bono übernimmt. Tätigkeiten, die pro bono kostenlos erfolgen, sind wegen des Gebührenunterschreitungsverbots des § 49b Abs. 1 S. 1 BRAO nämlich nur sehr begrenzt möglich und ansonsten unzulässig, da geringere Gebühren und Auslagen nur gefordert werden dürfen, soweit das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz dies vorsieht, z.B. bei der Beratung gemäß § 34 RVG.

Die pauschale Gewährung der Leistungen auf eine Bezahlkarte bringt zudem die Gefahr mit sich, dass das Existenzminimum nicht mehr eingehalten werden kann.

Grundsätzlich muss nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus 2012 der Bedarf des Existenzminimums stets sichergestellt werden; dieser darf eben nicht migrationspolitischen Erwägungen zum Opfer fallen.

Es ergeben sich enorme Zweifel, ob die bisher zur Begründung vorgetragenen Erwägungsgründe zur Notwendigkeit der Karte überhaupt tragfähig vorliegen. Es dürfte mittlerweile erkennbar sein, dass Auslandsüberweisungen nicht als Grund herhalten können. Dies hat auch der wissenschaftliche Dienst der Bundesregierung in einem Gutachten festgehalten und dürfte auch eine rein verfassungswidrige migrationspolitische Erwägung sein.

Eine weitere Erwägung dürfte eine Einsparung des Verwaltungsaufwandes sein. Dieses Argument dürfte nicht stichhaltig sein. Denn um keine erheblichen Einschränkungen im Alltag zu erleiden, wird jeder Bezieher der Karte einen Antrag beim Sozialamt stellen müssen, um die Möglichkeit der Barauszahlung prüfen zu lassen oder Überweisung und Lastschrift nach Autorisierung durch die Sachbearbeitende im Sozialamt im Einzelfall zu erwirken.

Es ist damit zu rechnen, dass dadurch weitere Bürokratie und Rechtsstreitigkeiten entstehen. Der Gesetzgeber hat das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gemäß Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu gewährleisten.

Durch die Möglichkeit der Ungleichbehandlung bis hin zu grundrechtseingreifenden Einschränkungen, die nur hinnehmbar sind, wenn sie verhältnismäßig sind, dürfte zweifelsohne ein Eingriff in die Handlungs- und Bewegungsfreiheit gegeben sein. Es steht zu befürchten, dass eine „Versteckte Residenzpflicht“ eingeführt wird.

Festzuhalten bleibt:

Ob und inwieweit dieser Eingriff in das Existenzminimum einer Prüfung statthalten kann, richtet sich an der konkreten Ausgestaltung der Bezahlkarte.

Ist der Eingriff zu restriktiv, führt er zu grundrechtseinschränkenden und verfassungswidrigen Defiziten in der Leistungsgewährung. Damit wird die Bezahlkarte ein Ausgrenzungsinstrument, durch das der Verwaltungsaufwand für den Rechtsstaat nicht geringer werden wird.

Weiterführende Links:

Bezahlkarte für Geflüchtete Ich weiß, was Du auf dem Konto hast; Dr. Matthias Eichfeld, LTO v. 28.02.2024
Dokumentation: Push- und Pull-Faktoren in der Migrationsforschung; © 2020 Deutscher Bundestag WD 1-3000-027/20
Umstellung auf Bezahlkarten:  Bundesregierung weiß nicht, wie viel Geld Asylsuchende in die Heimat überweisen; David Böcking, SPIEGEL Wirtschaft v. 15.02.2024