Grußwort der Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB

Verleihung des Karikaturpreises der Deutschen Anwaltschaft an Hans Traxler am 26. September 2012 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Traxler ,
lieber Herr Präsident Filges,
sehr geehrte Frau Augstein ,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

„eine gute Karikatur ist dem Menschen ähnlicher als der Mensch sich selbst“, schreibt der norwegische Dramatiker Gunner Heiberg .

Die Anforderungen an den Urheber einer guten Karikatur gehen über die handwerklichen Fähigkeiten am Zeichenbrett – die allerdings im juristischen Sinne conditio sine qua non sind – weit hinaus.

Der Karikaturist muss zugleich gesellschaftspolitischer Kenner, scharfer Beobachter und kritischer Denker sein – und er muss über eine große Portion Humor verfügen. Lassen Sie mich es einmal so formulieren: Juristerei und Humor drängen sich als Synonym für ein untrennbar miteinander verwobenes Duo nicht unbedingt auf.

Böse Zungen unterstellen gar, dass Juristen dem gelegentlichen Vorwurf mangelnden Humors einfach dadurch begegnet sind, dass sie selbst festgelegt haben, wo die Grenze zwischen Scherz und Straftat verläuft und wann Satire zur Beleidigung wird.

Meine Damen und Herren,

leider muss man sich gerade in diesen Tagen wieder besonders fragen, ob und wann Grenzen überschritten wurden und ob Satire im Sinne Kurt Tucholskys wirklich „alles“ darf.

Aktuell fühlen sich Menschen von Karikaturen auf den Titelblättern verschiedener Satirezeitschriften in ihren religiösen Gefühlen verletzt. Den richtigen Umgang mit derartigen Einzelfällen zu finden, ist in erster Linie jedoch kein juristisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem. Wir alle sind aufgefordert, für freiheitliche Werte, für ein Klima respektvollen Umgangs und für ein friedliches Zusammenleben einzutreten. Dabei kann gerade auch die Karikatur mit Zuspitzungen und humorvollem Fingerzeig ein wichtiges Instrument sein.

Laut Bundesgerichtshof ist es der Satire „wesenseigen, mit Übertreibungen, Verzerrungen und Verfremdungen zu arbeiten“ . Ebenso wie bei einer Wortsatire deshalb die Grenzen des guten Geschmacks und des einwandfreien Sprachgebrauchs überschritten werden dürfen , ist auch die Karikatur – unabhängig von ihrem inhaltlichen Niveau oder ihrer künstlerischen Gestaltung – in rechtlicher Hinsicht zu akzeptieren. Dies gilt jedenfalls, soweit sie nicht die von der Rechtsordnung gezogenen Grenzen, wie das Verbot unzulässiger Schmähkritik und der Beleidigung überschreitet oder sogar die Menschenwürde verletzt .

Selbst wenn diese juristische Merkmale nicht erreicht sein sollten, darf und muss sich eine Gesellschaft aber entschieden gegen diejenigen stellen, die die Kunst- oder Meinungsfreiheit allein dazu missbrauchen, um bewusst religiöse Gefühle anderer herabzuwürdigen.

Das Recht der freien Meinungsäußerung erlaubt nämlich auch, Kritik und Missfallen an Provokateuren zu äußern – gerade das ist es ja, was unseren freiheitlichen Rechtstaat ausmacht.

Meine Damen und Herren,

Kunst und Recht bewegen sich von jeher in einem Spannungsfeld. Schon dass die Kunst „frei“ sei, ist für Juristen ein schwerer Ansatz – schließlich ist ja ein Kern ihrer Arbeit, die gesellschaftliche Wirklichkeit durch Rechtsbegriffe zu ordnen.

Der findige Jurist hat sich über diese Problematik mit einer einfachen Lösung hinweggeholfen, nämlich durch Proklamation von Kunst als einen „relativen Rechtsbegriff“. Als solcher sei es für die Kunst nämlich ganz natürlich, dass sie – je nach Zusammenhang – vollkommen unterschiedliche Bedeutung haben könne.

Während ein Kunstwerk nach Definition des Reichsgerichts übrigens noch etwas „mit Darstellungsmitteln der Kunst Hervorgebrachtes“ war, stellte das Bundesverfassungsgericht auf die „freie schöpferische Gestaltung“ ab, „in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“.

Der Bundesgerichtshof verlangt Ende der fünfziger Jahre nicht nur eine gewisse “künstlerische Gestaltungshöhe“ für ein Werk, sondern beantwortete auch gleich die eigentlich spannende Frage, wann diese denn erreicht sei. Das Gericht verwies zur Beurteilung auf die “für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise“ .

Da die Auswahl des heutigen Preisträgers von untadeligen Beratern und Fachleuten getroffen wurde, ist also auch in strenger Auslegung der damaligen BGH-Rechtsprechung der Nachweis der erforderlichen Gestaltungshöhe erbracht worden.

Falls Sie es also noch nicht wussten, lieber Herr Traxler: Sie haben auch im klassischen juristischen Wortsinne Kunst erschaffen – und es freut mich sehr, dass diese heute ausgezeichnet wird.

Lassen Sie mich noch einen Schlusssatz ergänzen, gerade weil es sich um eine von der Bundesrechtsanwaltskammer initiierte Auszeichnung handelt: Bei aller Wichtigkeit und bei aller Ernsthaftigkeit der Themen, mit denen wir Juristen uns Tag für Tag beschäftigen, darf man auch über sie niemals den Humor verlieren.

Gerade das lehrt uns kaum eine Kunstform so eindringlich wie die Karikatur.

In diesem Sinne, lieber Herr Traxler, sind wir Ihnen auch zu Dank verpflichtet – herzlichen Glückwunsch zum Karikaturpreis!