Pflegeversicherung

BVerfG entlastet Familien ab zwei Kindern

Ob Einzelkind oder Großfamilie: Alle Eltern zahlen dasselbe für die Pflegeversicherung. Das ist verfassungswidrig - aber auch nur das, so das BVerfG.

25.05.2022Rechtsprechung

Wer Kinder hat, lebt teurer,  zu den Realkosten des Nachwuchses kommen die Opportunitätskosten hinzu, vor allem entgangene Erwerbs- und Versorgungschancen von Müttern. Nach aktueller Rechtslage zahlen Eltern deshalb weniger Beitrag für die Pflegeversicherung als Kinderlose. Dieser Unterschied geht zurück auf das sog. Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2001. Damals hatten die Karlsruher Richterinnen und Richter entschieden, dass Kinderlose mehr Pflegeversicherungsbeiträge zahlen müssen als Eltern, die Kinder betreuen und erziehen und so auch einen zusätzlichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystem leisteten.

Nun greifen die Verfassungsrichter erneut in das System der Pflegeversicherung ein: Dass seitdem zwar zwischen Eltern und Kinderlosen unterschieden, nicht aber danach differenziert werde, wie viele Kinder jemand großzieht, verletze ebenfalls den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Wie am Mittwoch bekannt wurde, hat der Erste Senat hierüber bereits im April entschieden (BVerfG, Beschl. v. 07.04.2022, Az. 1 BvL 3/18, 1 BvR 2824/17, 1 BvR 2257/16, 1 BvR 717/16). Der Gesetzgeber muss nun bis zum 31. Juli 2023 nachbessern.

Gleichzeitig stellt das BVerfG aber auch klar, dass es an der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung nichts auszusetzen hat. Die dort gleich hohen Versicherungsbeiträge für Mitglieder mit und ohne Kinder verletzten keine Grundrechte, so die Karlsruher Richter und Richterinnen. .

Pflegeversicherung: Große Benachteiligung signifikant vieler Familien

Die im Bereich der Pflegeversicherung erforderliche Differenzierung je nach der Anzahl der Kinder beginnt aus Sicht des Senats schon bei mehr als einem Kind: Schon dann steige der wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung substanziell an.

Diese Benachteiligung werde innerhalb des geltenden Systems auch nicht ausgeglichen. Dass auch die Kinder Versicherungsschutz erhalten, bewertet das BVerfG als marginal: Kinder hätten schließlich ein geringes Risiko der Pflegebedürftigkeit.

Die gleiche Beitragsbelastung aller Eltern sei auch insgesamt nicht verhältnismäßig. Den Anteil der Familien, die mehr als ein Kind haben, bezeichnet das BVerfG als signifikant, ihre Benachteiligung - unabhängig von der verhältnismäßig geringen Höhe der Pflegeversicherungsbeiträge - als “von einigem Gewicht”. Den Verwaltungsaufwand, den eine Berücksichtigung der Anzahl der Kinder mit sich brächte, sehen die Karlsruher Richterinnen und Richter dagegen als überschaubar an. Bei der Umsetzung der Neuregelung müsse der Gesetzgeber auch nicht zwingend kinderlose Versicherte oder solche mit nur einem Kind stärker belasten, sondern könne sich auch mit steuerfinanzierten Bundeszuschüssen behelfen. 

Gesetzliche Renten- und Krankenversicherung: Lasten fair verteilt

In der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung dagegen sieht das BVerfG keinen Änderungsbedarf. Dort müsse nicht einmal zwischen Kinderlosen und Eltern unterschieden werden, eventuelle Nachteile durch die Kinderbetreuung würden bereits kompensiert, argumentiert der Senat.

In der Rentenversicherung werde der wirtschaftliche Erziehungsaufwand von Eltern berücksichtigt und ausgeglichen vor allem durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten (§ 56 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VI) und die eigenständige Rentenanwartschaft (§ 70 ABs. 1 SGB VI).

In der gesetzlichen Krankenversicherung würden Familien einerseits durch beitragsfreie Familienversicherungen entlastet, ihr wirtschaftlicher Erziehungsaufwand werde aber auch im Übrigen kompensiert. Anders als in der Pflegeversicherung profitierten von den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherer auch Kinder und Jugendliche erheblich.

Dass beitragspflichtige Eltern in das Umlagesystem der gesetzlichen Krankenversicherer häufig mehr einzahlen, als sie und die mitversicherte Familie herausbekommen, ist für die Karlsruher Richterinnen und Richter kein Argument: Da gehe es ihnen nicht schlechter als Kinderlosen, die häufig noch wesentlich mehr einzahlten, als sie an Leistungen in Anspruch nähmen und so insbesondere die beitragsfreie Mitversicherung für Familien mitfinanzierten.