Divergenzanfrage

Kontrollpflichten bei Fristsachen: Änderung der Rechtsprechung?

Der 6. Senat will die bisherige BAG-Rechtsprechung ändern und – wie der BGH - die Sorgfaltspflichten von Anwälten in Fristsachen lockern.

10.06.2024Rechtsprechung

Der Sechste Senat des BAG will künftig die Auffassung vertreten, dass Rechtsanwältinnen und -anwälte die ihnen obliegende Sorgfaltspflicht in Fristsachen nicht verletzen, wenn sie den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen nur über die Vermerke in der Handakte prüfen, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen. Einer zusätzlichen Prüfung, ob das Fristende auch tatsächlich korrekt im Fristenkalender eingetragen ist, soll es dann nicht mehr bedürfen (Beschl. v. 23.05.2024, Az. 6 AZR 155/23).

Mit dieser Auffassung möchte sich der sechste Senat der Rechtsprechung des BGH anschließen. Danach müssen Rechtsanwältinnen und -anwälte den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar immer dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihnen die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung (insbesondere zu deren Bearbeitung) vorgelegt werden. Die Prüfung muss sich dann auch auf alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten erstrecken. Allerdings ist der BGH  der Auffassung, dass es dabei eben grundsätzlich reicht, wenn lediglich die Vermerke überprüft werden (Beschl. v. 17.05.2023, Az. XII ZB 533/22; Beschl. v. 19.10.2022, Az. XII ZB 113/21).

Anders sahen das bislang der Erste, Dritte, Achte und Neunte Senat des BAG. Ihrer bisherigen Rechtsprechung zufolge müssen Rechtsanwältinnen und -anwälte in einer solchen Situation neben der Rechtsmittelfrist selbst auch die ordnungsgemäße Notierung der Rechtsmittelbegründungsfrist im Fristenkalender kontrollieren. Hiernach reichte also eine Kontrolle anhand der Handaktenvermerke gerade nicht aus (Urt. v. 10.01.2003, 1 AZR 70/02; Beschl. v. 17.10.2012, Az. 3 AZR 633/12; Urt. v. 31.01.2008, Az. 8 AZR 27/07 und Urt. v. 18.06.2015, Az. 8 AZR 556/14; Beschl. v. 18.01.2006, Az. 9 AZR 454/04).

Der sechste Senat hat deshalb nach § 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG eine Divergenzanfrage an die vier anderen Senate gestellt und den Rechtsstreit entsprechend § 148 ZPO bis zu ihrer Beantwortung ausgesetzt.