Fristverlängerungsantrag ans falsche Gericht

Doppelt verwirrte ReFa wird dem Anwalt nicht zugerechnet

Einem Anwalt, der versehentlich an das erstinstanzlich zuständige Gericht geschrieben hat, wird das Verschulden der ansonsten zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten nicht zugerechnet, wenn sie, nachdem er nach der Unterzeichnung die falsche Adresse bemerkt und angeordnet hatte, den falschen Schriftsatz zu schreddern, nach der Unterzeichnung des richtig adressierten Schriftsatzes dann doch den falschen versendet.

25.01.2022Rechtsprechung

Eine klagende Partei, die bis zum 1. Dezember ihre Berufung hätte begründen müssen, wurde vom Oberlandesgericht als Berufungsinstanz am 7. Dezember darauf hingewiesen, dass die Berufung wegen Verfristung wohl verworfen werden würde.

Zur Erklärung seines anschließend gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erklärte der Anwalt der Klägerin, fristgerecht am 1. Dezember sei ein Antrag auf Fristverlängerung für die Berufungsbegründung fertig gestellt worden. Nach der Unterzeichnung sei ihm aufgefallen, dass dieser versehentlich an das erstinstanzlich zuständige Landgericht adressiert war und er habe seine ansonsten stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte angewiesen, den Schriftsatz zu schreddern und einen Antrag mit der richtigen Adressierung zu fertigen. Gesagt, getan - allerdings habe die Mitarbeiterin, die den ersten Antrag offenbar noch nicht geschreddert hatte, nachdem er den richtig adressierten zweiten Antrag unterzeichnet hatte, versehentlich dann doch den ersten Antrag verschickt. Die ReFa bestätigte all das per eidesstattlicher Versicherung.

Der IV. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) sieht in der dennoch erfolgten Verwerfung der Berufung als unzulässig eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Der Klägerin sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.

Wenn ein Anwalt erst nach der Unterschrift eines Rechtsmittels feststellt, dass es falsch adressiert ist, reiche es nach der ständigen Rechtsprechung des BGH aus, eine zuverlässige Bürokraft anzuweisen, eine neue, richtig adressierte Berufungsschrift zu erstellen, ihm zur Unterschrift vorzulegen, diese dann zu unterzeichnen und der Bürokraft zur Versendung zu übergeben.  Der Anwalt darf sich dann ohne weitere Vorkehrungen darauf verlassen, dass die in der Vergangenheit stets zuverlässige Bürokraft tut, was ihr gesagt wurde und die richtig adressierte Rechtsmittelschrift an das richtige Gericht schickt (BGH, Beschl. v. 15.12.2021, Az. IV ZB 11/21). Mehr von ihm zu verlangen, wie es das Berufungsgericht getan hatte, würde die Anforderungen an den Anwalt in solchen Fällen überspannen, so der BGH.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts musste der Anwalt laut dem BGH-Senat auch nicht weiter dazu vortragen, was aus dem richtig adressierten Schriftsatz geworden war. Es reiche aus, dass er den Auftrag gegeben hatte, diesen zu schreddern. Auch insoweit dürfe er sich darauf verlassen, dass die ReFa seinen Anweisungen Folge leiste. Die Verwechslung der beiden Schriftsätze und die Vernichtung des falschen trotz der ausdrücklichen Ansage des Anwalts sei allein auf das Verschulden der Bürokraft zurückzuführen, weder Vernichtung noch Versand müsse der Anwalt überwachen. Das Verschulden seiner Mitarbeiterin sei ihm daher nicht zurechenbar.