Grußwort der Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Christiane Wirtz

Grußwort der Staatsekretärin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz Christiane Wirtz anlässlich der Verleihung des 11. Karikatur-preises der deutschen Anwaltschaft am 15. November 2018 in Berlin.

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Wessels,
sehr geehrter Herr Scharf,
sehr geehrter Herr Remmers,
sehr geehrter Herr Sonntag,
sehr geehrter Herr Selvi,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich grüße Sie herzlich zum diesjährigen Karikaturenpreis der Bundesrechtsanwaltskammer. Nachdem Sie vor zwei Jahren in Hannover waren, sind Sie dieses Mal in der Box. Genau genommen in der „Humboldt-Box“, die nur temporär besteht und vor allem dazu dient, den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zu finanzieren.

Stadtschloss, Bauen, von der öffentlichen Hand - und das auch noch in Berlin? Sie merken schon: dieser Ort ist wie gemacht für eine Veranstaltung, die sich um Karikaturen dreht.

Die Karikaturen, die anlässlich der Grundsteinlegung des Berliner Stadtschlosses geschaffen wurden, sind ein gutes Beispiel dafür, wie beißend und entlarvend Karikaturen sein können. Zum Beispiel, wenn zu Beginn eines Bauprojekts der öffentlichen Hand die Baukosten thematisiert werden, die meistens viel zu niedrig ausfallen und so wirken, als seien sie nur geraten worden. Und so war dieses Stadtschloss schon bei seiner Grundsteinlegung dem Spott der Karikaturistinnen und Karikaturisten ausgesetzt.

Und dann sieht man auch den eigentlichen Gegenstand von Karikaturen: es sind nicht Gebäude oder Pläne. Der Spott richtet sich vielmehr gegen diejenigen, die hinter diesen Plänen stehen. Die Karikatur richtet sich gegen die Verantwortlichen, sie prangert Missstände an.

Karikaturen und Politik – das ist eine ambivalente Beziehung. Denn Politikerinnen und Politiker sind häufig die „Opfer“ des beißenden Spotts. Und weil Sie die Grußworte ja auf der Homepage veröffentlichen, betone ich hier ausdrücklich, dass ich „Opfer“ mit Anführungszeichen spreche. Denn in Wahrheit sind Politiker nicht Opfer. Sie sind Gegenstand der Berichterstattung und damit auch Gegenstand der Kritik.

Die Kritik, die durch Karikaturen vermittelt wird, kann unangenehm sein. Wenn man auf der Straße angepöbelt wird, dann berührt das vielleicht nicht so sehr. Das prallt ab. Aber der Charme und der Witz einer Karikatur, die vordergründig witzig ist, die aber zugleich die eigene Schwäche und den eigenen Fehler offenbart – das ist oft ein Wirkungstreffer.

Ich finde es jedenfalls spannend, dass Sie als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einen Preis für Karikaturen ausloben. Warum gerade die Anwälte? Ist das nur Kulturförderung?

Oder ist es die Versinnbildlichung dafür, dass sich Karikaturen  stets auf der Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem befinden?

Keine Sorge: Ich werde mich nun nicht dazu auslassen, was Satire darf und was nicht. Und ich erspare Ihnen auch Tucholsky. Aber es ist bemerkenswert, dass satirische Kunst im Allgemeinen und Karikaturen im Besonderen immer wieder so große Emotionen auslösen.

Die meisten Menschen und sicher alle in diesem Raum werden Karikaturen als wichtige Kunstform loben und ihren besonderen politischen Charakter unterstreichen. Weil Karikaturen schon früh und oft wirksamer als ein Leitartikel politische Verhältnisse angeprangert haben.

Und so wird die Karikatur genauso verteidigt wie der Karikaturist oder die Karikaturistin. Wer sich darüber aufregt, dass eine Karikatur eine politische Aussage unzulässig verdreht, der gilt schnell als humorlos, kritikunfähig oder Zensor.

Und tatsächlich ist der Spott, den eine Karikatur vermittelt, ja oft auch nur ein Ventil, das Druck aus einem Kessel lässt. Eine gute Karikatur ist nicht nur bissig, sondern auch witzig und ein Stück weit versöhnlich.

Aber wenn das so ist, kann man sich fragen, warum Karikaturen immer wieder auch so extrem negative Diskussionen auslösen. Warum fühlen sich Menschen von ihnen provoziert? Warum erhitzen sie so sehr die Gemüter?

Viel schwieriger wird es, wenn man dieses Umfeld verlässt.

Wenn ich zum Beispiel Karikaturen in rechtsextremen Zeitungen anschaue, sei es meine Ministerin, sei es über die SPD, dann sehe ich da weder Tiefgründigkeit noch Witz, sondern meistens nur abgeschmackte Vorurteile verbunden mit rassistischer Hetze. Die Bundesregierung wird verzerrt und aggressiv dargestellt. Oder man nehme die zahlreichen antisemitischen Karikaturen, in denen israelische Politikerinnen und Politiker mit Hakennase und sonstigen antisemitischen Klischees gezeichnet werden. Schmunzeln kann ich darüber nicht.

Und ich bin wahrlich eine Gegnerin der Zensur. Wir werden auch einige hohle und abstoßende Karikaturen aushalten müssen. Andererseits gibt es auch Inhalte, die einfach nicht mehr in Ordnung sind und die die Grenze des rechtlich Zulässigen überschreiten.

Aber es ist der Staat, der einschreiten muss, nicht der normale Bürger. In einer Demokratie gilt: Weder drohen wir mit Gewalt, noch akzeptieren wir gewaltsame Einschüchterung, wenn es um Meinungsfreiheit geht. Die Anschläge auf Charlie Hebdo waren ein klarer und schrecklicher Ausdruck dessen, was passiert, wenn Menschen sich dieser Maxime nicht anschließen. Timothy Garton Ash nannte diese Art der Unterdrückung der Meinungsfreiheit das „Veto des Mörders“. Jemand, der bereit ist, Gewalt, im Zweifel sogar tödliche Gewalt, anzuwenden, ist in der Lage, bei der Meinungsfreiheit ein Veto auszusprechen, dem sich viele beugen. „Sich einer realen oder auch nur putativen Gewaltandrohung zu beugen, ist zu einer chronischen Schwäche freier Gesellschaften geworden“, schrieb Timothy Garton Ash dazu.[1]

Dass dieses Veto des Mörders sehr aktuell ist, zeigte am Mittwochabend ein Blick in die Zeitung. „Rechtsextreme verhindern Aufführung von Feine-Sahne-Fischfilet-Film“. Mit einem Drohschreiben, in dem sie den Geschäftsführer eines Kinos mit dem Tod bedrohen, verhindern Nazis, dass ein Film gezeigt wird.

Meine Damen und Herren, wir dürfen uns dem Veto des Mörders nicht beugen. Gewaltsame Einschränkungen der Meinungsfreiheit dürfen wir nicht hinnehmen. Von niemandem, egal aus welchen Gründen. Wenn man Einschüchterungen nachgibt, vermittelt man gewaltbereiten Menschen nur, dass ihre Drohungen funktionieren, und ermutigt sie zu neuen Drohungen. Diesen Menschen muss mit der ganzen Strenge des Gesetzes entgegen getreten werden.

Aber gehen wir weg von denjenigen, die die Freiheit einschränken, und wenden uns wieder denen zu, die sie leben und verteidigen. Die Bundesrechtsanwaltskammer zeichnet heute gute Karikaturen aus. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die harte Arbeit derjenigen, die mit ihren Karikaturen die Gesellschaft zum Besseren verändern wollen.

In den Vergabekriterien heißt es wörtlich, dass hier Künstler ausgezeichnet werden, die sich „für eine gerechtere und menschlichere Welt einsetzen“. Und weiter: „Wie Rechtsanwälte ergreifen Karikaturisten Partei für Benachteiligte und Schwache und unterstützen sie im Kampf gegen Unrecht, Missachtung, Trägheit und Ignoranz.“ Wow. Da kann man nur sagen, wie gut, dass wir Anwälte – und natürlich auch Karikaturisten – haben.

Einen dieser Karikaturristen wollen wir heute ehren: Sefer Selvi. Er hat den Mut, sich mit einem sehr mächtigen Gegner anzulegen. Mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan, dem er schon mal die Verfassung als verballhorntes Hitler-Bärtchen auf die Oberlippe legt.

Die Karikaturen zeigen: Auch in der Türkei sind kritische Karikaturen noch möglich. Das ist natürlich nichts, was zu bejubeln wäre, denn es ist ein elementares Recht, die Herrschenden zu kritisieren. Es spricht für sich, dass wir hier Herrn Selvi für seinen Mut ehren.

Herr Selvi, Sie beweisen mit Ihren Karikaturen wahrlich Courage. Dazu gratuliere ich Ihnen recht herzlich und freue mich auf die weitere Preisverleihung. Ihnen allen noch viel Vergnügen.

Vielen Dank.

[1] Ash, Timothy Garton: Redefreiheit. Prinzipien für eine vernetzte Welt. München 2016. S.197.