Laudatio

Martin Sonntag, Leiter und Geschäftsführer der CARICATURA - Galerie für Komische Kunst, Kassel und Mitglied der Jury

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Camila de la Fuente, liebe CamdelaFu,

es ist äußerst erfreulich, dass wir heute endlich die Übergabe des schon im Jahr 2020 ausgelobten Preises vollziehen können. Es war ein langer Weg, aber er hat sich gelohnt. Denn: Es ist beeindruckend.

Sie ist beeindruckend.

„Es“ ist das Werk und „sie“ ist die Künstlerin dieses Werkes.

Ich will gleich mit der Tür ins Haus fallen und fange mit dem Abschlussabsatz dieser Rede an. Eigentlich falle ich also eher mit der Tür aus dem Haus.

Wir ehren heute eine Künstlerin, die mutig ist, die etwas zu sagen hat, und die das, was sie sagt bzw. zeichnet, in höchster Qualität umsetzt. Und genau das ist es, wofür dieser Preis steht, und deswegen hat CamdelaFu diesen Preis im hohen Maße verdient.

Es geht also um die Stichworte Qualität und Mut. Fangen wir mit der Qualität an.

Die Komische Kunst hat sich in den letzten Dekaden weiterentwickelt. Sie ist bunter geworden, die Ausdrucksformen und Stilmittel vielfältiger. Sie darf absichtslos und albern sein wie im Nonsens, sie darf ästhetisch und berührend sein, wie in der Illustration, sie darf witzig und unterhaltend sein wie im Cartoon und sie darf kritisch und scharf sein, wie in der Karikatur. CamdelaFu hat die große Gabe, viele dieser Eigenschaften kombinieren zu können. Was wir bei ihren Arbeiten sehen, ist eine Mischung aus ästhetischem Spaß, kunsthistorischen Anspielungen und deftigem Angriff. Denn CamdelaFu beherrscht einen klassischen Trick der Komischen Kunst perfekt: die Täuschung.

Auf den ersten Blick sehen manche ihrer Zeichnungen aus wie harmlose Illustrationen. Was sich aber zuerst scheinbar gefällig, lieblich oder gar harmlos gibt, entfaltet beim genaueren Hinsehen eine Schärfe und Stärke, die man hinter diesen schönen Farben und dem harmonischen Strich erst einmal nicht vermutet hätte. Bei anderen Zeichnungen wiederum zeigt schon der erste Blick, dass es hier um etwas Großes geht, um etwas Wichtiges. Und besonders dann setzt CamdelaFu weiche Kreide und Pastell ein und nimmt dem Bild die optische Schärfe. Durch diesen Kontrast – scharfe Aussage mit weich daherkommender Zeichnung – tritt die Botschaft umso stärker zutage. CamdelaFu kann es halt.

Die Macht der Zeichnung besteht nicht nur darin, Dinge zu Papier zu bringen, die im realen Leben nicht möglich sind. Die Macht der Zeichnung besteht auch darin, uns Botschaften zu senden, uns etwas zu vermitteln, ohne dass wir es womöglich auf den ersten Blick inhaltlich komplett durchdringen. Und wenn diese Botschaft über eine hohe Ästhetik vermittelt wird, wie im Fall von CamdelaFu, dann kommt sie auch an. Die Botschaft setzt sich fest, begleitet unser Denken, innerviert und ändert dadurch im besten Fall unser Handeln.

Neben der Qualität ihrer Arbeit will ich auch ihre Vielfalt nicht verschweigen. Neben ihren Zeichnungen und Illustrationen gibt es online auch einige Hundert gifs, also kurze animierte Bildsequenzen in Endlosschleife. Wir sehen etwa einen Donald Trump, der vermöbelt wird, oder dessen Ku Klux Klan-Gewand gelüftet wird wie Marilyn Monroes weißes Kleid über dem Lüftungsschacht. Wir sehen einen Mann vor einem Corona-Virus davonlaufen oder eine Frau im Hamsterrad des Feminismus endlos Kreise drehen. Auch hier trifft eine hochästhetische Bildsprache auf eine kämpferische Aussage.

Was aber ist genau das Kämpferische an CamdelafFus Arbeit?

Zur Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick in ihre Vita. Camila de la Fuente wurde 1992 in Venezuela geboren und studierte in ihrer Heimatstadt Caracas. Dort erlebte sie die autoritäre Regierung Maduro. Der immer stärker werdende Widerstand gegen dieses Regime wurde gewaltsam unterdrückt. Menschen verschwanden, wurden grundlos verhaftet, hingerichtet, öffentliche Proteste gewaltsam niedergeschlagen. 2014 emigrierte Camila de la Fuente nach Mexiko. Aber auch Mexiko ist kein Land, in dem die Meinungsfreiheit ernsthaft hochgehalten wird. Reporter ohne Grenzen stuft Mexiko als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Medienschaffende ein, in der es die Verstrickung von Politik und organisiertem Verbrechen lebensgefährlich macht, über sensible Themen zu sprechen. Zu diesen Themen gehören Korruption, Drogen- und Menschenhandel und der Femizid, der vom Machismo gedeckt wird.

Femizid und Machismo sind zentrale Themen im Engagement von Camila de la Fuente. Was steckt hinter diesen Begriffen?

Stündlich gehen bei der mexikanischen Polizei 25 Anzeigen wegen Gewalt gegen Frauen ein, und täglich werden in Mexiko 10 Frauen ermordet – zum Teil einfach, weil sie Frauen sind. Diesem Femizid, also dem Mord an Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts, wird allerdings in den seltensten Fällen intensiv nachgegangen. Die wenigsten Morde werden aufgeklärt. Als Grund hierfür wird generell eine untätige oder unwillige Justiz sowie eine tief verwurzelte, gewaltgeprägte Machokultur, der Machismo, gesehen. Diesem patriarchalischen Pakt stellt sich eine immer stärker werdende Bewegung von Frauen entgegen. CamdelaFu ist eine gewichtige Stimme dieser Bewegung. Eine ihrer bekanntesten Zeichnungen in diesem Kontext zeigt eine tote Frau, die in ihrem Blut liegt. Die Umrisse ihres Körpers zeichnen die Landesgrenzen Mexikos nach. Es ist eine starke, eine mächtige Bildsprache. Diese Zeichnung ging in den sozialen Medien viral und wurde zu einem Symbol der Bewegung.

Das mexikanische Latin-Pop-Duo Jesse & Joy, Grammy Award Gewinner von 2017, bedankten sich online ausdrücklich bei CamdelaFu für diese Zeichnung. Die Schauspielerin Sofia Niṅo de Rivera trug das Motiv bei einem Auftritt auf ihrem Hemd, und der Fußballtorwart Rodolfo Cotas, mehrfacher mexikanischer Fußball-Meister und ehemaliger Nationaltorwart, zeigte das Motiv nach einem Meisterschaftsspiel auf einem T-Shirt, das er während des Spiels unter seinem Trikot trug. Die Arbeit von CamdelaFu zieht Kreise. Wenn sich eine Bewegung hinter einem Motiv vereint, wird dieses Motiv Legende.

Aber besteht die Arbeit von CamdelaFu nur aus Kampf? Nein, mitnichten. Bei der Betrachtung ihrer Website fallen auch Illustrationen auf, die gar nichts mit einem gesellschaftlichen oder politischen Kampf zu tun haben. Wir finden Stillleben neben Tierzeichnungen und Studien. Hier ist CamdelaFu einfach Künstlerin, die sich der Wechselwirkung von Form und Farbe und dem Spiel der Fantasie hingibt. Auf ihrer Website fallen aber auch ihre Notizen und Blogbeiträge auf. Es sind kurze Einträge über aktuelle Erlebnisse auf Workshops oder auf Reisen. Manchmal anekdotisch, manchmal aber auch mit viel Tiefe. Dann spricht aus diesen kleinen Eintragungen sehr viel Wärme und Liebe zu den Menschen.

Wer die Menschen liebt, setzt sich ein. Wer die Schönheit liebt, macht Kunst. CamdelaFu vereint beides.

Ein Exkurs zum Schluss. Hector Rodriguez ist ein Künstler aus Kassel. Er kommt aus Mexiko und lebt schon lange in Deutschland. Ich traf ihn neulich zufällig und fragte ihn, ober er mir vielleicht etwas über CamdelaFu erzählen könne, ob er sie bzw. ihre Arbeiten kennen würde. Erstaunlicherweise sagte er entgegen seiner Gewohnheit nicht viel. Aber seine Augen leuchteten:

„CamdelaFu! Ihre Arbeiten sind berühmt! Sie ist toll!“ Punkt.

Wir ehren heute eine Künstlerin, die mutig ist, die etwas zu sagen hat, und die das, was sie sagt bzw. zeichnet, in höchster Qualität umsetzt. Und genau das ist es, wofür dieser Preis steht, und deswegen hat CamdelaFu diesen Preis im hohen Maße verdient.

Herzlichen Glückwunsch!

Martin Sonntag, 14. September 2022