Geheimdienstbefugnisse

Bayerisches Verfassungsschutzgesetz teils verfassungswidrig

Wie das BVerfG entschied, verstoßen einzelne Vorschriften des BayVSG gegen das Grundgesetz. Eingeschränkt gelten sie jetzt bis Juli 2023.

27.04.2022Rechtsprechung

Das bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) wurde 2016 neu gefasst und strukturiert. Es räumte dem bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz weitreichende Befugnisse ein. So dürfen zum Beispiel personenbezogene Daten heimlich erhoben und übermittelt werden – obwohl die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland derzeit ausgesetzt ist. Zudem finden sich darin Regelungen, die es dem bayerischen Verfassungsschutz erlauben, Personen online zu durchsuchen oder langfristig zu observieren.

Mitglieder von Organisationen, die der bayerische Verfassungsschutz beobachtet hatte und die auch in dessen Berichten auftauchten, hatten sich daher mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gewandt: Die verschiedenen vom BayVSG geregelten Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse für den dortigen Landesverfassungsschutz seien mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Der Erste Senat des BVerfG entschied nun, dass die Verfassungsbeschwerde überwiegend begründet sei: Mehrere Vorschriften verstoßen gegen Grundrechte, u.a. gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. Abs. 1 GG), das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) (BVerfG, Urt. v. 26.04.2022, Az. 1 BvR 1619/17).

Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung verfassungswidrig

Laut BVerfG dürfen die Behörden des Verfassungsschutzes Aufklärungen von Sachverhalten schon im Vorfeld betreiben, und zwar zum Schutz sehr wichtiger Rechtsgüter. Ihre Überwachungsbefugnisse seien daher nicht zwingend an eine Gefahr im polizeilichen Sinne gebunden, sondern ein verfassungsschutzspezifisches Aufklärungsinteresse könne ausreichen. Das bedeute aber, so der Senat, auf der anderen Seite strenge Voraussetzungen vor allem für die Übermittlung personenenbezogener Daten an andere Stellen - jedenfalls dann, wenn diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden.

Konkret betroffen sind unter anderem Normen zur Wohnraumüberwachung, Handy-Ortung oder zum Einsatz von verdeckten Mitarbeitenden und V-Leuten.

Zwar erlaube Art. 13 Abs. 4 GG die akustische und optische Überwachung von Wohnräumen, jedoch nur zur Abwehr dringender Gefahren. Die Wohnraumüberwachung müsse dabei „final“ auf die Abwehr der Gefahr gerichtet sein, so der Erste Senat. Diese Voraussetzung enthalte die Vorschrift im BAyVSG aber ebenso wenig wie eine Subsidiaritätsregelung. Aus ähnlichen Gründen erklärt das BVerfG auch die Ermächtigungsgrundlage für Online-Durchsuchungen für verfassungswidrig.

Ebenso Handyortung, V-Leute Einsatz, Übermittlung personenbezogener Daten  

Die Norm des Art. 12 Abs. 1 BayVSG, welche die Ortung von Handys regelt, sei zu weit gefasst.

So könne über einen langen Überwachungszeitraum ein „Bewegungsprofil“ von Betroffenen hergestellt werden. Dabei handele es sich um einen schweren Grundrechtseingriff, dessen Voraussetzungen die Norm nicht hinreichend bestimme. Zudem sehe die Vorschrift keine Vorabkontrolle vor.

Für den Einsatz verdeckter Mitarbeitender (Art. 18 Abs. 1 BayVSG) normiere das Gesetz gar keine Beschränkungen. Die Norm regele nicht einmal konkret, wer – auch - überwacht werden darf, wenn bestimmte Personen das Ziel einer Überwachung sind.

Die gewonnenen personenbezogenen Daten dürften außerdem nicht vom bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz weiterverarbeitet und an eine öffentliche Stelle übermittelt werden.

Eine geeignete Übermittlungsvoraussetzung sei nicht genannt, eine Übermittlung wäre zudem laut dem Senat nur möglich, wenn ein besonders wichtiges Rechtsgut geschützt werden soll.

Normen gelten vorübergehend weiter – ein bisschen

Art. 15 Abs. 3 BayVSG, eine Norm zur Auskunft über Verkehrsdaten aus Vorratsdatenspeicherung, erklärt das BVerfG wegen Unklarheit sogar für nichtig. Die anderen beanstandeten Regelungen seien zwar mit der Verfassung unvereinbar, sie gelten aber vorübergehend - mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch nach einschränkenden Maßgaben – noch bis zum Ablauf des 31. Juli 2023 fort.

Der Verfassungsschutz dürfe daher bspw. nur tätig werden, wenn eine polizeiliche Hilfe nicht rechtzeitig erlangt werde. Zudem sei eine maximal sechsmonatige Frist für den Einsatz verdeckter Mitarbeitender vorgesehen.

So dürfte auch anderen Landesgesetzgebern noch Zeit bleiben, ihre Regelungen neu zu fassen. Während das bayerische Gesetz 2016 noch als das strengste in Deutschland galt, haben einige Bundesländer zwischenzeitlich nachgezogen und – mit Ausnahme der Vorratsdatenspeicherung - ähnlich umfangreiche Befugnisse für den Verfassungsschutz in ihre Gesetze aufgenommen.