BGH zum Straßenverkehr

Bei beidseitiger Fahrbahnverengung hat niemand Vorfahrt

Die Fahrer müssten aufeinander Rücksicht nehmen und selbst regeln, wer zuerst fährt. Ein Vorrang ergebe sich für keinen, so der BGH.

05.05.2022Rechtsprechung

Im Falle einer beidseitigen Fahrbahnverengung werden zwei Fahrstreifen in einen Fahrstreifen überführt. Dies löse keinen Vorrang für Fahrerinnen oder Fahrer auf einer der beiden bisherigen Fahrspuren aus, so der Bundesgerichtshof mit einem vor kurzem veröffentlichten Urteil  (BGH, Urt. v. 08.03.2022, Az. VI ZR 47/21).

Der Entscheidung lag ein Unfall im Oktober 2018 zugrunde. Eine Autofahrerin hatte die rechte Fahrspur befahren, während sich auf der linken Fahrbahn ein LKW-Fahrer befand. Nachdem ein Verkehrsschild auf eine beidseitige Fahrbahnverengung hinwies, zog der LKW-Fahrer nach rechts und kollidierte mit der Autofahrerin. Er hatte diese jedoch nicht gesehen. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

Die Halterin des Kfz forderte schließlich gerichtlich Ersatz für den Sachschaden an ihrem Fahrzeug. Sie argumentierte, dass die Fahrerin in ihrem Wagen auf dem rechten Fahrstreifen Vorfahrt gegenüber dem LKW-Fahrer gehabt hätte. Dieser hätte sich hinter ihr einfädeln müssen.

Dem folgten die Richterinnen und Richter am VI. Zivilsenat aber nicht. Es ergebe sich kein Vorrang der rechten Fahrspur. Auch das sonst notwendige Reißverschlussverfahren sei hier nicht anzuwenden. Schließlich gehe es  nicht um eine einseitige Fahrbahnverengung, sondern um eine von beiden Seiten gleichermaßen. Die beiden Beteiligten hätten sich, so die Bundesrichter, vielmehr durch Zeichen oder Worte absprechen und dadurch die Verkehrssituation lösen müssen. Falls dies nicht gelinge, müssten sie im Zweifel dem oder der jeweils anderen den Vortritt lassen.wohl die Autofahrerin - weil sie von einem Vorrang ihrerseits ausging - als auch der LKW-Fahrer - weil er die Fahrspur zu unaufmerksam befahren hatte – haben daher gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen, so die Karlsruher Richterinnen und Richter. Die Haftungsverteilung sei nun vom Tatrichter zu ermitteln und auf Grundlage des allgemeinen Rücksichtsgebots zu bemessen.