BGH-Entscheidung

BGH weitet Inkasso-Lizenz weiter aus: Sammelklage-Inkasso nach Air-Berlin-Insolvenz zulässig

Die Inkassolizenz berechtigt Unternehmen auch dazu, mehrere Forderungen gebündelt gerichtlich geltend zu machen, urteilte der BGH. Einen strukturellen Wettbewerbsnachteil für die Anwaltschaft sieht der BGH nicht.

05.08.2021Rechtsprechung

Am 13. Juli hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Rechtsdienst-leisterin für Inkassodienstleistungen mehrere Forderungen gesammelt und gebündelt gerichtlich geltend machen kann (BGH, Urt. v. 13.07.2021, Az. II ZR 84/20). Nun hat der II. Zivilsenat die Gründe seiner Entscheidung veröffentlicht.

Die klagende GmbH, die über eine Inkassolizenz nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verfügt, warb per Webseite dafür, Ansprüche von Fluggästen gegen die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin wegen nicht mehr durch durchgeführter Flüge geltend zu machen. Den Kunden sollten nach dem Geschäftsmodell keine Kosten entstehen, die GmbH, die die Ansprüche gebündelt aus abgetretenem Recht geltend macht, erhält im Erfolgsfall 35 % der Nettoerlöse aus dem Forderungseinzug. Vorgaben, gegen wen, in welchem Umfang und in welcher Weise das Unternehmen die Ansprüche geltend machen würde, gab es in den AGB nicht. Neben der außergerichtlichen und gerichtlichen Geltendmachung war das Unternehmen auch zum Abschluss von Vergleichen, zum Verzicht gegenüber einzelnen Anspruchsgegnern und zur Weiterabtretung an Anspruchsgegner Zug um Zug gegen Entschädigung berechtigt, aber nicht verpflichtet.

Während die Vorinstanzen davon ausgegangen waren, dass ein solches sog. Sammelklage-Inkasso nicht von der Inkassolizenz gedeckt und die GmbH damit nicht aktivlegitimiert sei, hat der BGH dieses Modell nun für zulässig erklärt. Er weitet damit die Reichweite der Inkassolizenz noch weiter aus, als er dies erstmalig mit seiner Entscheidung zur Zulässigkeit des Geschäftsmodells der Online-Plattform „wenigermiete.de“ (Urt. v. 27.11., Az. VIII ZR 285/18) getan hat.

Gerichtsverfahren nur mit Anwalt: Keine Gefahr unqualifizierter Rechtsberatung

Das RDG stehe der Zulässigkeit von sog. Sammelklagen („Masseninkasso“) nicht entgegen, so der BGH. Der Inkassobegriff der § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG umfasse auch Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen. Dies gelte auch im Fall des sog. Sammelklage-Inkasso, die Abtretungen seien nicht wegen § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Vorschriften des RDG nichtig.
Der BGH verweist auf seine Rechtsprechung zu „wenigermiete.de“: Wenn demnach ein Inkassodienstleister Forderungen gerichtlich geltend machen darf, wenn er dafür einen Anwalt beauftragt, dann dürfe er sich dazu im Inkassodienstleistungsvertrag auch verpflichten. Eine Einschränkung auf die eigentliche Funktion der Inkassodienstleistung, ausstehende Forderungen einfach und kostengünstig einzutreiben, lehnt der BGH wegen eines darin liegenden Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit der Inkassodienstleister ab.

Eine Gefahr für die Rechtssuchenden oder den Rechtsverkehr verneint der Senat. Auch ein Inkassodienstleister müsse als registriertes Dienstleistungsunternehmen über einige Sachkunde verfügen. Die Gefahr von unqualifizierter Rechtsberatung bestehe nicht, weil im gerichtlichen Verfahren bei Klagen aus abgetretenem Recht zwingend ein Anwalt eingeschaltet werden müsse (§ 79 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung).

Deshalb entstehe für den gerichtlichen Bereich auch kein struktureller Wettbewerbsnachteil für die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, argumentiert der BGH, obwohl die Anwaltschaft wesentlich strengeren berufsrechtlichen Regelungen unterliegt als die Legal-Tech-Inkassos.

Schließlich sehen die Karlsruher Richter auch keine Interessenkollision, die einen Verstoß gegen § 4 RDG begründen würde, obwohl gleichzeitig ein Erfolgshonorar und die Freistellung der Kunden von sämtlichen Kosten vereinbart wurden. Zudem darf die GmbH unwiderrufliche Vergleiche für ihre Kunden schließen, obgleich beide unterschiedliche Interessen haben können. Der BGH erklärt es zwar für denkbar, dass es Konstellationen geben kann, in denen eine Interessenkollision besteht. Er verweist die Kunden aber insoweit im Wesentlichen auf Schadensersatzansprüche und die Berufshaftpflicht der Legal-Tech-Inkassos.