Keine Befangenheit

An erstem VU beteiligter Richter darf über Berufung entscheiden

An dem ersten Versäumnisurteil beim LG hatte er schon mitgewirkt. Jetzt durfte ein Richter auch über die Berufung entscheiden, so der BGH.

18.06.2025Rechtsprechung

Ein Richter, der in der ersten Instanz an einem Versäumnisurteil (VU) mitgewirkt hat, ist nicht allein deshalb nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Mitwirkung in der Berufungsinstanz ausgeschlossen – sofern er am streitigen Endurteil, mit dem das VU aufrechterhalten wurde, nicht beteiligt war. Dies hat der BGH nun entschieden und die Sache mit einem in der dritten Instanz tätigen Richter verglichen. Regelmäßig führe eine solche Konstellation auch nicht zur Besorgnis der Befangenheit. Denn von Richterinnen und Richtern könne man eine ergebnisoffene Überprüfung einer früheren Entscheidung erwarten (Beschl. v. 27.03.2025, Az. I ZB 40/24).

Vorbefasster Richter nun für Berufung zuständig

Das LG Frankfurt a.M. hatte in erster Instanz zunächst ein VU gegen ein Unternehmen erlassen, an dem der damalige Vorsitzende der Kammer beteiligt war. Nach einem zulässigen Einspruch wurde die Sache erneut mündlich verhandelt. Das LG bestätigte daraufhin das ursprüngliche VU im Wesentlichen durch streitiges Urteil – dieses Mal ohne Mitwirkung des inzwischen an das OLG Frankfurt versetzten Richters.

Im Berufungsverfahren führte just dieser inzwischen zum Vorsitzenden Richter ernannte Jurist den zuständigen Senat. Das beklagte Unternehmen beantragte daraufhin dessen Ausschluss wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung gemäß § 41 Nr. 6 ZPO. Danach sind Richterinnen und Richter kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen in Sachen, in denen sie in einem früheren Rechtszug bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt haben. Der abgelehnte Richter legte die Frage seines Ausschlusses dem Senat zur Entscheidung vor (§ 48 Fall 2 ZPO). Das OLG wies das Ablehnungsgesuch zurück.

BGH: „Wie eine dritte Instanz.“

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Beklagten blieb beim BGH erfolglos. Nach Auffassung des I. Zivilsenats sei die Vorschrift des § 41 Nr. 6 ZPO eng auszulegen. Der dort normierte gesetzliche Ausschluss greife nur dann, wenn ein Richter an der konkret angefochtenen Entscheidung mitgewirkt habe. Dies sei hier nicht der Fall. Das streitentscheidende Urteil, also die Aufrechterhaltung des ersten VU, sei ohne Beteiligung des Richters ergangen. Auch, wenn hier in der Sache das frühere VU aufrechterhalten wurde, handele es sich um ein eigenständiges Endurteil. Zudem sei in der zweiten Verhandlung eine vollständige neue Schlüssigkeitsprüfung der Klage vorzunehmen. Somit bestehe kein entscheidender Unterschied zum Fall eines in der dritten Instanz tätigen Richters, der bereits an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt habe. Auch diese Konstellation sei zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 24.07.2012, Az. II ZR 280/11).

Zudem verwarf das Gericht eine analoge Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Die ZPO baue grundsätzlich auf der Annahme auf, dass Richterinnen und Richter auch bei vorheriger Befassung mit einer Sache in der Lage seien, eine ergebnisoffene Neubewertung vorzunehmen. Auch das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verlange keine weitergehende verfassungskonforme Auslegung. Der Gesetzgeber habe mit der Kombination aus gesetzlichem Ausschluss und Befangenheitsablehnung ein hinreichend differenziertes Regelungssystem geschaffen.

Abschließend äußerte sich der BGH zur Frage der Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 2 ZPO): Allein die frühere Mitwirkung an einem VU sei grundsätzlich nicht geeignet, die Unparteilichkeit eines Richters in Zweifel zu ziehen. Eine begründete Ablehnung setze zusätzliche Umstände voraus, die eine fehlende Bereitschaft zur ergebnisoffenen Neubewertung erkennen lassen. Solche seien im Streitfall weder dargelegt noch ersichtlich gewesen.