LAG Schleswig-Holstein

Arbeits-SMS müssen in Freizeit nicht gelesen werden

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen in ihrer Freizeit keine dienstlichen Nachrichten oder Anrufe beantworten – auch wenn es um die Arbeitszeiten geht.

18.01.2023Rechtsprechung

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen in ihrer Freizeit keine dienstlichen Anrufe entgegennehmen bzw. SMS oder E-Mails lesen. Das hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein in einem nun veröffentlichten Urteil entschieden (Urt. v. 27.09.2022, Az. 1 Sa 39 öD/22). Allerdings ist über diese Frage eine Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängig (5 AZR 349/22).

Im konkreten Fall hatte ein Notfallsanitäter gegen seinen Arbeitgeber geklagt. Dieser hatte seinen Angestellten in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht erreicht, um ihm mitzuteilen, dass der Dienstplan geändert worden war und er früher erscheinen solle. Vor Gericht sagte der Sanitäter, vermutlich habe sein Handy die Nachrichten von einer unbekannten Nummer automatisch aussortiert. Am jeweils nächsten Morgen, zum ursprünglich geplanten Dienstbeginn, nahm der Sanitäter seinen Dienst auf. Der Arbeitgeber wertete das angeblich zu späte Auftauchen jedoch als unentschuldigtes Fehlen und erteilte ihm außerdem zunächst eine Ermahnung und dann eine Abmahnung. Eine Vereinbarung darüber, dass der Sanitäter über die eigenen Geräte auch in der Freizeit erreichbar sein müsse, gab es nicht.

LAG: Recht auf Nichterreichbarkeit dient Gesundheits- und Persönlichkeitsschutz

Der Notfallsanitäter zog vor das Arbeitsgericht und unterlag in der ersten Instanz. Er sei aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verpflichtet gewesen, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen, so das Gericht in der Begründung.

In der Berufung entschied jedoch das LAG zu seinen Gunsten. Die Abmahnung müsste entfernt und die Fehlstunden dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden. Zwar sei die Dienstplanänderung als solche zwar von dem so genannten Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt gewesen. Allerdings habe der Arbeitgeber nicht hinreichend nachgewiesen, dass dem Sanitäter diese Information auch tatsächlich zugegangen sei. Entscheidend war demnach für das LAG, dass alle Kontaktaufnahmeversuche des Arbeitgebers in der Freizeit des Sanitäters erfolgt sind. In einem solchen Fall hätte der Arbeitgeber damit rechnen müssen, dass der Mitarbeiter die ihm geschickten SMS erst mit Beginn seines Dienstes zu Kenntnis nehmen würde. Erst dann sei der Arbeitnehmer nämlich verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und die in seiner Freizeit bei ihm eingegangenen dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen. Ausdrücklich entschied das Gericht, dass der Sanitäter nicht dazu verpflichtet gewesen sei, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Es habe auch kein treuwidriges Verhalten des Arbeitnehmers vorgelegen, urteilte das LAG. Das Recht auf Nichterreichbarkeit diene neben dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers auch dem Persönlichkeitsschutz. Das LAG wörtlich:

"Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht"