Sexueller Übergriff

K.O.-Tropfen und Pipette sind keine „gefährlichen Werkzeuge“

Wer jemandem per Pipette sog. K.O.-Tropfen ins Glas gibt, um die Person sexuell gefügig zu machen, nutzt kein „gefährliches Werkzeug“, so der BGH.

19.11.2024Rechtsprechung

Sogenannte K.O.-Tropfen stellen weder für sich genommen noch bei Verabreichung in einem Getränk, in das sie vorher mit einer Pipette getropft wurden, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB dar, so der BGH. Diese Auslegung widerspreche Wortlaut und Gesetzessystematik. Allerdings liege bei diesen Mitteln die Tatvariante des § 177 Abs. 8 Nr. 2b, "Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer", nahe (Beschl. v. 08.10.2024, Az. 5 StR 382/24).   

Im konkreten Fall hatte ein Mann während eines alkoholgetränkten Abends sowohl seiner eigenen Verlobten als auch der neuen Partnerin seiner Ex-Freundin Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB; gemeinhin bekannt als „Liquid Ecstasy“ und „K.O.-Tropfen”) mit einer Pipette ins Glas geträufelt, um sie sexuell enthemmt und gefügig zu machen. Die erhoffte Wirkung trat ein, es kam zu sexuellen Handlungen zwischen den beiden Frauen, an denen er sich später durch oberflächliche Berührungen beteiligte. Im Verlauf des Abends verschwand jedoch eine der Frauen. Sie wurde später im Garten des Wohngrundstückes auf der Erde liegend, schlafend, nicht ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet gefunden. Das LG Dresden hatte zu ihrem Zustand festgestellt: „Aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit bestand das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit und das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens.“

Die Vorinstanz verurteilte den Mann wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs nach
§ 177 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 (sexuelle Nötigung), Abs. 5 Nr. 1 (Gewalt), Abs. 8 Nr. 1 (gefährliches Werkzeug) StGB und wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Beibringung von anderen gesundheitsschädlichen Stoffen). Unter Einbeziehung einer Vorstrafe und wegen der Annahme eines minder schweren Falles erhielt er eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten.

Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und sexueller Nötigung unter Anwendung von Gewalt hielten vor dem BGH zwar stand – nicht aber die wegen der Qualifikation des gefährlichen Werkzeugs nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB.

BGH: K.O.-Tropfen sind kein Holzknüppel

GBL-Tropfen stellten für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lasse sich zunächst schon nicht mit dem Wortlaut der Norm in Einklang bringen. Bei einem Werkzeug handele es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet werde – also nur feste Körper und keine Flüssigkeiten.

Auch die Gesetzessystematik spreche gegen ein solches Verständnis: Das Merkmal des gefährlichen Werkzeugs werde auch in anderen wortlautgleichen Qualifikationstatbeständen genutzt. Für denjenigen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (schwerer Raub) habe der BGH bereits entschieden, dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, kein (gefährliches) Werkzeug sei. Dann könne hier nichts anderes gelten. Vielmehr handele es sich um ein "Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes" § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Gefährliche Körperverletzung).

Dass eine Verurteilung nach der Qualifikation aufgrund von teleologischen Gerechtigkeitserwägungen nahe liege, reiche nicht aus. Der Wortlaut sei nach dem Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 GG stets die Grenze, eine solche Auslegung würde diese hier sprengen. Anders als die Vorinstanz es sagte, könne die sedierende Wirkung auch nicht mit einem „Holzknüppel“ verglichen werden.

Auch die Pipette selbst könne als fester Gegenstand nicht als gefährliches Werkzeug gewertet werden. Denn der Täter habe die Pipette nur als Dosierungshilfe genutzt und nicht direkt damit die körperlichen Schäden hervorgerufen. Die Gefährlichkeit gehe von den Wirkungen des Mittels im Körper, nicht jedoch von der Pipette aus.

Nun muss sich eine andere Strafkammer des LG Dresden erneut mit dem Fall befassen. Dieser gab der BGH folgenden Hinweis mit: Es komme jedoch ein anderer Qualifikationstatbestand in Betracht: Nach den Feststellungen liege es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte. Die Situation, die das Landgericht festgestellt habe, lasse es nicht als ausgeschlossen erscheinen, hier eine konkrete Todesgefahr anzunehmen. GBH berge, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich. Dies sei dem Angeklagten auch bewusst gewesen. Zudem sei es trotz des Verböserungsverbots bei einer Revision des Angeklagten möglich, die Qualifikationstatbestände lediglich auszutauschen.