Letzte Generation

Sind die Klimaschützer schon eine kriminelle Vereinigung?

Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht keinen Anfangsverdacht, das LG Potsdam hingegen schon. Ein Überblick über den Sachstand und mögliche Folgen.

22.05.2023Rechtsprechung

Ist die Klimaschutz-Gruppierung „Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung i.S.d. § 129 Strafgesetzbuch (StGB) oder nicht? Hierzu gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen:  

Auf der einen Seite steht die Auffassung des Landgerichts (LG) Potsdam sowie die der Neuruppiner Staatsanwaltschaft, welche diese Frage bejahen. Anlass waren Aktionen der Klimaaktivistinnen und –aktivisten, die seit April 2022 gegen die PCK-Raffinerie in Schwedt protestierten. Um die Öl-Raffinerie in Schwedt zu stoppen, verschafften sie sich unberechtigten Zugang zu dem Gelände, drehten die Hähne der Pipeline zu, ketteten sich an Rohren fest und verklebten sich miteinander. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin sah hier nicht nur den Anfangsverdacht von Straftaten wie der „Störung öffentlicher Betriebe“ nach § 316b StGB, Sachbeschädigung, Nötigung und Landfriedensbruch – sondern eben auch den der „kriminellen Vereinigung“. Sie ließ deshalb am 13. Dezember 2022 deutschlandweit elf Wohnräume durchsuchen. Dagegen richteten sich die Aktivistinnen und –aktivisten der letzten Generation. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts (LG) Potsdam bestätigte bereits Ende April in zweiter Instanz den Anfangsverdacht der Neuruppiner Staatsanwaltschaft. Dagegen hatten die Betroffenen Beschwerde eingereicht – jedoch erfolglos. Das LG Potsdam hat die Auffassung der Staatsanwaltschaft nun bestätigt, wie am 17. Mai 2023 bekannt wurde.

Am selben Tag äußerte sich jedoch Oberstaatsanwalt und Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaften, Sebastian Büchner, im Interview mit dem RBB: Seine Staatsanwaltschaft sehe keinen solchen Anfangsverdacht. Diese Auffassung gehe laut Pressemitteilung der letzten Generation bereits aus einem Beschluss von Dezember 2022 hervor.

Ziel: Begehung von Straftaten?  

Eine kriminelle Vereinigung erfordert zunächst, dass sich mindestens drei Menschen zu dem Zweck zusammengeschlossen haben, wiederholt Straftaten mit einem Strafrahmen von mindestens zwei Jahren im Höchstmaß zu begehen. Zwar werden bei den Protestaktionen der Ende 2021 gegründeten Klimaschutz-Gruppierung in Museen, Stadien, an Erdölpipelines oder Flughäfen häufig Straftaten begangen - wie etwa Nötigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Sachbeschädigung. Dennoch ist aktuell umstritten, ob dies das alleinige Ziel der Gruppe ist.

Ihr vorrangiges Ziel ist es schließlich, die Politik zum Handeln zu bewegen, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden. Sie fordern als Sofortmaßnahmen u.a. ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen sowie ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket für Bus und Bahn. In einem zweiten Schritt soll ein Gesellschaftsrat einberufen werden, der Maßnahmen erarbeitet, wie Deutschland bis 2030 die Nutzung fossiler Rohstoffe beendet. Die Aktionsgruppe selbst schreibt dazu: „Die bei der Letzten Generation engagierten Bürger:innen fordern die Regierung einzig und allein dazu auf, sich an unsere Verfassung zu halten.“

Bezugnehmend darauf schreibt die Staatsanwaltschaft Berlin in einem Beschluss von Dezember 2022: ”Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Anliegen der Gruppierung nicht nur durch die verfassungsrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gedeckt sind, sondern sogar im Einklang mit der Staatszielbestimmung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) stehen.” Zudem seien die Aktionen der „Klimakleber“ juristisch nicht leicht zu bewerten. Tatsächlich sind viele Aktionen zunächst von der Versammlungsfreiheit gedeckt und werden erst nach einer Auflösung durch die Polizei strafbar.

Das LG Potsdam schreibt hingegen in seinem Beschluss: ”Diese hat das erklärte Ziel, durch Mittel des ‚friedlichen zivilen Ungehorsams‘ die Bundesregierung zu Maßnahmen gegen die Klimakrise und für eine nachhaltige Politik zu zwingen.” Dies stütze die ‚Kriminalität‘ der Bewegung.

Die Staatsanwaltschaft Berlin beruft sich obendrein noch auf den Tatbestandsausschluss des § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB, nach dem eine Strafbarkeit nicht vorliege, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“. Hierzu äußerte sich Büchner gegenüber dem RBB: Die Klimaaktivisten begingen zwar Straftaten, könnten also tatsächlich als kriminell bezeichnet werden. „Für diese Idee einer kriminellen Vereinigung muss das Ganze eben schon terrorismusähnlich sein, mit einer gewissen Erheblichkeit ausgestattet sein.“ Das, was die Letzte Generation machten, sei aktuell nur ein „dauerhaftes Lästigwerden“. Die Erheblichkeit sei aber im Moment noch nicht überschritten. Dies unterliege angesichts der öffentlichen Debatte jedoch einer permanenten Neubewertung.

Wie geht es weiter?

Das LG Potsdam hat erst einmal nur den Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft bestätigt. Das bedeutet, dass die gefundenen Ermittlungsergebnisse in einem Strafverfahren gegen die Beschuldigten verwendet werden dürfen. Die Hürden für eine tatsächliche Anklageerhebung oder gar Verurteilung der Betroffenen sind natürlich höher.

Die Folgen einer Verurteilung wären über die Urteile gegen die Beschuldigten hinaus gravierend: So drohten Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren für die bloße Mitgliedschaft in der Gruppe. Die Behörden hätten außerdem weitreichende Rechte, die Aktivistinnen und Aktivisten zu überwachen, etwa durch Observation oder Abhören von Telefonaten. 

Die Aktivistinnen und Aktivisten selbst reagierten auf den Beschluss des LG Potsdam, in dem sich über 2.000 Menschen selbst bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin anzeigten. Sechs Mitglieder zeigten sich am Freitag vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft an Stahlketten, um sich symbolisch der Behörde ausliefern.

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