EuGH & BGH zum Dieselskandal

Thermofenster unzulässig, deutsche Ansprüche 2019 verjährt

Das Thermofenster-Update ist eine unzulässige Abschalteinrichtung. Rückabwicklungsansprüche nach deutschem Recht sind 2019 verjährt.

15.07.2022Rechtsprechung

Der Dieselskandal ist noch immer nicht ausgestanden. Für die Autobauer, einmal mehr stellvertretend VW,  lief der Tag justiziell betrachtet gemischt: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in deutlichen Worten auch das Update, das der Volkswagen-Konzern einsetzte,  um die ursprüngliche unzulässige Abschalteinrichtung zu ersetzen, selbst zur unzulässigen Abschalteinrichtung erklärt (EuGH, Urt. v. 14.07.2022, Az. C-128/20 | GSMB Invest, C-134/20 | Volkswagen und C-145/20 | Porsche Inter Auto und Volkswagen).

Besser lief es am Donnerstag in Karlsruhe für VW: Dort ging es um die sog. Umschaltlogik,  die Steuerungssoftware im Motor also, durch die auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb - der ganz klassische Fall des sog. Abgasskandals. Der VII. Zivilsenat am Bundesgerichtshof entschied, dass die  Käuferin eines  betroffenen Pkw mit ihrer Klageerhebung im Jahr 2020 zu spät dran war. Spätestens bis Ende 2016 hätte die Frau wissen müssen, dass ihr Fahrzeug betroffen war (BGH, Urt. v. 14.07. 2022, Az. VII ZR 422/21). 

Auch beim sog. Restschadensersatz präzisierten die Karlsruher Richterinnen und Richter ihre Rechtsprechung: Es gebe keinen Anspruch gegen VW, wenn der Wolfsburger Konzern einen von ihm  hergestellten betroffenen Dieselmotor in einen Neuwagen der Konzerntochter Audi  eingebaut hat.

Das Thermofenster vor dem EuGH

Durch das sog. Thermofenster wird die Abgasrückführung eines Fahrzeugs je nach der ermittelten Temperatur verringert. Der EuGH legt die Angaben der österreichischen Gerichte zugrunde, die ihn per Vorabentscheidungsersuchen angerufen haben, und kommt so dazu, dass die Software die in der Union geltenden Stickstoffoxid-Grenzwerte nur einhalte, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt. Außerhalb dieses Fensters werde die Abgasrückführungsquote linear auf 0 gesenkt, was zu einer Überschreitung der Grenzwerte führt.

Auf dieser Grundlage erklären die Richterinnen und Richter in Luxemburg ein solches Thermofenster, das die Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffoxidemissionen nur innerhalb der Temperaturskala gewährleiste, zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007. Temperaturen unter 15 Grad seien in Europa schließlich üblich und die von der EU festgelegten Grenzwerte seien unter normalen Nutzungsbedingungen einzuhalten - also auch dann, wenn es weit kälter sei als 15 Grad.

Die von den Autobauern gern behauptete Notwendigkeit von Thermofenstern, um den Motor zu schüzten, überzeugt den  EuGH ausdrücklich nicht. Schutz vor Verschleiß oder Dreck machten das Thermofenster noch nicht notwendig. Nur wenn das Thermofenster  eine echte konkrete Gefahr beim Betrieb der Fahrzeuge abgewendet und es dafür keine andere technische Lösung gegeben hätte, könnte laut dem EuGH anderes gelten - allerdings wäre das Thermofenster auch dann unzulässig. Denn sonst würde die Ausnahme zur Regel: Wenn das Thermofenster bei üblichen Temperaturen häufiger nicht funktionieren würde als es funktionieren würde, wäre auch der Grundsatz der Senkung von Stickstoffoxidemissionen verletzt.

Vertragsauflösungen auch beim Thermofenster?

In Bezug auf die Ansprüche betroffener Käuferinnen und Käufer stellt der EuGH klar, dass ein mit einem Thermofenster ausgestattetes Fenster nicht die übliche Art und Güte aufweist, auch wenn es im Straßenverkehr verwendet werden kann. Damit dürfte zumindest feststehen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher gute Chancen auf eine Nachbesserung oder Ersatzlieferung in Bezug auf ihre mit Thermofenstern nachgerüsteten Pkw haben. Der Gerichtshof weist zudem ausdrücklich darauf hin, dass auch eine Vertragsauflösung in Betracht komme: Die Vertragswidrigkeit sei nicht geringfügig.

Über die Möglichkeit, zudem Schadensersatz zu verlangen, ist damit noch nichts gesagt, die Frage liegt noch in Luxemburg zur Entscheidung. Auf deutscher Ebene lehnt der BGH das bislang ab, weil er die Nachrüstung mit Thermofenstern, die das deutsche Kfz-Bundesamt ja genehmigt hat, für zumindest nicht sittenwidrig hält.

Während der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren keine Entscheidung trifft, sondern die Gerichte der Mitgliedstaaten über die ihnen vorliegenden Verfahren auf der Grundlage seiner Rechtsprechung zu entscheiden haben, urteilte der BGH selbst über eine Revision von VW, mit der der Autobauer sich - nun erneut erfolgreich - auf eine Verjährung der Ansprüche der klagenden Audi-Fahrerin berief. 

BGH: Ansprüche 2019 verjährt, kein Restschadensersatz auch bei neuem Audi

Es kann der Eindruck entstehen, dass der BGH klarstellen will, dass er seine Urteile aus dem Februar 2022, auch wenn sie Einzelfallentscheidungen sind, durchaus grundsätzlich meint: Das gilt für die Verjährung von Ansprüchen aus dem Dieselskandal Ende 2019 wie auch beim Restschadensersatz. Letzterer ist zumindest in den Fällen grundsätzlich ausgeschlossen, in denen VW nur als Herstellerin der Motoren fungierte, die später in Audis verbaut wurden.

Nach der Ad-hoc-MItteilung von VW vom 22. September 2015 sei über die Thematik in den Medien umfangreich berichtet und diese allgemein als "Abgas-" beziehungsweise "Dieselskandal" bezeichnet worden. Von Anfang an sei klar gewesen, dass auch Audis betroffen waren.  VW sei selbst aktiv geworden, jede und jeder konnte online prüfen, ob der eigene Motor betroffen war. Jedenfalls im Laufe des Jahres 2016 hätte die klagende Audi-Fahrerin deshalb wissen müssen, dass ihr Pkw betroffen sein könnte -  auch wenn VW die Käuferinnen und Käufer Ende 2015 darum gebeten hatte, sich erst einmal nicht aktiv zu melden und selbst dann, wenn sie wie vorgetragen im Jahr 2016 kein Schreiben von VW bekommen hätte, so der Senat.

Auch den Umweg über den sog. Restschadensersatz nach § 852 Abs.1 schneidet der VII. ZIvilsenat betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern von Neuwagen von Konzerntöchtern deutlich ab: Der VW-Konzern hätte für diesen Herausgabeanspruch von etwas Erlangtem auch nach Eintritt der Verjährung eben im Verhältnis zur Fahrzeugkäuferin etwas erlangen müssen. Beim Einbau eines Motors in einen dann später hergestellten und verkauften Audi erlange der Konzern aber als bloßer Hersteller des Motors beim schadensauslösenden späteren Vertrag der Käuferin über den neuen Audi aber nichts mehr, so der Senat - auch nicht etwa deshalb, weil er mit der Konzerntochter Audi wirtschaftlich verflochten sei. 

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