Tötung des Missbrauchstäters: Handlung im Affekt oder geplant?
Er tötete seinen Vergewaltiger: Der BGH sieht Fehler bei der Beweiswürdigung der Indizien, was die Tat in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Der BGH hat im Fall der Tötung eines Sexualstraftäters die Feststellungen des Landgerichts Zwickau zur möglichen Planung der Tat gerügt: Wenn mehrere Indizien auf eine solche Planung hindeuten, müsse dies in einer Gesamtschau berücksichtigt werden. Auch im Hinblick auf die Bewertung von Sachverständigengutachten und der Bewertung des Mordmerkmals der Heimtücke fand der BGH Rechtsfehler (Urt. v. 19.12.2024, Az. 5 StR 588/24).
Der bislang unbestrafte Täter hatte 24 Jahre, nachdem er von seinem ehemaligen Fußballtrainer sexuell missbraucht worden war, diesen mit einer Axt von hinten getötet. Das Landgericht hatte ihn nur wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Es war davon ausgegangen, der Mann habe „in einem zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung führenden Affekt“ gehandelt. Die Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe schloss es deshalb aus. Dabei stützte sich das LG maßgeblich auf zwei Sachverständigengutachten. Der BGH sah in diesen Feststellungen, Wertungen und Schlussfolgerungen jedoch mehrere Rechtsfehler.
Der Tatablauf und die Indizien
Tatsächlich gaben die Indizien folgendes Gesamtbild her: Der Angeklagte hatte 2011 einen Autounfall gehabt und war infolgedessen an dissoziativer Amnesie erkrankt, also einem teilweisen Gedächtnisverlust. In seinen Träumen zeigten sich jedoch zunehmend Erinnerungen, in früheren Jahren Opfer seines sexuellen Missbrauchs geworden zu sein. Über sein Umfeld und gezielte Recherchen gelangte er an die Identität des ehemaligen Fußballtrainers, wobei sich bei ihm die Annahme verdichtete, er könne der Täter gewesen sein – er hatte u.a. bereits eine Strafe wegen pädophiler Taten verbüßt. Etwa zur gleichen Zeit recherchierte er aber auch zum Thema „sexueller Missbrauch und Hilfsorganisationen“, zu Sexualstraftätern und deren Verurteilung und schrieb seiner Freundin, er wolle sein Leben der Verhinderung weiteren Missbrauchs widmen. Er suchte zudem nach entsprechend spezialisierten Anwälten , recherchierte zum Thema Mord, Strafzumessung und Selbstjustiz, zu Rizin, K.O.-Tropfen und tödlichem Gift und zu einer Polizeistation.
Wenige Tage nach diesen Recherchen fand er den Aufenthaltsort des Mannes heraus, nahm Kontakt zu ihm auf und arrangierte unter einem Vorwand ein Treffen. Bei einem ersten Treffen erkannte er ihn zwar als den Täter, unterhielt sich aber nur „nett“ mit ihm, weil seine Emotionen wegen der dissoziativen Amnesie verflacht waren. Erst bei einem zweiten Treffen im Haus des Angeklagten kam es zur Aussprache über den Missbrauch, welchen der ehemalige Trainer zugab und sich entschuldigte. Außerdem erzählte er, wieder als Jugendtrainer zu arbeiten. Der Angeklagte bekam offenbar eine Panikattacke, verließ das Haus, griff nach einer herumliegenden Axt und tötete seinen Vergewaltiger, der ihm zu dieser Zeit den Rücken zugewandt hatte. Später stellte er sich in der Polizeistation, zu der er zuvor recherchiert hatte. Für die Tatzeit gab er jedoch an, eine Erinnerungslücke zu haben.
Nach den Feststellungen des LG hatte der Angeklagte die Axt zufällig und ungeplant ergriffen, sie habe dort zum Holzhacken gelegen. Die vorherigen Internetrecherchen des Angeklagten habe die Strafkammer des LG lediglich als „Spiel mit Mord- und Tötungsgedanken“ gewertet, nicht jedoch als Indiz für geplante kriminelle Absichten.
BGH: Gesamtschau der Indizien notwendig
Der BGH fand nun in der Beweiswürdigung durch das LG in Bezug auf eine mögliche Tatplanung mehrere Lücken. Es seien sich aufdrängende Erörterungen unterblieben, was zu Rechtsfehlern geführt habe. Das LG habe sich mit den für eine vorherige Tatplanung sprechenden Umständen in ihrem Beweiswert lediglich isoliert, nicht aber in der gebotenen Gesamtschau auseinandergesetzt – hier hätten die Indizien aber in Beziehung gesetzt werden müssen. Hier sei die Frage, ob die Tat geplant gewesen sei oder nicht, von entscheidender Bedeutung gewesen. In diesem Kontext hätten folgende Indizien für eine Planung der Tat gesprochen:
- Der Täter hatte bereits Monate vor der Tat zu seiner Freundin gesagt, er sei sich bzgl. der Person des Täters sicher.
- Er hatte ihr gesagt, der Kampf gegen Kindesmissbrauch sei sein Leben und er wolle potenzielle Taten verhindern.
- Er hatte Internetrecherchen angestellt zu Sexualstraftätern, zu Mord- und Betäubungsmitteln, zu Selbstjustiz, zur Strafzumessung bei Mord, zum Leben in der Sicherungsverwahrung, zu Anwälten und zu der Polizeistation, bei der er sich schließlich gestellt hatte.
- Er hatte den später Getöteten unter einem Vorwand bewusst zu sich eingeladen.
- Er hatte ihn mit einer unmittelbar verfügbaren Axt nur wenige Tage nach der letzten Internetrecherche getötet.
BGH zu Sachverständigengutachten und Heimtücke
Der BGH sah außerdem Widersprüche in der Verwertung der medizinischen Sachverständigengutachten: Wer zuvor gezielt nach Mord recherchiert, dem könne man schwerlich „keine Hinweise für ein aggressives Vorgestalten der Tat in der Phantasie“ attestieren, wie es ein Sachverständiger geschrieben hatte. Zudem stütze sich das LG hier auf zwei Sachverständigengutachten, die sich jedoch gegenseitig widersprächen: Das eine gehe von einer Kontrolllosigkeit aus, weil das „Steinzeitgehirn“ des Mannes übernommen habe – eine Annahme, der zudem ein drittes Gutachten widersprach. Ein weiteres Gutachten spreche zudem nur von einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung in Form eines Affekts. Diese Widersprüche im Hinblick auf die mögliche Steuerungsfähigkeit könnten sich auch auf die Ablehnung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe auswirken.
Schließlich hatte das LG laut BGH das Mordmerkmal der Heimtücke nicht zutreffend bewertet: Danach sei nicht entscheidend, ob es dem Täter gerade darauf ankommt, ein arg- und wehrloses Opfer zu töten, sondern nur, ob der Täter wahrnehmen und einschätzen könne, wie sich die Umstände für das Opfer dargestellt hätten und dennoch in dem Bewusstsein handelte, einen schutzlosen Menschen zu überraschen. Hierfür sei relevant, wie getrübt das Bewusstsein des Täters gewesen sei. Sei seine Unrechtseinsicht noch vorhanden gewesen, so könne er in der Regel auch realistisch einschätzen, wie sich die Tat aus Sicht des Opfers dargestellt habe.
Der BGH hob die Verurteilung sowohl im Hinblick auf den Schuldspruch als auch auf die Schuldfähigkeitsbeurteilung auf; der Fall muss nun vor einer anderen Kammer des LG vollständig neu verhandelt werden.