OpenJur haftet nicht für Urteil ohne Anonymisierung
Für OpenJur gilt die DSGVO großteils nicht. Deshalb haften die Portalbetreiber auch nicht für ein von der Berliner Justiz kopiertes nicht anonymisiertes Urteil.
Die Urteilsdatenbank OpenJur ist als journalistisch bzw. wissenschaftlich einzustufen, weshalb für sie die Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO gilt, so das LG Hamburg. DSGVO-Ansprüche wegen eines von der Seite der Berliner Justiz übernommenen nicht anonymisierten Urteils bestünden daher nicht. Auch Ansprüche aus nationalem Recht schieden aus, da sich die Plattform auf die Korrektheit der Urteile aus der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin als „privilegierte Quelle“ hätte verlassen dürfen (Urt. v. 09.05.2025, Az. 324 O 278/23).
Anwalt klagt wegen fehlender Anonymisierung bei OpenJur
Gegen OpenJur geklagt hatte ein Anwalt in eigener Sache. Erst ein Jahr nach Veröffentlichung hatte man ihn darauf aufmerksam gemacht, dass ein Urteil des VG Berlin ohne Anonymisierung bei der Urteilsdatenbank einsehbar war. Das Verfahren war für seinen Ruf als Anwalt sehr kritisch gewesen; es ging um eine Zwangsvollstreckung des Versorgungswerks wegen nicht entrichteter Beiträge. In dem Urteil fanden sich zusätzlich konkrete Informationen zu seiner finanziellen Situation und zu ALG 1-Bezügen. 20 Minuten, nachdem er die Verantwortlichen von OpenJur auf die mangelnde Anonymität aufmerksam gemacht hatte, holten sie die Anonymisierung vollständig nach.
Zusätzlich forderte der Anwalt Unterlassung und Schadensersatz – dies aber lehnte die Plattform ab. Der Anwalt war der Auffassung, OpenJur hätten fahrlässig gehandelt. Sie hätten die Pflicht gehabt, den Beschluss des VG Berlin vorab eigenhändig zu prüfen und, wenn nötig, zu anonymisieren. Weil die Entscheidung automatisch aus der Datenbank des Landes Berlin erfolgte, sei hier auch weder von einer journalistischen noch einer wissenschaftlichen Tätigkeit auszugehen, die nach der DSGVO privilegiert sind.
LG Hamburg: OpenJur ist journalistisch und wissenschaftlich
Das LG Hamburg wies seine Klage nun aber vollumfänglich ab. Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz nach der DSGVO bestünden nicht, weil die Plattform unter die Bereichsausnahme des Art. 85 Abs. 2 DSGVO falle, sodass die einschlägigen Regelungen der DSGVO nicht anwendbar seien.
Zum einen sei OpenJur als journalistische Plattform einzustufen. Der Begriff Journalismus sei unionsrechtskonform weit zu verstehen. Es komme darauf an, ob die Veröffentlichung zum Ziel habe, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Bei sog. Intermediären, die nur Inhalte Dritter verbreiten, sei eine Privilegierung nur möglich, wenn diese ein Mindestmaß an Bearbeitung leisten würden.
Dies sei hier aber der Fall: Zwar sei im konkreten Fall die Übernahme des Urteils automatisiert erfolgt, was wohl auf die Mehrzahl der Urteile zutreffe. Allerdings sei hier die gesamte Tätigkeit der Datenbank zu beurteilen. Und hier zeige sich, dass OpenJur auch gezielt Gerichte oder Beteiligte anschreibe, um an Urteile zu kommen, und hier teilweise sogar den Gerichtsweg beschreite. Das zeige besonders den redaktionellen und meinungsbildenden Charakter. Von den initiativ zugesendeten Urteilen von Beteiligten nähmen die Verantwortlichen nur einen Teil nach Prüfung der Relevanz mit auf. Sie würden auch eigene Orientierungssätze verfassen, Entscheidungen verschlagworten und einzelne Entscheidungen auf verschiedenen Internetauftritten redaktionell hervorheben. Diese Tätigkeit unterscheide sich maßgeblich von einem bloßen Datensammeln oder einem bloßen Verbreiten von Inhalten Dritter, wie es etwa auf Bewertungsportalen geschehe.
Im Übrigen „dürfte“ auch die Bereichsausnahme für eine Verarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken vorliegen, so das LG weiter. Umfasst sei jede Tätigkeit, die ernsthaft der Wahrheitsermittlung diene. Dieser Charakter zeige sich schon in der Tatsache, dass rechtswissenschaftliche Veröffentlichungen häufig Gerichtsentscheidungen über die Datenbank zitierten. Zudem sei OpenJur auch Partnerin der Initiative "OpenRewi", eines Zusammenschlusses von Rechtswissenschaftlern, der sich der Nutzung frei zugänglicher Informationen für die rechtswissenschaftliche Forschung verschrieben hat.
Ein Schadensersatzanspruch wegen der verspätet erteilten Auskunft gem. Art. 15 DSGVO käme hier zwar theoretisch in Betracht, weil diese Vorschrift von der Bereichsausnahme nicht erfasst sei, so das LG. Hier habe der Anwalt aber allein durch die verspätete Auskunft keinen Schaden erlitten, der über den hinausginge, der durch die mangelnde Anonymisierung entstanden sei.
Auf die Berliner Justiz muss man sich verlassen können
Auch ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG sowie ein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 Abs. 1 BGB kämen hier nicht in Betracht, so das LG weiter. Zwar sei der Anwalt in seinem Persönlichkeitsrecht durchaus beeinträchtigt. Allerdings habe OpenJur bei der Veröffentlichung des Beschlusses in Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StPO) und damit gerechtfertigt gehandelt.
Einen Anwendungsfall der Wahrnehmung berechtigter Interessen stellten sog. privilegierte Quellen dar, denen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden dürfe. Die von der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Berlin veröffentlichten Entscheidungen seien eine solche privilegierte Quelle. Solange für die Plattform keine konkreten Zweifel an der rechtmäßigen Veröffentlichung bestehen, treffe sie auch keine Pflicht zur Nachrecherche. Ihre Pflicht beschränke sich darauf, auf den Hinweis des Betroffenen sofort zu reagieren – dies sei hier geschehen.