BVerfG im Eilverfahren

Vorerst kein Ausschussvorsitz für die AfD

Die AfD wird vorerst weiterhin keinen Vorsitz in einem Bundestagsausschuss innehaben. Einen Eilantrag der Partei lehnte das BVerfG ab.

27.06.2022Rechtsprechung

Damit blieb der Antrag der AfD-Fraktion, von ihr benannte Kandidaten für den Vorsitz dreier Bundestagsausschüsse vorläufig einzusetzen, vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts erfolglos (BVerfG, Beschl. v. 25.05.2022, Az. 2 BvE 10/21).

Der Verfahrensausgang der in der Hauptsache eingereichten Organklage sei zwar derzeit offen, so das BVerfG in seiner am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung. Die Folgenabwägung im Eilverfahren gebiete eine solche Anordnung allerdings nicht. Die Gefahr einer Beeinträchtigung der Arbeit der Ausschüsse und damit des gesamten Bundestages sei größer als die einer Verletzung der Abgeordnetenrechte der AfD-Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Schließlich sei die Mehrheit der Ausschussmitglieder nach dem Ergebnis vorheriger Wahlen offenkundig gegen einen AfD-Ausschussvorsitzenden. Die AfD könne, so das BVerfG, dennoch an der politisch-parlamentarischen Willensbildung mitwirken.

Die AfD-Fraktion hat damit fürs Erste weiterhin keinen Ausschussvorsitz im Bundestag inne. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache werden die möglicherweise der AfD zustehenden Posten im Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss weiterhin von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet.

AfD-Parlamentarier auch im zweiten Wahlgang nicht gewählt

Hintergrund war die Verteilung der Ausschussvorsitze nach der Wahl des 20. Deutschen Bundestages im Jahr 2021. Die Vorsitzenden bereiten die Sitzungen der Fachausschüsse vor, berufen sie ein und leiten sie. Sie werden in jeder Wahlperiode neu besetzt.

Im vergangenen Jahr konnten sich die Fraktionen allerdings im Ältestenrat nicht auf die Verteilung der Positionen einigen. Deshalb wurden diese unter den Fraktionen im sogenannten Zugriffsverfahren verteilt. Je nach Fraktionsstärke konnten die Parteien sich in einer berechneten Reihenfolge im Wechsel ihre Ausschüsse aussuchen. Die Wahl der AfD-Fraktion fiel auf die Ausschüsse für Inneres und Heimat, Gesundheit sowie für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Angesichts der in diesen Ausschüssen behandelten politisch sensiblen Themen wie Verfassungsschutz oder Pandemiebekämpfung gab es auf Seiten aller anderen Parteien starke Bedenken. Schließlich wird die rechte Partei teilweise selbst vom Verfassungsschutz beobachtetet und hat sich stets als Gegnerin der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung hervorgetan. Dementsprechend widersprachen die anderen Parteiangehörigen der Benennung eines oder einer AfD-Vorsitzenden. So kam es zu zwei geheimen Wahlen. Doch de AfD-Kandidaten konnten weder am 15. Dezember 2021 noch am 12. Januar 2022 die erforderlichen Mehrheiten generieren.

Die AfD-Fraktion zog daraufhin zum BVerfG. In der Hauptsache wendet sie sich im Wege des Organstreits dagegen, dass die Ausschussvorsitzenden überhaupt in Wahlen bestimmt worden waren. Dies verletze ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) auf Gleichbehandlung und auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GO-BT). Zudem sei das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG) folgende Recht auf effektive Opposition verletzt. Im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte sie, die von ihr benannten Kandidaten vorläufig als Ausschussvorsitzende einzusetzen. Damit ist sie nun gescheitert.

BVerfG: Gefahr für den Bundestag überwiegt Rechte der AfD

Das BVerfG geht davon aus, dass das Ergebnis in der Hauptsache offen ist und hatte deshalb nur eine Folgenabwägung zu treffen – diese ging zulasten der AfD aus. Es lägen keine überwiegenden Umstände vor, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung als dringend geboten erscheinen ließen, so die Karlsruher Richter.

Würde das Gericht vorläufig drei Kandidaten einsetzen, die offenkundig von den anderen Parlamentariern nicht gewünscht sind, wäre die Arbeitsfähigkeit der besagten Ausschüsse gefährdet. Die Wahlergebnisse zeigten, dass die AfD-Politiker nicht das Vertrauen der Ausschussmehrheit genössen. Die Parlamentarier der anderen Parteien könnten deshalb versuchen, Leitungshandlungen eines AfD-Vorsitzenden zu konterkarieren. Das könnte, so der Senat, letztlich auch die Funktionsfähigkeit des Bundestags insgesamt beeinträchtigen, weil in den Ausschüssen unverzichtbare Vorarbeit für das Plenum geleistet werde.

Zudem würde eine vorläufige Einsetzung von Ausschussvorsitzenden schwerwiegend in die von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags eingreifen. Hierzu sei das BVerfG im Eilverfahren aber nur unter sehr strengen Voraussetzungen befugt – die hier offensichtlich nicht vorlägen.

Schließlich würde die Einsetzung der AfD-Kandidaten das durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte freie Mandat der Mehrheit der Ausschussmitglieder beinträchtigen. Dieses umfasse auch das Recht auf Beteiligung an den Abstimmungen im Parlament – und im Wahlergebnis sei der Mehrheitswille der Ausschüsse ja bereits deutlich geworden. 

Die damit für die AfD-Fraktion einhergehenden Nachteile wiegen nach Ansicht des BVerfG hingegen geringer. Die Parlamentarier könnten in den Ausschüssen an der politisch-parlamentarischen Willensbildung auch mitwirken, wenn sie nicht den Vorsitz innehätten. Sie könnten insbesondere von ihren Kontroll- und Korrekturrechten nach §§ 59 - 61 GO-BT Gebrauch machen, welche die Geschäftsleitungs- und Organisationsbefugnisse des Ausschussvorsitzenden begrenzten.

BVerfG: Was im Hauptsacheverfahren wichtig wird

Wie das Verfahren in der Hauptsache ausgehen wird, ist weiterhin offen. Dabei erachtet das BVerfG einen Erfolg der AfD-Fraktion offenbar durchaus für möglich. Das Recht auf gleichberechtigte Mitwirkung der Fraktionen könnte auch den Zugang zum Ausschussvorsitz erfassen, so das Gericht. Gemäß § 12 GO-BT stünden der AfD-Fraktion diese Positionen auch grundsätzlich zu.

Im Hauptsacheverfahren werde aber zu klären sein, ob § 58 GO-BT eine freie Wahl der Ausschussvorsitze zulasse. Offen sei auch, ob die Wahl die Rechtsposition der AfD aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG habe beeinträchtigen können. Zudem könnte eine mögliche Beeinträchtigung im Hinblick auf den Zweck der Wahl zulässig gewesen sein.

Eine von der AfD angeführte mögliche Verletzung der behaupteten Rechte auf effektive Opposition sowie auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung werde es hingegen im Hauptsacheverfahren nicht prüfen, so das BVerfG.