Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 4/2024

OVG Berlin-Brandenburg: Einschränkungen für auswärtige Anwält:innen in Visaverfahren bei Familiennachzug

Das OVG Berlin-Brandenburg hat seine Rechtsprechung zu Visaverfahren geändert: Beigeordnete auswärtige Anwältinnen und Anwälte sollen danach nicht mehr zu mündlichen Verhandlungen anreisen. Sie sollen stattdessen per Video an der Verhandlung teilnehmen.

21.02.2024Newsletter

Bislang hatte das in Visaverfahren stets zuständige Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg immer eine Ausnahme gemacht, wenn es auswärtige Anwältinnen oder Anwälte beiordnete. Diese Rechtsprechung hat es nunmehr geändert:

Auswärtige Anwältinnen und Anwälte werden jetzt in der Regel nur noch unter der Beschränkung des § 121 III ZPO beigeordnet, dass dadurch keine weitere Kosten entstehen. Das bedeutet in der Praxis, dass die meist am Wohnort der Mandanten ansässigen Anwältinnen und Anwälte nun regelmäßig nicht mehr zur mündlichen Verhandlung nach Berlin anreisen können, weil ihnen auch die Teilnahme an einer Videoverhandlung möglich ist. Das soll nach Ansicht des OVG jedenfalls gelten, wenn der Sachverhalt geklärt ist und es in erster Linie um Rechtsfragen geht.

Wird in einem solchen Verfahren eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt beigeordnet, so greift nach dem Wortlaut des § 121 III ZPO eigentlich regelmäßig das sog. Mehrkostenverbot. Danach kann ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Kosten für die Anreise sind danach nur insoweit erstattungsfähig, als sie auch im Falle der Beiordnung eines im Bezirk des Prozessgerichts (also: Berlin) niedergelassenen Rechtsanwalts entstanden wären.

Bislang hatte das OVG Berlin-Brandenburg jedoch in Visaverfahren entgegen dem Wortlaut eine Ausnahme angenommen und die Beiordnung eines Anwalts nicht beschränkt (vgl. Beschl. v. 2.5.2012 – OVG 3 M 34.12). Der Sinn und Zweck des Mehrkostenverbots greife bei Visaverfahren nicht, da der Gerichtsbezirk wegen des Sitzes der Ausländerbehörde stets Berlin sei und der Wohnort der Kläger nicht im Bundesgebiet liege.

Von seiner ständigen Rechtsprechung weicht das OVG nun allerdings explizit ab und begründet dies mit den seit der Corona-Pandemie entstandenen Möglichkeiten der Videoverhandlung. Es liege zwar nahe, dass die Referenzperson, zu der die Kläger Familiennachzug beantragen, einen an ihrem Wohnort ansässigen Rechtsanwalt beauftrage, weil auch die dortige Ausländerbehörde am Verfahren zu beteiligen sei. Da aber ein Anwalt nun auch per Video an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen könne, komme eine Ausnahme in Visaverfahren regelmäßig nicht mehr in Betracht. Eine Ausnahme sei nur noch anzunehmen, wenn seine präsente Teilnahme unter Berücksichtigung der aufgeworfenen Streitfragen aus besonderen Gründen zur Rechtsverfolgung erforderlich sei. Derartige besondere Gründe seien hier aber nicht gegeben. Vielmehr sei der Streitstoff überschaubar und betreffe im Schwerpunkt rechtliche Fragen.

Auch zu den Anforderungen an einen modernen Rechtsanwalt machte das OVG Ausführungen: Es sei diesem zumutbar, die erforderlichen technischen Voraussetzungen für eine Videokonferenz zu schaffen. Diese dürften „jedenfalls seit der Corona-Pandemie zur üblichen Büroausstattung gehören“. Jedenfalls sei die Anschaffung unter Berücksichtigung der ohnehin vorzuhaltenden technischen Infrastruktur sowie der einsparbaren Reisekosten ohne weiteres zumutbar. Schließlich brauche man lediglich einen Internetbrowser für die Gerichtssoftware. Soweit für eine Stabilität der Verbindung die Installation eines Videokonferenzprogramms empfohlen wird, sei dieses kostenfrei zugänglich.

Der Beschluss ist unanfechtbar und damit auch rechtskräftig.

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Hintergrund:

In Klageverfahren betreffend die Erteilung von Visa ist stets das Verwaltungsgericht (VG) Berlin zuständig, weil das Auswärtige Amt seinen Dienstsitz in dessen Gerichtsbezirk hat. Das VG Berlin ist somit das erstinstanzliche Gericht für Rechtsstreitigkeiten über Verwaltungsangelegenheiten deutscher Auslandsvertretungen, insbesondere betreffend die Erteilung von Visa. Rechtsmittelinstanz in Visaverfahren ist daher immer das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg.