Presseerklärung Nr. 2/2020

Legal Tech, Erfolgshonorar und interprofessionelle Zusammenarbeit – Anhörung im Rechtsausschuss

Experten lehnen Gesetzentwurf der FDP zu Legal Tech ab

11.03.2020Presseerklärung

Am heutigen 11.03.2020 fand im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages eine Anhörung zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur „Modernisierung des Rechtsdienstleistungsrechts“ vom 18.04.2019 (BT-Drs. 19/9527) und zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN "Anwaltliches Berufsrecht zukunftsfest machen" vom 29.01.2020 (BT-Drs.19/16884) statt.

Neben Dr. Daniel Halmer, LexFox GmbH, Markus Hartung, Rechtsanwalt und Mediator, und André Haug, Vizepräsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), waren auch Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins e. V., Dr. Birte Lorenzen, Mitglied des Ausschusses RDG der BRAK und Florian Stößel, Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., sowie Prof. Dr. Dirk Uwer, LL.M., Rechtsanwalt, und Prof. Dr. Christian Wolf, Leibniz Universität Hannover, als Experten geladen.

Mit den erörterten Themen hat sich die BRAK in der Vergangenheit bereits intensiv befasst (Presseerklärungen der BRAK Nrn. 14/2019, 10/2019 und 6/2019).

Alle Experten erhielten Gelegenheit, vor der Anhörung vorbereitende schriftliche Stellungnahmen abzugeben. Die schriftlichen Ausführungen von Dr. Birte Lorenzen und Prof. Dr. Christian Wolf hat die BRAK veröffentlicht.

Dr. Birte Lorenzen spricht zu Beginn ihres Statements den Kern der Bemühungen um eine Öffnung des RDG deutlich an: Das RDG interessiere plötzlich alle, weil es ums Geld gehe. Man habe  die Rechtsordnung als "Rohstoff" für sich entdeckt, in dem nach skalierbaren Rechtsproblemen gesucht werde, aus denen man ein möglichst lukratives Geschäftsmodell destillieren könne. Der Verbraucherschutz sei ein vorgeschobenes Argument. Immerhin müssten Verbraucher im Erfolgsfalle bei Legal Tech-Anwendungen 30-50 Prozent ihres Anspruches abgeben. Beim Anwalt sei das nicht der Fall.

Den Entwurf der FDP-Fraktion lehnt Lorenzen ab (vgl. Stellungnahme), da er keine hinreichende Qualität der Beratung, gerade im Hinblick auf den Verbraucherschutz, gewährleiste. "Legal Tech-Anbieter setzen nur dort an, wo sie sich selbst einen möglichst hohen Gewinn durch standardisierte Bearbeitung erhoffen". Das RDG setzte, u. a. zum Schutz der Rechtssuchenden, an der Person, nicht am Weg der Erbringung einer Rechtsdienstleistung an. Die Digitalisierung sei kein Grund, hiervon abzurücken, im Gegenteil. Den Legal Tech-Anbietern komme es nicht auf die bestmögliche Lösung für jeden Einzelfall an, da dies nicht in ihr gewinnoptimiertes Geschäftsmodell passe. Industrielle Anspruchsdurchsetzung überlaste zudem die Ressourcen der Justiz.

Auch sei ein Qualitätsverlust zu befürchten, wenn Rechtssuchende sich in Legal Tech-Tools und ihren schematischen Abfragemechanismen selbst beraten. Eine individuelle Prüfung finde nicht statt.

Schließlich könne die Rechtsfortbildung in Bereichen, in denen automatisierte Dienstleistungen erbracht werden, zum Erliegen kommen. "Es ist deshalb ein erheblicher Kollateralschaden für das Rechtssystem als Ganzes zu befürchten", so Lorenzen.

Ähnlicher Auffassung ist auch Prof. Dr. Christian Wolf: Er hegt verfassungsrechtliche Bedenken gegen den FDP-Entwurf. "Grundsätzlich lässt sich durch Algorithmen keine juristische Rechtsanwendung abbilden". Der FDP-Vorschlag greife schwerwiegend in den Schutzbereich des RDG ein. Die Regelung lade zur Umgehung des anwaltlichen Berufsrechts ein und stelle nicht hinreichend sicher, dass Rechtsberatung qualifiziert erfolge. Im Übrigen sorge Legal Tech nicht für Zugang zum Recht. Laut einer Statistik aus dem Jahre 2018 seien vor deutschen Amtsgerichten 832.856 Verfahren mit anwaltlicher Vertretung geführt worden, 32,4 Prozent in Verfahren mit einem Streitwert von bis zu 600 Euro. Der Zugang zum Recht sei damit nachweislich gegeben. Rechtsberatung durch Algorithmen sei damit zu vergleichen, dass man die Bundestagswahlen abschaffe und stattdessen durch Algorithmen errechnen lasse, wie sich das Parlament künftig zusammen zu setzen habe. Das könne nicht gewollt sein.

Edith Kindermann betonte, dass es nicht auf die Binnensicht der Rechtsdienstleister, sondern auf die Verbrauchersicht ankommen müsse.

Auch Prof. Dr. Dirk Uwer und Markus Hartung bezeichneten den FDP-Entwurf als ungeeignet bzw. nicht kohärent und wenig nachhaltig. Uwer führt aus, dass der Gesetzesentwurf auch technische Schwachpunkte enthalte. Er würde letztlich die völlige Freigabe außergerichtlicher Rechtsberatung bedeuten, solange sie nur automatisiert erfolge.

André Haug konzentrierte sich in seinem Statement auf das anwaltliche Berufsrecht und erinnerte an die Vorschläge zur Reform des berufsrechtlichen Gesellschaftsrechts von BRAK und DAV. Erforderlich sei, neben den Kapitalgesellschaften auch die Kommanditgesellschaft zuzulassen, und zwar auch solche, deren Komplementär eine Rechtsanwaltsgesellschaft ist. Die derzeitige Gesetzeslage werde europarechtlichen Anforderungen nicht gerecht und behindere die Freizügigkeit der Anwälte. Auch die Beteiligung von Rechtsanwaltsgesellschaften an anderen Gesellschaften und Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung müsse künftig möglich sein.

Hinsichtlich interprofessioneller Zusammenarbeit gehe der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgesehene Vorschlag viel zu weit. Der Mandantenschutz durch besondere anwaltliche Pflichten und Privilegien dürfe nicht dadurch ausgehebelt werden, dass sich Dritte, die diesen nicht unterliegen, mit Anwälten zusammenschließen. Die BRAK schlage daher eine eigene Regelung vor, die bereits mit einer Stellungnahme (BRAK-Stellungnahme Nr. 25/2019) veröffentlicht worden sei.

Die Anhörung und die sich anschließende Debatte lassen vermuten, dass die Themen die Anwaltschaft noch eine ganze Weile beschäftigen werden. Die BRAK bleibt bei ihrer Auffassung, dass es keiner Regulierung im RDG bedarf, da Rechtsberatung Sache der Anwaltschaft bleiben muss. Auch hinsichtlich des anwaltlichen Gesellschaftsrechts hält die BRAK an ihrem Vorschlag fest (BRAK-Stellungnahme Nr. 15/2018).

Die BRAK wird die weiteren Entwicklungen daher kritisch begleiten.