Presseerklärung Nr. 22/2020

BRAK: Scharfe Kritik am „Legal Tech-Gesetz“

Ziel des Verbraucherschutzes wird durch Erfolgshonorar und Prozessfinanzierung gefährdet

07.12.2020Presseerklärung

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat am 07.12.2020 zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) Stellung genommen und kritisiert weite Teile des Entwurfs nachdrücklich.

Angesichts der Entwicklungen im Rechtsdienstleistungsmarkt in den vergangenen Jahren begrüßt die BRAK, dass der Gesetzgeber das Thema Legal Tech und Inkasso aufgreift. Sie befürwortet, dass stärkere Kontrollen von Inkassodienstleistern und Verschärfungen ihrer Informationspflichten vorgesehen sind. Gleichwohl darf es nach Auffassung der BRAK Legal Tech nicht ohne anwaltliche Beteiligung geben. Deshalb lehnt sie den Ansatz des Gesetzentwurfs, einen sich unterhalb der Anwaltschaft etablierenden Rechtsdienstleistungsmarkt weiter zu fördern, vehement ab. Verbraucherschutz wird mit dem Entwurf nicht erreicht, sondern im Gegenteil gefährdet. Außerdem   drohen die Kernwerte der Anwaltschaft und damit rechtsstaatliche Prinzipien ausgehöhlt zu werden.

Die BRAK lehnt daher die vorgesehenen Regelungen zu Prozessfinanzierung und Erfolgshonorar nachdrücklich ab. Sie gefährden die Unabhängigkeit der Anwaltschaft, bedingen Interessenskonflikte und stehen mit den Systemen der Kostenerstattung sowie der Beratungs- und Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe nicht im Einklang. Bereits in ihrem Positionspapier „Digitalisierung und Zugang zum Recht“ hat sich die BRAK gegen jegliche weitere Lockerungen des bestehenden Erfolgshonorarverbots für Rechtsanwälte ausgesprochen.

Eine Lockerung des Verbots des Erfolgshonorars führt zu Interessengegensätzen zwischen Rechtsanwalt und Mandant, denn der Anwalt wird zum Investor des Mandats und damit gleichsam zur Partei. Er ist dann nicht mehr das unabhängige Organ der Rechtspflege, das § 1 BRAO statuiert. Diese Gefahr setzt sich durch die vorgesehene Möglichkeit der Prozessfinanzierung fort. Der Anwalt rückt in den gewerblichen Tätigkeitsbereich und würde zwangsläufig eigene wirtschaftliche Interessen mit dem Ausgang des Prozesses verknüpfen, was ebenfalls einen strukturellen Interessenskonflikt vorprogrammiert. Das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant würde erheblich belastet. Dieses Vertrauensverhältnis und die Integrität des anwaltlichen Berufsstandes sind Werte, die nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfen.

Das Ziel des Verbraucherschutzes wird mit dem Entwurf in mehrfacher Hinsicht verfehlt. Die Rechtsdurchsetzung wird für Verbraucher einerseits tatsächlich teurer. Der Verbraucher wird seine – berechtigte – Forderung künftig nie mehr zu 100 % erhalten. Denn bei Legal Tech-Inkasso werden üblicherweise nur Forderungen mit sehr hoher Erfolgsaussicht übernommen, die für das Unternehmen lukrativ sind und von denen der Verbraucher in der Regel 30 % als Honorar abgeben muss. Bei anwaltlicher Vertretung erhielte der Gläubiger dagegen zusätzlich zu den 100 % seiner Forderung die Rechtsverfolgungskosten erstattet. Eine vollständige Kostenerstattung durch den Gegner findet im Fall des Obsiegens bei einem vereinbarten Erfolgshonorar, im Gegensatz zum Kostenerstattungssystem des RVG, nicht statt. Andererseits wird für Verbraucher der Zugang zum Recht faktisch beschränkt: Von Legal Tech-Anbietern werden nicht alle denkbaren Forderungen durchgesetzt, sondern nur diejenigen, die eben in dem standardisierten Legal Tech-Modell abgebildet sind.

Darüber hinaus sind die Voraussetzungen der Tätigkeit und Zulassung als Inkassodienstleister in dem Entwurf nur unzureichend geregelt. Das ist unbefriedigend, denn Rechtssicherheit wird auf diese Weise ebenso wenig gewährleistet, wie Verbraucherschutz sichergestellt wird.

„Die BRAK wendet sich nicht gegen Legal Tech oder Inkassodienstleistung. Im Gegenteil. Legal Tech ist aus dem Anwaltsmarkt nicht mehr wegzudenken und wird bereits von der Anwaltschaft genutzt – und zwar auf die Mandatsstruktur angepasst und ganz ohne Erfolgshonorar. Genau dort gehört Legal Tech auch hin: In den Anwaltsmarkt und mit Menschenvorbehalt! Die BRAK tritt für eine uneingeschränkte Aufrechterhaltung und Einhaltung der Kernwerte der Anwaltschaft ein. Diese sind – anders als bei nichtanwaltlichen Rechtsdienstleistern und Legal Tech-Anbietern – unsere Markenzeichen. Und sie begründen das in den Rechtsstaat und in die Anwaltschaft gesetzte Vertrauen“, so BRAK-Präsident Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels. „Anwälte sind unabhängig und verschwiegen. Das eint uns. Diese Einheit der Anwaltschaft darf jetzt nicht dadurch gefährdet werden, dass Teilgruppen zum Zwecke der Gewinnmaximierung die Unabhängigkeit dadurch gefährden, dass sie ihr Interesse über das der Mandanten stellen“, bekräftigt Wessels. „Genau diese Gefahr bringt der vorgelegte Entwurf aber mit sich. Last but not least verkennt der Gesetzgeber die Stellung der Anwaltschaft im Rechtsstaat. Denn Rechtsanwälte gewährleisten einen maßgeblichen Beitrag zur Sicherung des Zugangs zum Recht und haben für das Funktionieren unseres Rechtsstaates eine elementare Bedeutung. Zumal – und so schließt sich der Kreis – die anwaltlichen Berufspflichten gesetzlich verankerter Verbraucherschutz sind.“

Ganz allgemein hat die BRAK überdies bemängelt, dass die Stellungnahmefrist für die Verbände erneut äußerst kurz bemessen wurde. Gesetzgebungsverfahren sollten nicht im Schnelldurchlauf durchgeführt werden, sondern eine angemessene Diskussion in der Fachöffentlichkeit ermöglichen. Dies hatte die BRAK bereits zuvor unter dem Titel „Rechtsstaat 2.0 – stark und zukunftssicher – Nur ein transparenter Rechtsstaat ist ein starker Rechtsstaat“ mit einem Positionspapier gefordert.

Die BRAK hat sich mit dem Entwurf auch bereits in ihrem Podcast (R)ECHT INTERESSANT! kritisch auseinandergesetzt und in der 5. Folge unter dem Titel „Legal Tech – gehört die Zukunft dem Algorithmus?“ mit Experten gesprochen.