Presseerklärung Nr. 25/2018

Verbandsklagen – Giftpaket oder Wohlfühlpackung?

„Einer für Alle – Alle für Einen“: Pro und Contra zum Richtlinienvorschlag der Kommission über Verbandsklagen

06.11.2018Presseerklärung

Am 05.11.2018 fand in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU in Brüssel eine Podiumsdiskussion zum Thema Verbandsklagen statt. Grundlage war der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom 11.04.2018, der dem Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher dienen soll. Ziel des Vorschlages ist es, illegale Geschäftspraktiken effizient zu unterbinden und zu sanktionieren.

Auf Einladung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen Peter Biesenbach und des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels diskutierten Repräsentanten der EU-Kommission (Alexandra Jour-Schröder, stellv. Generaldirektorin Justiz und Verbraucher), des Europäischen Parlaments (Axel Voss, Abgeordneter), der Europäischen Verbraucherorganisation (Ursula Pachl, stellv. BEUC-Generaldirektorin) und eines international agierenden Unternehmens (Lydia Schulze Althoff, Syndikusrechtsanwältin, Bayer AG) mit den beiden Gastgebern das Für und Wider des Kommissionsvorschlages.

Die sehr unterschiedlichen Auffassungen der Podiumsteilnehmer nahm Biesenbach in seinem Grußwort treffend vorweg: „So unterschiedlich die Auffassungen in diesem Bereich auch sein mögen, eines dürfte völlig klar sein: Wer das Recht bricht, darf hieraus keinen Gewinn ziehen!“. Als kritische Punkte nannte Biesenbach u.a. das fehlende Mindestquorum, den Verzicht auf einen verbindlichen Opt-In-Mechanismus und die Anforderungen an die „Qualifizierung“ der klagebefugten Einrichtungen. Das Angebot der Kommission könne man aus Sicht eines deutschen Zivilrechtlers daher als toxisch bezeichnen.

Catherine Martens, Deutsche Welle, führte durch den Abend und richtete an das Podium die bewusst provokante Frage: „Ist der Richtlinienvorschlag nun ein Giftpaket oder doch eine Wohlfühlpackung für Verbraucher?“

Jour-Schröder von der Generaldirektion verteidigt den Vorschlag. Die Ausgestaltung der Verbandsklagen stelle ein sehr komplexes Thema dar. „Dies darf aber nicht dazu führen, dass wir das Thema nicht anfassen und auf die lange Bank schieben“, so Jour-Schröder. Pachl bezeichnete den Vorschlag als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. „Der Traum aller Verbraucher ist das aber noch nicht!“

Schulze Althoff sieht den Vorschlag eher kritisch. „Die US-Regelungen zu Sammelklagen sehen ja auf dem Papier so aus, als wären sie ein sachgerechter Lösungsansatz. Das ist aber leider nicht die Praxis“. Dort stünden aber vor allem die finanziellen Interessen Dritter im Vordergrund, so Schulze Althoff. „Wir brauchen deshalb mehr Schutzmechanismen.“

Wessels sieht Probleme in der fehlenden Vereinheitlichung. Nach dem Vorschlag bleibt es den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, ob sie bei Schadensersatzklagen eine sogenannte Opt-In-Lösung fordern, bei der jeweils ein Mandat einzelner Verbraucher notwendig ist. Er fordert, dass die Kommission selbst eine Entscheidung trifft und sich festlegt. „Man muss die Betroffenen identifizieren können. Nur so lassen sich Missbrauch und Forum Shopping effektiv verhindern. Ohne Opt-In schütze ich nicht mehr den Verbraucher, sondern ein vermeintliches Allgemeininteresse, das sich nicht mehr konkretisieren lässt.“

Wessels bedauert auch die fehlende Klagebefugnis von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Der Vorschlag gehe nicht weit genug. Neben den qualifizierten Einrichtungen müsse auch der Anwaltschaft eine aktivere Rolle zugestanden werden. „Die Anwaltschaft sichert den Zugang zum Recht. Diesen können wir effektiv auch im Verbraucherschutz gewährleisten. Unsere deutschen Berufsregeln verhindern dabei Missbrauch.“

Die Diskussionen zeigten, dass es sich um ein äußerst komplexes Thema handelt. Ob das europäische Gesetzgebungsverfahren noch in dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden kann, bleibt abzuwarten.

„Die Verbandsklage ist ein sehr wichtiges Thema: Es betrifft Verbraucher, Anwaltschaft und Justiz gleichermaßen. Der heutige Abend hat gezeigt, dass es nicht leicht werden wird, die betroffenen Interessen zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Wir sind gespannt und werden das Thema weiter kritisch begleiten“, resümierte Wessels.

(bearbeitet am 07.11.2018, 14:22 Uhr)