2. Corona Umfrage 9/2020

Im September 2020 hat die BRAK eine weitere Umfrage zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf die deutsche Anwaltschaft durchgeführt, um die sich durch die Pandemie ergebenden Entwicklungen abschätzen und den Unterstützungsbedarf in der Anwaltschaft besser ermitteln zu können.

Der Trend, der sich bereits anlässlich der ersten Umfrage im April abzeichnete, hat sich fortgesetzt. Wie sich zeigte, hat die Anwaltschaft außerhalb des harten Lockdowns etwas weniger Mandatsrückgänge zu verzeichnen. Dennoch hat sich die Situation keineswegs entspannt. Noch immer ist rund die Hälfte aller Umfrageteilnehmer von der Krise betroffen. Ein Drittel der teilnehmenden Anwaltschaft hat seit Pandemie-Beginn mehr Außenstände bei Mandanten, noch immer geben über 20 % an, auf Soforthilfen angewiesen zu sein. Über ein Zehntel der befragten Anwälte geht davon aus, die Krise nicht überwinden zu können. Gerade in der Krise besteht auf zahlreichen Rechtsgebieten erhöhter Beratungsbedarf, der gedeckt werden muss. Dies kann nur sichergestellt werden, wenn die Anwaltschaft arbeitsfähig bleibt.

Die Umfrage zeigte auch, dass nicht nur der Zugang zum Recht tangiert war und ist, sondern auch die Justiz in der Krise nicht hinreichend handlungsfähig war. Durch Verfahrensverzögerungen, die durch die Umfrage bestätigt wurden, wurde der Zugang zum Recht jedenfalls eingeschränkt.

Die Krise brachte jedoch auch Positives mit sich. Laut Umfrage hat sie zu einem Umdenken in der Anwaltschaft geführt, was die Beschleunigung der Digitalisierung und den Ausbau der Dienstleistungsorientierung anbelangt. Die Anwaltschaft hat sich noch stärker auf die Bedürfnisse von Mandantinnen und Mandanten eingestellt und vermehrt telefonisch oder elektronisch beraten.

Die Ergebnisse im Detail

Die 13 Punkte umfassende zweite Umfrage der BRAK wurde knapp 6.850 mal angeklickt, beinahe 5.600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben den Fragebogen vollständig beantwortet. Besonders stark beteiligt waren Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus den Bundesländern Baden-Württemberg (18,18 %), Berlin (22,16 %), Niedersachsen (10,24 %) und Nordrhein-Westfalen (12,80 %).

Auch in der zweiten Umfrage spiegelt die Verteilung nach Rechtsgebieten und Kanzleiorganisationsformen die tatsächliche Situation in Deutschland recht gut wieder. Die Umfrageergebnisse zeichnen aufgrund der Durchmischung der Teilnehmer (vom Einzelanwalt bis zum Partner in der Großkanzlei) ein repräsentatives Bild der aktuellen Situation der Anwaltschaft.

42,89 % aller Teilnehmer der Umfrage (1. Umfrage: 39,72 %) sind als Einzelanwalt tätig, 16,14 % Partner in einer Kanzlei mit bis zu 5 Anwälten (1. Umfrage: 17,29 %), 1,91 % (zuvor 3,79 %) Partner in einer Kanzlei mit bis zu 10 Anwälten. Über 27 % (1. Umfrage: 30 %) der Kollegen sind vorwiegend auf dem Gebiet des Arbeitsrechts tätig, 25,28 % (27 %) im Familienrecht, 21,99 % (21 %) im Miet- und WEG-Recht und rund 14 % (zuvor 15 %) im Strafrecht.

Die Auswertung zeigt erneut, dass die Aktivitäten der BRAK in den letzten Monaten angezeigt und sachgerecht waren, denn die Anwaltschaft ist nach wie vor von der Pandemie betroffen.

Etwas weniger Mandatsrückgänge – aber noch die Hälfte aller Befragten betroffen

Was den Rückgang an neuen Mandanten betrifft, scheint sich die Lage im Vergleich zu April minimal verbessert zu haben. Außerhalb des Lockdowns suchen offenbar wieder etwas mehr Ratsuchende einen Anwalt auf.  Während bei der Umfrage im April noch zwei Drittel (rund 70,1 %) aller Anwälte erheblich weniger Mandate und damit im Zweifel einen empfindlichen Umsatzeinbruch zu verkraften hatten, waren dies im September nur noch etwa die Hälfte aller Befragten. Gleichwohl gaben noch 52,9 % aller Teilnehmer an, weniger neue Mandate (kein einziges Mandat bis 5 % weniger Mandate) zu verzeichnen.

Auch im September gaben lediglich 35 % (zuvor 19 %) der Befragten an, in etwa gleich viele Mandate seit Beginn der Corona-Krise generiert zu haben. 10,10 % (zuvor 9,37 %) hatten etwa 30 % weniger Mandate, 10,09 % (vormals 17,36 %) hatten sogar 50 % weniger Mandate seit Pandemie-Beginn. 4,74 % (davor 16,96 %) haben 75 % weniger Mandate und 3,44 % (zuvor 7,97 %) der Teilnehmer konnten kein einziges neues Mandat seit Beginn der Corona-Krise verzeichnen.

Die Umfrage hat bestätigt, dass die Betroffenheit der Kollegen auch vom Rechtsgebiet abhängt, auf dem sie vorwiegend tätig sind. Was Mandatsrückgänge in der Größenordnung von 50% betraf, waren die Rechtsgebiete Strafrecht (über 15 % aller Befragten), Insolvenzrecht (17,26 %) , Schuld- (14,20%) und Erbrecht (13,19 %) am stärksten betroffen.

Soforthilfen

Die Anwaltschaft ist nach wie vor deutlich von der Krise betroffen.

Auch dies hat sich durch die Umfragen wiederholt als zutreffend erwiesen. Insgesamt 21,28 % (im April 44,6 %) der Kolleginnen und Kollegen haben entweder bereits Soforthilfe beantragt bzw. gehen/gingen davon aus, künftig Soforthilfen beantragen zu müssen.  Bei 1,80 % wurde (Stand September) der Antrag auf Soforthilfe abgelehnt. Damit ist fast die Hälfte aller Teilnehmer betroffen. 75,05 % (im April 45,6 %) der Befragten gaben an, keine Soforthilfen beantragt zu haben. Der Bedarf an Unterstützung ist somit zwar rückläufig, gleichwohl aber noch vorhanden.

Auch die Beantragung von Soforthilfen hing offenbar wesentlich von dem Rechtsgebiet ab, auf dem die Kollegen tätig sind. So haben 40 % aller befragten Strafrechtler, 40,37 % der auf dem Gebiet des Straßenverkehrsrechts tätigen Kollegen sowie 37,20 % der sozialrechtlich ausgerichteten Teilnehmer Soforthilfen beantragt und erhalten.

Dies stützt die These der BRAK, dass Rechtsanwälte zum Teil recht zeitverzögert mit Liquiditätseinbußen rechnen müssen. Auch ein halbes Jahr nach Pandemie-Beginn sind die Mandatseingänge keinesfalls mit jenen vor Beginn der Corona-Pandemie zu vergleichen. Insofern gibt auch die zweite Umfrage den zahlreichen Initiativen der BRAK während der Pandemie recht.

Hinzu tritt die Tatsache, dass rund 30 % aller Befragten mehr offene Rechnungen bei Mandanten haben als noch vor Pandemiebeginn. Auch dies kann zu Liquiditätsengpässen führen.

Wirtschaftliche Erholung von der Krise

Die Selbsteinschätzung der Kolleginnen und Kollegen, wann sie mit einer Überwindung der wirtschaftlichen Auswirkungen rechnen, zeigt deutlich, dass die Anwaltschaft auch weiterhin mit Engpässen rechnet: Noch immer geht knapp ein Drittel aller Befragten (zuvor 36,98 %) davon aus, die wirtschaftlichen Auswirkungen binnen 6 Monaten überwinden zu können, Inzwischen meinen sogar 40,01 % (zuvor nur 23,88 %) erst binnen eines Jahres über die Einbußen hinwegkommen zu können. 16,82 % (zuvor nur 4,35 %) rechnen sogar damit, erst binnen zwei Jahren die Einbußen überwunden zu haben. 12,20 % geben an, die Mindereinnahmen überhaupt nicht überwinden zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass Corona damit den Zugang zum Recht nachhaltig beeinträchtigen wird. Sofern Anwälte sich nicht von der Krise erholen können, schrumpft der Rechtsberatungsmarkt und Verbrauchern wird der Zugang zu Beratungsleistungen und damit zum Recht erschwert. Kritisch kann dies insbesondere dann werden, wenn Kanzleien in Gegenden betroffen sind, in denen die Auswahl an Rechtsberatungsangeboten dünn gesät ist.

Die Anwaltschaft ist bei einer Gesamtbetrachtung von der Krise jedoch mittel- und teils auch langfristig recht deutlich betroffen.  

Digitalisierung

Die Corona-Krise scheint die Digitalisierung vorangebracht haben. Viele Anwälte haben zunehmend an reinen Online-Konferenzen und Besprechungen teilgenommen – so jedenfalls das außerhalb der Umfrage bei der BRAK eingegangene Feedback. Anlass genug, sich auch der Frage zu widmen, ob die Krise zu einer zunehmenden Digitalisierung in Kanzleien geführt hat. 62,22 % der Teilnehmer bestätigten, sich infolge der Pandemie mehr mit Digitalisierung beschäftigt zu haben. Die BRAK kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen, mussten coronabedingt doch zahlreiche Sitzungen und Veranstaltung in digitaler Form abgehalten werden – auch international.

Modernere Gerichtsverfahren?

Neu abgefragt wurde, ob während der Pandemie gerichtliche Verfahrenshandlungen im Wege der Bild- und Tonübertragung vorgenommen oder Zeugenbefragungen auf diesem Wege durchgeführt wurden. Das Ergebnis zeigt, dass von den vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten nur sehr unzureichend Gebrauch gemacht wurde. 89,36 % gaben an, dass weder auf Antrag noch von Amts wegen Solches veranlasst wurde. 4,17 % der Teilnehmer hatten diesbezügliche Anträge gestellt, hiermit allerdings keinen Erfolg. Nur in 4,99 % der benannten Fälle wurden entsprechende Verfahrenshandlungen von Amts wegen vorgenommen, zu 1,48 % wurden diese auf Antrag durchgeführt. Dies zeigt deutlichen Verbesserungsbedarf beim Verfahrensmanagement der Gerichte auf.

Die BRAK hat sich überdies bereits im April im Rahmen einer Stellungnahme zum COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG mit diesem Thema befasst und diesbezüglich auch eine Stellungnahme abgegeben. Die Intention des Gesetzgebers, die Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der Covid-19-Krise bzw. generell in Zeiten einer Epidemie zu gewährleisten, hat die BRAK grundsätzlich begrüßt und unterstützt, jedoch auch Kritik an den Vorschlägen geübt.

Verfahrensverzögerungen

Es mag sein, dass die nur geringfügige Nutzung vorhandener gesetzlicher Möglichkeiten (Bild- und Tonübertragung) zumindest mitursächlich für die unbestreitbar eingetretenen Verfahrensverzögerungen war.

47,21 % der Befragten gaben an, dass es zu Verfahrensverzögerungen von durchschnittlich mehr als 8 Wochen gekommen sei. 2 % nannten Verzögerungen von bis zu 2 Wochen, 12,32 % von bis zu 4 Wochen, 27,35 % von bis zu 8 Wochen. Lediglich 11,12 % gaben an, keine Verzögerungen wahrgenommen zu haben. Die Auswertung zeigt, dass einige Gerichtsbarkeiten besonders stark hinterherhinkten. Die Befragten meldeten die drastischsten Verzögerungen (mehr als 8 Wochen) im Strafrecht (58,14 %), Sozialrecht (56,73 %), Straßenverkehrsrecht (52,67 %), Mietrecht (52,41 %), Familienrecht (52,93 %) und Erbrecht (51,53 %).

Scheinbar hat Corona auch dazu geführt, dass – so jedenfalls 33,45 % aller befragten Anwältinnen und Anwälte – in laufenden Verfahren vermehrt schriftliche Entscheidungen getroffen wurden. Die BRAK hat diese Entwicklung – insbesondere in sozialgerichtlichen Verfahren – bereits vor Abschluss der Umfrage antizipiert und in einem offenen Brief klar Stellung bezogen.

Umdenken bei Beratungsleistungen

Die Corona-Krise dürfte in der Anwaltschaft zu mehr Flexibilität bei der Beratung von Mandantinnen und Mandaten geführt haben. 22,83 % der Befragten gaben an, bis zu 25 % mehr telefonische Beratungen durchgeführt zu haben. 17,58 % haben sogar bis zu 50 %, 13,69 % bis zu 75 % mehr telefonische Beratungen durchgeführt. 9,89 % haben ausschließlich telefonisch beraten. 16,82 % der Teilnehmer haben zwar nicht verstärkt telefonisch, dafür aber mehr per E-Mail beraten. 19,19 % der teilnehmenden Rechtsanwälte haben die Beratungspraxis infolge Corona nicht umgestellt.

Fazit

Die BRAK wird sich weiterhin – innerhalb und außerhalb der Krise – für die Interessen der Anwaltschaft einsetzen. Die Erkenntnisse aus der Umfrage werden in weitere berufspolitische Initiativen einfließen. Flankierend hierzu hat die BRAK die Arbeitsgemeinschaft „Sicherung des Rechtsstaats“ ins Leben gerufen. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, Lehren aus der Pandemie zu ziehen und gewonnene Erfahrungen zu nutzen, um den Rechtsstaat zukunftssicher zu gestalten. Die BRAK hat auf Basis der Arbeitsergebnisse der Arbeitsgemeinschaft bereits ein Positionspapier veröffentlicht und wird die darin aufgestellten Ansätze weiterverfolgen und weiterentwickeln.

Wir danken allen Kolleginnen und Kollegen herzlich für ihre Teilnahme an unserer Umfrage. Sie unterstützen uns maßgeblich dabei, Ihre Interessen zu wahren und zu vertreten!

Die Gesamtauswertung der Umfrage finden Sie hier.

Ende Oktober erscheint zudem der aktuelle Podcast der BRAK, der sich mit den Umfrageergebnissen beschäftigen wird. Zu Gast wird Rechtsanwalt Jan Helge Kestel, Präsident der RAK Thüringen und Mitglied im BRAK-Ausschuss Öffentlichkeitsarbeit sein und im Gespräch die aktuellen Entwicklungen beleuchten.