Laudatio

Andreas Platthaus, Mitglied der Jury des Karikaturpreises der deutschen Anwaltschaft und Literaturredakteur der FAZ

Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, herzlichen Glückwunsch an Greser & Lenz, herzliches Beileid an alle unter Ihnen, die Mitglied der Bundesrechtsanwaltskammer sind.

Was haben Sie da für Preisträger ausgewählt bekommen? Nicht nur, daß die Jury offenbar keinen Karikaturisten oder keine Karikaturistin mehr fand, die oder der alleine preiswürdig gewesen wäre. Sie hat dann auch noch zwei Herren zu Gewinnern bestimmt, die aus ihrem jeweiligen Anteil am Gewürdigten ein Geheimnis machen, was immerhin die Möglichkeit beinhaltet, daß einer der beiden überhaupt nicht zeichnen kann, also hier eine Art Preiserschleichung – ob von Beginn an beabsichtigt oder konkludent, wäre noch zu prüfen – in zumindest einem Fall vorliegen könnte. Was ein Glück, daß die Preissumme nicht der Verdoppelung der Ausgezeichneten angepasst worden ist. Das spart nicht nur der Bundesrechtanwaltskammer Geld, sondern vermehrt auch die Chance, daß sich die beiden Prämierten über die Verteilung ihrer Beute in die Haare kriegen und nicht nur einen unter Ihnen konsultieren oder gar mandatieren, sondern gleich zwei. Das ist der Vorteil doppelter Sieger: Allein rechtstreitet es sich so schlecht. Im Erfolgs-, sprich: Streitfall könnte die Juryentscheidung Schule machen als Maßnahme zur Wirtschaftsförderung in ihrer Branche. Mit Katz & Goldt oder Rattelschneck gibt es noch weitere bedenkenswerte Duos, bemerkenswerterweise beide auch dem deutschen Satireraum zugehörig, als wäre hierzulande die Kraft der zwei Herzen vonnöten, um den Blutdruck auf für die Karikaturenproduktion relevante Erregungswerte hochzutreiben. Ein Karikaturistentrio wurde noch nicht erspäht – gutes Zeichen für die Adrenalinausschüttung bei Humoristen, schlechte Zeiten für die Anwaltschaft.

Ich bin von meiner Ausgangsfrage abgekommen – mammon vincit omnia –, also flugs noch einmal angehoben: Was haben Sie da für Preisträger ausgewählt bekommen? Um einen langen biographischen Anlauf zu nehmen: beides gestandene Mannsbilder aus Unterfranken, die sich während ihres Studiums in Würzburg kennengelernt haben und seitdem gemeinsame Wege bei der Komikverfertigung gehen. 1988 scheiterte der Versuch, dieses dynamitene Duo zu sprengen, denn damals stellte das Satiremagazin „Titanic“ Heribert Lenz als Redakteur ein, womit die zwei Jahre lang betriebene Isolation durch Arbeitsüberlastung, der man dort den bereits 1986 engagierten Achim Greser unterworfen hatte, beendet wurde und beide Herren fortan zusammen zeichneten – vor allem ihre kollektiven Arbeiten mit dem Schriftzug Greser & Lenz. Anfangs war eine Händescheidung noch möglich, vor allem auch deshalb, weil Greser in seinen beiden einsamen „Titanic“-Jahren eine sprunghafte Entwicklung genommen hatte, der Lenz erst einmal hinterherhechten musste, als auch er dazustieß. Doch durch geduldige Übung glichen beide ihren Stil dermaßen einander an, daß irgendwann kein Außenstehender mehr wagen durfte, Zuschreibungen vorzunehmen. Es sei denn, er hätte die Vorzeichnungen gesehen, die während der Ideenfindung entstehen, denn denen kann man noch die jeweilige Herkunft ablesen. Aber mit der Ausarbeitung, dem Tuschen der Skizzen, setzt die Vertuschung ein. Und Vertuschung können wir als Täuschung interpretieren; die Doppelidentität unserer Preisträger ist also nicht nur dubios, sondern gegebenenfalls auch strafrechtlich relevant. Schließlich gibt der eine das eigene Werk für das des anderen aus und umgekehrt. Sie wissen schon: Paragraph 267 StGB, Absatz 1, Satz 1, erste Alternative. „Wer zur Täuschung im Rechtsverkehr eine unechte Urkunde herstellt, eine echte Urkunde verfälscht oder eine unechte oder verfälschte Urkunde gebraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Betrug oder Urkundenfälschung verbunden hat.“ Was heißt hier „gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande“? Bei Greser & Lenz trifft beides zu. Doppelt schwerer Fall also. Diese Preisträgerbande ist nicht präsentabel, sondern justiziabel.

Als besonders geschickt hat sich bei ihrer Vertuschung der Individualität die Idee erwiesen, erst einmal das Schriftbild zu kollektivieren. In der humorwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft aus Aschaffenburg übernahm etliche Jahre lang ausschließlich Achim Greser die Aufgabe des Letterns, also der Schriftgestaltung. Eine der größten deutschen Spruchdummheiten ist die Behauptung, daß ein Bild mehr als tausend Worte sagte. Schon dieser Satz sagt doch mehr als tausend Bilder über die festgefahrene Rezeption von Karikatur, Cartoon und Comic, und weil das so ist, werde ich mich, wie Sie mittlerweile gemerkt haben werden, in meiner Laudatio allein aufs Wort beschränken, übrigens auf, wie ich durch die Segnungen moderner Datenerfassung feststellen konnte, exakt 3.099 Wörter, weshalb der von mir jetzt einmal postulierte Umkehrschluss, daß ein Wort mehr als tausend Bilder sagt, zu dem beeindruckenden Äquivalent von mehr als drei Millionen Bildern führt, die ich hier in den mir zur Verfügung stehenden zwanzig Minuten einfach mal so wegrede. Derart viele Motive hat nicht einmal die über nunmehr bald dreißig Jahre lang doppelköpfig ausgeführte Bildproduktion der Herren Greser & Lenz zu bieten.

Greser also ließ die Bilder sprechen, indem er sie mit Text versah, und da unsere Aufmerksamkeit mehr als wir denken der Schrift gilt als der Konturlinie, wurde dadurch die Illusion erzeugt, hier stammte alles aus einer Hand. Mittlerweile hat Lenz sich die Charakteristika der Typographie seines Kollegen allerdings so perfekt angeeignet, dass die Austauschbarkeit gewährleistet ist und auch ständig betrieben wird. Es ist nämlich nicht so, daß beide Künstler gemeinsam vor dem Zeichentisch säßen und der eine von links zur Mitte hin das Blatt füllte, während der andere sich von rechts her der Vollendung näherte. Das die modernen Produktionsprozesse kennzeichnende Prinzip der Arbeitsteilung kommt im Atelier von Greser & Lenz, das weitgehend noch die Bezeichnung „Manufaktur“ verdient, deshalb zu seinem Recht, weil das, was später unter dem gemeinsamen Namen publiziert werden soll, zwar zusammen erdacht, aber getrennt gemacht wird. Wir haben es bei den beiden Zeichnern also mit umgekehrten siamesischen Zwillingen zu tun. Stellen Sie sich einfach vor – weil es ihnen hier ja nicht von Greser & Lenz vorgezeichnet werden kann –, daß da nicht zwei Köpfe auf einem Körper sitzen, sondern vier Hände das ausführen, was ein gemeinsames Haupt ersinnt. Nennen wir diese Laune der Natur einen unterfränkischen Zwilling.

Der ist trotz dem ominösen Dreiklang aus Tusche, Tausch und Täuschung ein Glücksfall für die komische Kunst, weil die Geistesblitze aus diesem gemeinsamen Kopf direkt in die überzähligen Gliedmaßen fahren und deshalb doppelte Produktion gestatten. Wobei man statt von Geistes- lieber von Dreistesblitzen sprechen sollte, weil ein Charakteristikum der Arbeit von Greser & Lenz ihr Wagemut vor Fürstenthronen ist. Der erweist sich nicht dadurch, daß sie nach alter Karikaturistentradition den Mächtigen ins Gesicht sähen und danach dann Züge herauspräparierten, die durch Übersteigerung zu grotesken und somit komischen Darstellungen würden, sondern unser Duo hört ihnen lieber zu: Die Verzerrung als Charakteristikum der Karikatur ist bei Greser & Lenz eine inhaltliche statt äußerliche. Und noch lieber als Politikern schauen sie dem Volk aufs Maul und dokumentieren dann, was es über die Mächtigen denkt. Das resultiert in weitaus groteskeren Darstellungen, als sie jede klassische Karikatur bieten könnte. Beispiele gefällig? Da ist etwa das Treffen der mittelalten – das Lieblingsalter der Protagonisten von Greser & Lenz – Mitglieder eines Fanclubs des FC Bayern München – nicht der Lieblingsverein von Greser & Lenz – in einer holzgetäfelten Kneipe – dem Lieblingsdekor der Karikaturen von Greser & Lenz –, als nach dem Münchner Triple-Sieg von 2012 der bajuwarische Machtrausch seinen Gipfel erreicht hat: „Ich bin dafür“, proklamiert ein Lederhosenträger, „daß der FC Bayern zur Bundestagswahl antritt und Kanzler Beckenbauer die dreckerten Klingonen dann zu einer Entscheidungsschlacht um die Erde herausfordert!“ Oder die lautstarke Antwort einer schon in alkoholseliger Auflösung befindlichen Karnevalsgesellschaft in Mainz, die auf die Frage des Elferratsvorsitzenden „Drauße stehn zwa islamische Asylante. Wolle mer se reilasse?“ im Chor antworten: „Ach nee!!“

So pflegen Greser & Lenz zu karikieren: bitterböse und volksnahe, womit sie eine neue Kategorie ihrer Kunstsparte geschaffen haben, denn das Zerrbild einer Nation hatte es zuvor nur als Allegorie gegeben: den deutschen Michel, die französische Marianne, den britischen John Bull, den amerikanischen Uncle Sam. Die haben bei Greser & Lenz ausgedient, denn Mittel des Spotts unserer Preisträger sind nicht abstrakte Konstrukte, sondern konkrete Destruktion. Wenn Parolen von Pegida aus den Zeichnungen widerhallen, dann sieht man dazu die Gesichter der Leute, die sie skandieren, und ob es hässliche Fratzen sind oder gelangweilte Mienen, das macht dann erst die Aussage der Karikatur aus. Übrigens auch bei Alt-Ökos und Jung-Nazis, bei Ehemännern und  Ehefrauen, Kindern und Massenmördern. Die Unterschiede sind niemals groß, und ein Präsident Putin, der vor anderthalb Monaten auf einem Blatt von Greser & Lenz mit dem Titel „Russland hat gewählt“ in staatstragender Haltung verkündet: „Rechts und links von mir darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“, steht nicht nur durch die Anspielung auf einen berühmten Satz von Franz-Josef Strauß nach der bayerischen Landtagswahl von 1986 stellvertretend für einen weltweit gültigen Typus. Niemand aber kann sich bei Greser & Lenz hinter allgemeingültigen Symbolen verstecken, auf ihren Blättern ist ein Mob ein Mob, ein Altachtundsechziger ein Altachtundsechziger und Putin eben Putin. Doch gerade weil dabei so genau hingeschaut und hingehört wird, bekommen die übersteigerten Momentaufnahmen so viel mehr Wahrheit als sonst selbst in Karikaturen üblich. Und mehr Wortwitz. Was sagt etwa der Nazi im ostdeutschen ländlichen Raum, der gerade von seiner Freundin verlassen wird? „Du kannst nicht gehen! Das hier ist eine No-Go-Area.“

Aber dies hier ist eine Preisverleihung der deutschen Anwaltschaft, und das Recht ist eine ernste Sache. Wie steht es also auf den Bildern von Greser & Lenz um jenes gesellschaftliche Feld, auf dem Sie, geschätzte Zuhörer, ganz überwiegend tätig sind, Erlöse erzielen und dadurch Kammerbeiträge an die BRaK zahlen können, die diese Auszeichnung erst ermöglichen? Wie zeigen Greser & Lenz die Justiz? Zunächst einmal sei konstatiert: höchst selten, und einen Anwalt gar habe ich nur auf zwei der mir bekannten Zeichnungen ausmachen können. Einmal tritt einer im Gerichtssaal auf, als schweigender Begleiter des Angeklagten. Die Anwaltsphysiognomie, geschweige denn seine Haltung ist keine kämpferische oder gar auftrumpfende; mit der Daumierschen Karikaturentradition der Justizdarstellungen hat dieser Greser & Lenzsche Anwalt nichts zu tun, er ist ein braves Männlein. Wollen Sie sich darin wiedererkannt wissen? Gewiß nicht. Im inhaltlichen Mittelpunkt der Zeichnung steht denn auch, obwohl er am rechten Rand sitzt (und solche Details sind bei Greser & Lenz nie zufällig), der Richter. Und der geometrische Mittelpunkt der Komposition wird von einer Gruppe eingenommen, die es in deutschen Gerichtssälen gar nicht gibt: zwölf Geschworenen. Warum diese Verfremdung, ja Überfremdung des deutschen Rechtssystems? Nun, die Jury steht bei Greser & Lenz nicht nur für das Hollywood-Justizklischee, das längst auch hierzulande mehr Gültigkeit für sich beanspruchen kann als Sachkenntnis, sondern auch für die Allgemeinheit, der alle Mühen der Justiz gelten. Daß es besonders komisch ist, wenn zur Finanzierung der Justiz eine Richter-Kollekte (mit Top-Zuschlag wegen Mordfalls) bei den zur Neutralität verpflichteten Geschworenen durchgeführt wird, rechtfertigt die Einführung einer Jury ins deutsche Rechtssystem, wie Greser & Lenz es imaginieren, außerdem. Nehmen Sie als Anwälte es also eher als Kompliment für Ihren Berufsstand, wenn er auf dieser Zeichnung von zwei derart geist- und dreistvollen Zeichnern nur am Rande vorkommt. Und der Klingelbeutel für die Richter-Kollekte wird schon nicht an Ihrem gezeichneten Kollegen vorübergehen. Vermutlich nicht einmal am Angeklagten. Iudex non debitat.

Mit Richtern gehen Greser & Lenz nicht glimpflich, aber zärtlich ins Gericht. Berühmt ist ihre Zeichnung einer Gerichtsszene, auf der der Angeklagte gerade mit der Lesung aus einem voluminösen Band beginnt: „Herr Richter, darf ich Ihnen zu dieser Frage aus meinem gerade erschienenen Buch ‚Der Einbruch’ eine Passage zu Gehör bringen? Das Exemplar ist Ihnen und Ihrer verehrten Frau Gattin gewidmet.“ Und dem Haupt des verträumten Richters entsteigt dazu eine Denkblase mit dem Wort „Bezaubernd“. Mehr ist da nicht, vor allem kein Verteidiger und kein Staatsanwalt. Die fehlen auch in zwei Gerichtssaal-Witzblättern der Jahre 2015 und 2002, wobei das bei dem jüngeren nicht verwunderlich ist, denn darauf ist Beate Zschäpe  zu sehen, mit der es ja kein Anwalt auf Dauer aushält. Greser & Lenz dokumentieren auf der Zeichnung ihre ersten Worte vor Gericht: „Mama, Papa, Adolf“. Auf dem älteren Blatt ist dagegen ein weitaus sprachgewandterer Krimineller vor der Richterbank zu sehen, der die eigene Verteidigung übernimmt: „Mord ist Sport, Herr Richter“ – was dem Angesprochenen sichtlich zu denken gibt. Vielleicht hat das dazu geführt, daß anläßlich der von Greser und Lenz 2007 ausgerufenen „Rabattwochen in Deutschland“  ein Vorsitzender Richter das Strafmaß wie folgt verkündet: „Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Sie bekommen keine sieben, keine vier, nein, Sie bekommen sage und schreibe nur zwei Jahre und fünf Monate.“ Hier ist übrigens auch wieder einmal ein Anwalt mit im Bild – frohlockend. Es handelt sich um jenen zweiten von mir im Greser-&-Lenz-Werk entdeckten, der vorhin schon Erwähnung fand.

Dass die Gerichtsverhandlung nur äußerst selten als Bildinspiration für unsere beiden Karikaturisten taugt, darf man als Verbeugung vor der Unaufgeregtheit der deutschen Justiz verstehen. Oder als aus Satiresicht vernichtendes Urteil über deren Repräsentation in der öffentlichen Wahrnehmung: Es gibt einfach keine ordentlichen Klischees, die man mit Richtern oder Anwälten in Zusammenhang bringen könnte. Am Frankfurter Wasserbüdchen, einem bevorzugten Handlungsort der Cartoons von Greser & Lenz, werden einfach markantere Urteile getroffen als im Gerichtssaal. Einen Notar habe ich aber wenigstens gefunden, allerdings keinen deutschen, sondern einen palästinensischen, der den Nachkommen von Yassir Arafat dessen Testament eröffnet: „Meine Frau, mein Nobelpreis und mein gesamtes Vermögen gehen an den Jerusalemer Zoo.“

Sie merken, ich muß bis in die Grenzbereiche unseres Justizverständnisses vorstoßen, um die Verleihung des Karikaturenpreises der deutschen Anwaltschaft an Greser & Lenz zu legitimieren. Könnte ich die Witze über Selbstjustiz mit einbeziehen, wäre die Auswahl deutlich zahlreicher, vom erfolglosen Absolventen der Usama-bin-Laden-Gesamtschule, der beim Selbstmörderabitur durchgefallen ist und mit dem Vorsatz „Ich bring mich um“ die Ausbildungsstätte verlässt, bis zur burkatragenden Al-Qaida-Kämpferin, die auf die Frage, was sie denn nach einem erfolgreichen Attentat im Paradies erwarte, schenkelklopfend antwortet: „Siebzig Knackärsche mit Dauerständern“. Aber auch der selbstgerechte deutsche Autofahrer wird ins Bild gesetzt, wenn er einen Schutzmann bei der Unfallaufnahme zornig bescheidet: „In diesen politisch heiklen Zeiten darf doch nicht mehr rechts vor links gelten!“

Sie merken schon: Diesen beiden Zeichnern ist nichts heilig, erst recht kein Rechtsgrundsatz. Dabei gestalten sie neben ihren Witzzeichnungen für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ mittlerweile schon seit acht Jahren alle vierzehn Tage für deren Politikteil auch die Illustrationen auf der Seite „Staat und Recht“. Haben wir damit nun endlich einen zwingenden Grund für unsere Auszeichnung gefunden? Mitnichten. Denn gerade dort lassen Greser & Lenz einer privaten Leidenschaft ihren Lauf und zeichnen ausnahmslos Tiere. Nicht einmal anthropomorphisiert, sondern als Fauna, wie Gott sie schuf, oder als Fama, wie die Fabel sie vorstellt. Das bedeutet, daß diese Tiere in Rollen gezeigt werden, die unseren Erwartungen an sie zwar entsprechen: Fressen und Gefressenwerden ist das Leitmotiv. Doch die Rollenverteilung ist eine unerwartete, wenn etwa ein Geier einem toten Löwen das Auge aushackt, ein Reiher sich den Fisch schnappen will, der gerade im Maul des Hais zu verschwinden droht, oder – eines der grandiosesten Beispiele – ein Kuckucksküken mit Wurm im Schnabel am Rand des Nestes sitzt, in dem ein riesiger Raubvogel um Futter bettelt. Die Mischung aus exakter Beobachtung und suggestiver Allegorie, die Greser & Lenz für die Rubrik „Staat und Recht“ gefunden haben, ist einmalig. Aber diese Bilder ziehen ihre Inspiration nur zum kleineren Teil aus der zivilen Gesetzgebung. Ihr Gegenstand ist zuvorderst das harte Naturgesetz. Es erweist sich als Fratze unseres Rechtsverständnisses.

Gesichtszeichner also werden Greser & Lenz gewiß nicht mehr, aber wie wäre es mit Gerichtszeichnern? Immerhin kommt diese Profession in ihrem Werk sogar einmal vor: in der Person von Piet Mondrian, dem unsere Preisträger einen kurzen Ausflug ins Justizwesen andichten. Da steht der Maler – ohne jede Porträtähnlichkeit gezeichnet, aber durch seine Baskenmütze als Künstler und durch die Holzschuhe als Holländer karikiert – vor dem Schreibtisch seines Chefredakteurs und hält diesem eine konstruktivistische Komposition aus lauter mondriantypischen Linien und Farbflächen entgegen, von denen zwei recht vage wie vergitterte Zellenblöcke aussehen. „Piet Mondrians Karriere als Gerichtszeichner währte nur kurz“ lautet der Titel dieser Zeichnung, und sie findet thematisch ein Pendant in einem anderen Blatt, das als „Beruf ohne Zukunft“ den Gerichtsbildhauer vorstellt. Ein wiederum baskenbemützter Herr im weißen Kittel meißelt im Gerichtssaal die Skulptur eines reuigen Angeklagten aus einem übergroßen Marmorblock, und man kann sich lebhaft vorstellen, wie lange das reale Vorbild dafür schon betretene Miene zum juristischen Spiel hat machen müssen.

Aber warum sollten erfolgreiche Pressezeichner wie Greser & Lenz auch Gerichtszeichner werden wollen? Nun, vielleicht aus Frustration über den Siegeszug der politischen Korrektheit, der den Karikaturisten ihren Beruf nicht leichter macht und auch in den Redaktionen Einzug gehalten hat. Noch im März dieses Jahres hatte ich bei unseren heutigen Preisträgern eine Zeichnung zum Thema Bestseller-Rezept bestellt und einen Vorschlag erhalten, der etliche Tabus auf einmal brach, indem er einen Verleger zeigte, der seinem Autor einen höchst expliziten Themenvorschlag für dessen nächstes Buch unterbreitet: „Schreiben Sie doch mal über einen behinderten, schwulen Neger, der vom Voodooglauben zum Judentum konvertiert ist und jetzt neben einem florierenden Frauenhandel eine erfolgreiche Zinswucherbank betreibt. Das verkauft sich wie geschnitten Brot.“ Mit dieser Idee gingen Greser & Lenz an die Grenze, aber dort muß Karikatur auch hin. Alle zuständigen Stellen bei uns im Feuilleton sahen das genauso und stimmten dem Abdruck zu, bis eine davon schließlich doch kalte Füße bekam und das Bild kurz vor Drucklegung aus dem Blatt entfernen ließ. Erbost schrieben Greser & Lenz daraufhin: „Was ist los bei Euch? Hilft vielleicht eine innerbetriebliche Fortbildungsmaßnahme über Wesen, Wollen und Wirken von Witz, Satire und Karikatur? Ein Witz ist ein Witz ist ein Witz. Es liegt in seiner Natur, dass er Grenzen verletzt und anstößig sein darf; das ist sogar seine Aufgabe in der Arena der medialen Debatten. Unser Hausmotto lautet: Jeder Krieg hat seine Opfer, das Gleiche gilt für den guten Witz. Was soll denn von unserem Genre noch übrig bleiben, wenn wir vorauseilend gehorchen und allen partikularinteressierten Forderungen folgen, die Rücksichtnahme und Korrektheit im Umgang mit ihren Welterlösungsformeln fordern? Häschenwitze? Hattu Feuilleton delesen – muttu weinen? Wir wittern publizistische Hosenscheißerei, die Esprit, Debattenlust und das Niveau untergräbt und damit der Verblödung Vorschub leistet. Da gibt es nichts mehr zu lachen.“

Das nenne ich ein Plädoyer! Und so dürfte Ihnen nun doch zuguterletzt klar geworden sein, womit sich Greser & Lenz diesen Preis verdient haben: als Anwälte ihrer eigenen Karikaturen und damit auch der ganzen Kunstform als Gradmesser der Aufklärung. Es sind Kollegen, denen Sie Ihre Auszeichnung verleihen. „Pro bonum, contra malum“ lautete das Motto der längst verblichenen Nonsensbeilage „Welt im Spiegel“ in der Satirezeitschrift „Pardon“, mit der die Greser-&-Lenz-Vorbilder Robert Gernhardt, F.K. Waechter und FW Bernstein sich ihren Ruf erschrieben und erzeichneten. Wer das Wahre und Gute gegen das Falsche und Böse verteidigen will, der kann nicht immer auch noch das Schöne bieten. Das wird zu wenig verstanden in unserem Land. Schön aber ist, daß heute hier das honoriert wird, was vielen Leuten als häßlich gilt und darum höchst umstritten ist. Aber eben in Wahrheit gut.