Strafprozessrecht

Auf Zeugnisverweigerungsrecht kann man nicht zum Teil verzichten

Laut BGH ist es zwar möglich, das Zeugnis später zu verweigern, aber frühere Aussagen zuzulassen. Aber wenn, dann nur alle – oder keine.

16.01.2024Rechtsprechung

Gestattet eine Zeugin trotz Ausübung ihres Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) die Verwertung früherer Aussagen, so kann sie dies nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Ein Teilverzicht führe vielmehr dazu, dass sämtliche früheren Angaben - mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht - unverwertbar seien, so der Bundesgerichtshof (BGH, Beschl. v. 18.10.2023, Az. 1 StR 222/23).

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Vergewaltigung seiner Schwester in fünf Fällen, gefährlicher Körperverletzung in zehn Fällen sowie "vorsätzlicher" Körperverletzung in 40 Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Schwester, die als Nebenklägerin auftrat, sagte zunächst vor der Polizei, einer aussagepsychologischen Sachverständigen und vor dem Ermittlungsrichter aus. Doch noch vor der Hauptverhandlung erklärte sie, künftig von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Sie gestattete jedoch, dass ihre Angaben bei der aussagepsychologischen Sachverständigen verwertet werden dürften – nicht jedoch die bei der Polizei. Dementsprechend wurden alle Aussagen bis auf die bei der Polizei im Urteil berücksichtigt. Dagegen ging der Angeklagte in Revision und rügte eine Verletzung von § 252 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO.

BGH: Ganz oder gar nicht

Der BGH gab ihm Recht. Anders als die Aussage der Nebenklägerin vor dem Ermittlungsrichter hätte ihre Aussage vor der Sachverständigen nicht berücksichtigt werden dürfen. Gestatteten Zeuginnen und Zeugen trotz Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO die Verwertung früherer Aussagen, so könnten sie dies nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Ein Teilverzicht führe vielmehr dazu, dass sämtliche früheren Angaben - mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht - unverwertbar seien.

Bislang war nach ständiger Rechtsprechung des BGH schon folgendes geklärt: Eine Zeugin könne bis zur Hauptverhandlung frei entscheiden, ob ihre frühere, vielleicht voreilige oder unbedachte Aussage verwertet werden darf. Sie habe auch das Recht, in der Hauptverhandlung das Zeugnis zu verweigern sowie ihre frühere Entscheidung zu ändern. Berufe sie sich aber auf ihr Recht aus § 52 Abs. 1 StPO, unterlägen daher sämtliche früheren Aussagen grundsätzlich einem Beweisverwertungsverbot. Ausgenommen hiervon seien lediglich richterliche Vernehmungen nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht. Allerdings könne eine auf ihr Recht aus § 52 Abs. 1 StPO berufende Zeugin darüber hinaus auf die Sperrwirkung der Zeugnisverweigerung verzichten, sodass frühere Angaben in die Hauptverhandlung eingeführt werden könnten.

Was aber noch nicht entschieden war: Kann die Zeugin ihre Gestattung - wie vorliegend - auf einzelne Vernehmungen beschränken? Der BGH entschied nun: Nein, ein solcher Teilverzicht sei unzulässig. Denn Zeuginnen und Zeugen könnten nur in dem Rahmen über das Beweisverwertungsverbot verfügen, in dem es ihrem Schutz dient. Sie hätten hingegen kein schützenswertes Interesse daran, den Umfang der Verwertbarkeit der bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen. Daher sei insoweit im Interesse des Angeklagten und der Allgemeinheit an der Wahrheitserforschung, dem Einfluss einer Zeugin auf das Strafverfahren Grenzen zu ziehen.

Der Fall wurde an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.