BGH: Opfer auch arglos, wenn es Gefahr kurz vor Tat erkennt
Eine Verurteilung wegen Heimtücke ist möglich, wenn das Opfer zwar kurz vor der Tat nicht mehr arglos ist, dann ebr keine Abwehrmöglichkeit mehr hat.
Für eine Verurteilung wegen heimtückischen Mordes muss das Opfer zuvor arg- und deshalb wehrlos gewesen sein. Die Arglosigkeit kann jedoch auch vorliegen, wenn es erst so kurz vor dem Angriff argwöhnisch wird, dass es sich dann nicht mehr wehren kann. Mit dieser Begründung hat der BGH in einem Femizid-Fall die Verurteilung des Täters wegen Totschlags aufgehoben (Urt. v. 11.12.2024, Az. 3 StR 185/24).
Femizid nach Trennungsversuch – nur Totschlag?
Die Frau wollte sich nach mehreren gescheiterten Versuchen aus einer – ihrer Bezeichnung nach – „toxischen“ Beziehung lösen, zumal sie einen neuen Partner gefunden hatte . Allerdings ließ sie sich auf Drängen ihres Ex-Partners auf einen Besuch in dessen Wohnung ein. Dort kam es zum Streit, in dem er sie mit einem auf dem Tisch liegenden Kampfmesser bedrohte und ihr den Mund zuhielt. Sie biss ihm daraufhin in den Finger. Er tötete sie mit 98 Messerstichen in die Brust und versuchte danach, die Spuren der Tat zu beseitigen.
Das LG Oldenburg verurteilte ihn jedoch nur wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (Urt. v. 18.01.2024, Az. 5 Ks 1202 Js 43637/23 (10/23)). Zum einen, weil es weder die Mordmerkmale der Heimtücke noch der niederen Beweggründe als erfüllt ansah. Zur Heimtücke führte es aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Täter sich spontan nach dem Fingerbiss zum Einsatz des Messers entschieden habe, zu dem Zeitpunkt sei das Opfer aber nicht mehr arglos gewesen. Und zum anderen sah es eine verminderte Schuldfähigkeit, weil der Angeklagte unter einer instabilen Persönlichkeitsstörung leidet, die – wie hier geschehen - zu starken Erregungszuständen führen kann, und er zudem alkoholisiert war. Strafschärfend legte es ihm allerdings die Versuche aus, die Spuren der Tat zu verwischen.
BGH: Heimtücke muss noch einmal geprüft werden
Sowohl die Nebenklägerinnen als auch der Angeklagte legten dagegen Revision ein. Auf die Revision der Nebenklägerinnen hob der BGH das Urteil mit den dazugehörigen Feststellungen auf und verwies den Fall an eine Strafkammer des LG Osnabrück zurück.
Das Schwurgericht habe das Mordmerkmal der Heimtücke nicht korrekt geprüft. Die Begründung, nach dem Biss in den Finger des Angeklagten sei die später Getötete nicht mehr arglos gewesen, greife zu kurz. Heimtücke könne auch dann vorliegen, wenn das Opfer bei Beginn der Tat nicht mehr arglos war. Denn habe die Tat so unmittelbar nach dem Verlust der Arglosigkeit begonnen, könne die Zeitspanne zwischen dem Verlust der Arglosigkeit und dem Beginn des Angriffs zu kurz gewesen sein, um diesem noch zu begegnen. Die Möglichkeit von Abwehrversuchen im letzten Moment stehe der Annahme von Heimtücke nicht entgegen. Für den aktuellen Fall stellt der BGH fest: Selbst wenn die Frau zum Zeitpunkt des Bisses Argwohn gebildet hätte, so hätte sie wegen der direkt im Anschluss ausgeführten Tat keine Abwehrmaßnahmen mehr ergreifen können – sie sei also arglos gewesen.
Das LG muss nun allerdings prüfen, ob der Angeklagte auch in dem Bewusstsein handelte, dies auszunutzen. Für die diesbezügliche neue Beweiswürdigung gibt der BGH dem LG den Hinweis mit auf den Weg, dass der Angeklagte seine Ex-Freundin dazu gedrängt hatte, in seine Wohnung zu kommen und dort griffbereit auf dem Schreibtisch ein Kampfmesser gelegen habe. Das Gericht habe sich aber nur auf die Einlassung des Angeklagten gestützt, obwohl hier objektive Beweisanzeichen vorhanden seien, die gegen deren Wahrheitsgehalt sprechen würden.
Auch die Revision des Angeklagten hatte allerdings im Hinblick auf den Strafausspruch Erfolg: So hätte das LG bei der Strafzumessung nicht berücksichtigen dürfen, dass er später versucht hatte, seine Spuren zu beseitigen. Wegen des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit sei dies kein zulässiger Strafschärfungsgrund.