Folgen des Brexit

Britischer Solicitor darf nicht mehr in deutschem Recht beraten

Ein in Deutschland tätiger Solicitor verlor nach dem Brexit seine Zulassung als europäischer Rechtsanwalt – zu Recht, so der AGH Hamburg.

05.09.2023Rechtsprechung

Ein britischer Solicitor verliert nach dem Brexit seine Kammermitgliedschaft als „europäischer Rechtsanwalt“. Nun darf er nicht mehr im deutschen und EU-Recht beraten, so der Anwaltsgerichtshof (AGH) Hamburg. Diese Rechtsfolge ergebe sich zwingend aus § 4 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG), worin steht: „Die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer ist … zu widerrufen, wenn … die Person aus sonstigen Gründen den Status eines europäischen Rechtsanwalts verliert.“ Ende 2020 wurden britische Solicitors aus der Liste der Berufe (Anlage zu § 1 EuRAG) gestrichen, für die eine solche Zulassung möglich ist. Auch im konkreten Einzelfall verletze die konsequente Anwendung dieser Vorschrift nicht das Berufsgrundrecht des Solicitors aus Art. 12 Grundgesetz (GG) (Urt. v. 16.01.2023, Az. I ZU 12/2021).

Solicitor befürchtet das Ende seiner beruflichen Existenz

Der in Hamburg tätige deutsche und britische Staatsbürger hatte seine Mandanten bereits etwa 20 Jahre sowohl im britischen als auch im deutschen und EU-Recht beraten. Fälle mit Bezug zu beiden Rechtsordnungen bzw. allein zu deutschem Recht machten bis zum Widerruf ca. 99,5% seines bisherigen Umsatzes aus. Doch infolge des Brexits und des daraufhin geänderten Rechts widerrief die Rechtsanwaltskammer Hamburg seine Zulassung als europäischer Rechtsanwalt im Januar 2021. Infolgedessen verlor er auch die Kammerzugehörigkeit. Die alternative Möglichkeit, weiter als „WHO-Rechtsanwalt“ nach §§ 206 ff. Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zugelassen zu werden, würde ihm nur die Rechtsberatung im britischen- und Völkerrecht erlauben, nicht aber die im deutschen und europäischen Recht.

Er sah daher seine berufliche Existenz gefährdet und klagte gegen den Widerruf. § 4 Abs. 2 S. 1 EuRAG fordere keine gebundene Entscheidung, es handele sich nur um eine Regelrechtsfolge. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, wonach der Widerruf nur „grundsätzlich“ angezeigt wäre. Hier sei aber ein atypischer Ausnahmefall gegeben. Zudem hätte die Kammer auch bei einer gebundenen Entscheidung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen müssen. Schließlich liege hier ein nicht gerechtfertigter Eingriff u.a. in Art. 12 Abs. 1 GG vor.

Wortlaut ist eindeutig – die Kammer hatte keine Wahl

Der AGH Hamburg sah jedoch keines der vorgetragenen Argumente als ausreichend an – und wies die Klage ab. Der Tatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG sei erfüllt und in der Rechtsfolge handele es sich dem Wortlaut nach („ist … zu widerrufen“) tatsächlich um eine gebundene Entscheidung. Der Gesetzesbegründung sei in der Gesamtschau nichts Gegenteiliges zu entnehmen, sie wiederhole stattdessen den Wortlaut des Gesetzes.

Auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ergebe sich nichts Anderes. Dabei könne offenbleiben, ob eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei einer gebundenen Entscheidung dogmatisch überhaupt möglich sei. Jedenfalls würde sie hier zu Lasten des Klägers ausgehen. Der Widerruf diene dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Er sei auch angemessen.

Die Situation des klagenden Solicitors sei zunächst kein atypischer Einzelfall bzw. stelle keine besondere Härte für ihn dar. Eine Zulassung als europäischer Rechtsanwalt komme grundsätzlich nur bei einer Niederlassung in Deutschland in Betracht, seine Situation sei also der Regelfall. Auch seine deutsche Staatsbürgerschaft ändere nichts – schließlich seien auch Personen mit britischer Staatsbürgerschaft gleichermaßen betroffen.

Solicitor hätte sich früher kümmern müssen

Auch liege kein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 12 GG vor. Hier blieb offen, ob der Widerruf eine bloße Berufsausübungsregel oder eine subjektive Berufswahlregel darstellt. Denn auch im letzteren Fall überwögen das besonders wichtige Gemeinschaftsgut, der Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege den Interessen des Solicitors.

Zwar sah auch der AGH, dass es sich hier um einen intensiven Eingriff handele. Allerdings könne er sich gem. § 206 ff. BRAO als „WHO-Rechtsanwalt“ zulassen und weiterhin im englischen- und Völkerrecht beraten. Somit könne er weiterhin in der Kanzlei tätig sein, seine Kollegen mit deutscher Zulassung müssten dann die Beratung im deutschen und EU-Recht übernehmen. In der Kanzlei sei ja schon zuvor ohnehin im Team gearbeitet worden, eine entsprechende Umorganisation sei also möglich.

Zu seinen Lasten berücksichtigte der AGH auch, dass es dem Rechtsberater möglich gewesen wäre, vor dem 1. Januar 2021 eine Eingliederung in die deutsche Rechtsanwaltschaft gemäß §§ 11 ff. EuRAG zu beantragen bzw. einen Antrag nach §§ 16 ff. EuRAG auf Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation zu stellen. Das wäre in der Übergangszeit zwischen 2020 und 2021 kein Problem gewesen. Dass ein solcher Antrag wahrscheinlich notwendig werden würde, sei schon früh absehbar gewesen, auch wenn das entsprechende Gesetz erst eine Woche vor Jahresende in Kraft getreten war. Denn bereits im April 2020 sei ein entsprechender Regierungsentwurf veröffentlicht worden. Wenn der Kläger sich schon im deutschen Recht auskenne, hätte er diesen Gesetzgebungsprozess, der ihn maßgeblich betraf, auch verfolgen müssen. Er habe auch nicht berechtigterweise auf einen „Soft Brexit“ vertrauen dürfen.

Das Ziel des Ende 2020 neu geschaffenen § 4 EuRAG Regelung sei der Schutz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege vor Rechtsberatung durch Personen ohne deutsche Examina. Zu der Privilegierung für EU-Bürgerinnen und -Bürger sei Deutschland verpflichtet gewesen. Nach dem Brexit gelte dies aber nicht mehr für Personen mit lediglich britischer Ausbildung. Individuelle Kenntnisse seien nicht zu berücksichtigen. Außerdem bestehe eine weitere Gefahr für die Rechtspflege dadurch, dass deutsche und britische Kammern nun z.B. bei Berufsrechtsverstößen nur noch erschwert zusammenarbeiten könnten.

Eine Chance verbleibt

Die Berufung hat der AGH zwar nicht zugelassen. Eine mögliche Chance hat der Solicitor aber noch: Er hat bereits einen Antrag auf Eingliederung gemäß §§ 11 f. EuRAG beantragt. Hierzu muss er dem Wortlaut nach nur nachweisen, dass er mindestens drei Jahre effektiv und regelmäßig als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland auf dem Gebiet des deutschen Rechts, einschließlich des Gemeinschaftsrechts tätig war. Das dürfte kein Problem für ihn sein. Unklar ist aber, ob die Stellung eines entsprechenden Antrags auch noch nach dem Ablauf des Übergangszeitraums für den Brexit möglich ist. Darüber wird die Hamburger Kammer nun erneut zu entscheiden haben.