Notwendige Verteidigung

Angreifer können sich bei Gegenangriff auf Nothilfe berufen

Auch Angreifer können - nach Beendigung ihres Angriffs - zum Opfer eines Gegenangriffs werden und rechtmäßig verteidigt werden, so der BGH.

11.12.2024Rechtsprechung

Der BGH hat klargestellt, dass Nothilfe zugunsten eines früheren Angreifers möglich ist, sofern sein Angriff beendet ist und ihm – nunmehr als Opfer - im konkreten Zeitpunkt der Nothilfe kein anderer Ausweg bleibt, um sich vor dem Gegenangriff zu retten (Beschl. v. 09.09.2024, Az. 2 StR 211/24).

Zunächst hatten sich ein Mann und sein Cousin mit einer Waffe und einem Pfefferspray auf dem Weg zu einer Familie gemacht, um diese einzuschüchtern. Hintergrund war ein Angriff dieser Familie am Vortag, für den sie sich rächen wollten. Der Plan ging jedoch nicht auf: Weder Drohungen noch die Präsentation der Waffe flößten der Familie – deren Mitglieder bei der Konfrontation in der Überzahl waren – den erwarteten Respekt ein. Während der Cousin sich versteckte, feuerte der andere sein Magazin leer und traf zwei Familienmitglieder am Bein. Dennoch griffen die Familienmitglieder weiter an, zogen ihn über die Straße und traten und schlugen auf ihn ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte der frühere Angreifer keine Verteidigungsmöglichkeit mehr. Er bat die nunmehrigen Angreifer daher, aufzuhören. Dies taten die meisten von ihnen jedoch nicht. In dieser Situation trat nun sein Cousin aus seinem Versteck, setzte das Pfefferspray ein und beiden gelang die Flucht.

Das LG verurteilte nun den Cousin, der das Pfefferspray eingesetzt hatte, wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung mit einem Verbrechen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung. Es ging davon aus, dass keine Nothilfesituation vorgelegen habe, er mithin nicht gerechtfertigt gehandelt habe. Vielmehr hätten beide noch vor dem Einsatz der Schusswaffe flüchten können. Dies sei ihnen aufgrund ihrer eigenen vorangegangenen Drohung zumutbar gewesen.

Angreifer wird zum Angegriffenen: Nothilfe wieder möglich

Der BGH hat die Verurteilung des Cousins nun jedoch aufgehoben und den Fall an eine allgemeine Strafkammer des LG zurückverwiesen. Dieses muss nun anhand der Vorgaben des BGH erneut prüfen, ob nicht doch eine Nothilfelage iSd § 32 StGB vorgelegen habe.

Der BGH führt aus, dass ein vorheriger Angriff das Notwehr- und Nothilferecht zwar einschränke. Wer die Notwehrlage provoziert habe, müsse unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen habe. Im konkreten Fall hieße das: Flüchten. Trutzwehr sei erst möglich, nachdem alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt sind. Auch stimmt der BGH dem LG zwar darin zu, dass beide hätten fliehen können, bevor die Schüsse fielen. Somit sei die Verurteilung des anderen Mannes wegen des Einsatzes der Schusswaffe auch unproblematisch.

Bei dem Einsatz des Pfeffersprays habe die Situation aber anders ausgesehen, weil er zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sei. In diesem könne die Situation so ausgesehen haben, dass der vormalige Angreifer selbst zum Angegriffenen geworden sei. Sein vormaliger Angriff könnte bereits beendet gewesen sein – darauf deuteten die Bitten, man möge aufhören hin; außerdem das leergeschossene Magazin. In diesem Zeitpunkt könnten die Tritte und Schläge ihrerseits daher rechtswidrige Angriffe gewesen sein, gegen die die Möglichkeit der Nothilfe wieder eröffnet gewesen wäre.

Möglicherweise sei die Nothilfe auch erforderlich und geboten gewesen – und das, obwohl die Täter den Gegenangriff provoziert hatten. In der konkreten Tatsituation habe für den nunmehr Angegriffenen keine Fluchtmöglichkeit bestanden. Der angeklagte Cousin habe sich einer Mehrzahl von Angreifern gegenüber gesehen, deren Schlagkraft ihm aufgrund der Geschehnisse vom Vortag bekannt gewesen sei. Da diese selbst auf die Bedrohung mit einer Schusswaffe nicht reagiert hatten, habe auch die Androhung des Pfeffersprays keine Aussicht auf Erfolg versprochen. Die Möglichkeit des Einsatzes milderer Mittel ließen die Urteilsgründe nicht erkennen.