OLG Celle zu Säumnis

Technische Störung bei Videoverhandlung kann passieren

Wenn eine Partei wegen technischer Störungen nicht an der Videoverhandlung teilnehmen kann, darf dies nicht sofort zu einem Versäumnisurteil führen.

10.10.2022Rechtsprechung

Kann eine Partei an einer Videoverhandlung aus ungeklärten technischen Gründen nicht teilnehmen kann, darf deswegen nicht sofort ein Versäumnisurteil folgen, so das Oberlandesgericht (OLG) Celle. Stattdessen sei die Verhandlung nach § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen. Nach dem Normzweck des § 128a Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) dürfe die Nutzung dieser Verfahrensweise nicht derart erschwert werden, dass sie für den Verfahrensbeteiligten riskanter sei als das persönliche Erscheinen im Gericht. Mit dieser Grundsatzentscheidung hat das OLG Celle die sofortige Beschwerde gegen die Versagung eines Versäumnisurteils zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde dagegen hat es aber zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Beschl. v. 15.09.2022, Az. 24 W 3/22).

Technische Störung bei der Videoverhandlung

Im Rahmen eines Klageverfahrens um einen Kaufvertrag über ein Wohnmobil hatte das Landgericht (LG) Verden einen Termin zur Beweisaufnahme und mündlichen Verhandlung bestimmt per Videoübertragung bestimmt. Die Verbindung mit den Beklagten kam jedoch an dem Tag nicht zustande. Der Kläger beantragte sofort den Erlass eines Versäumnisurteils. Das Gericht erließ stattdessen folgenden Beschluss: „Neuer Termin von Amts wegen.“

Der Beklagtenvertreter versicherte später, sich mit seinen Mandanten in den Büroräumen seiner Kanzlei getroffen zu haben, in der eine Videokonferenzanlage installiert sei. Dennoch sei es ihm trotz mehrfachen Versuchen aus ungeklärten Gründen nicht möglich gewesen, eine Verbindung zum Gericht herzustellen. Er habe auch mit dem zuständigen Einzelrichter telefoniert, der ihm einen neuen Einwahllink übersandt habe. Auch darüber sei eine Einwahl nicht möglich gewesen.

Daraufhin wies das LG den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils zurück (Beschl. v. 12.04.2022, Az. 2 O 78/21). Die Beklagten seien im Videotermin nicht schuldhaft säumig gewesen. Sie hätten durch Versicherung an Eides statt glaubhaft machen können, ausreichend auf den Videotermin vorbereitet gewesen zu sein. Es habe nicht erwartet werden können, dass die Beklagten oder ihr Vertreter das aufgetretene technische Problem innerhalb kürzester Zeit hätten lösen können.

Gegen die Vertagung und die Zurückweisung des Antrags auf Erlass des Versäumnisurteils richtete sich die sofortige Beschwerde des Klägers. Er machte geltend, die Beklagten hätten einen Fall schuldloser Säumnis nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Ihr Prozessbevollmächtigter habe sich mit dem für die Videokonferenz genutzten Programm, das er erstmalig verwendet habe, nicht hinreichend vertraut gemacht. Auch sei nicht klar, welches konkrete technische Problem aufgetreten sei. Schließlich hätten sie sich auch über ein Mobiltelefon einwählen können.

OLG Celle: Anforderungen dürfen nicht überspannt werden

Das OLG wies die sofortige Beschwerde nun jedoch als unbegründet zurück und schloss sich der Ansicht der Vorinstanz an. Das LG habe zutreffend angenommen, dass die Beklagten und ihr Prozessbevollmächtigter ohne Verschulden verhindert gewesen seien, an der Videoverhandlung teilzunehmen, so dass diese gemäß § 337 Satz 1 ZPO zu vertagen gewesen sei. Danach vertagt das Gericht die Verhandlung über den Antrag auf Erlass des Versäumnisurteils von Amts wegen, wenn es der Ansicht ist, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist.

Bei der Frage nach dem Verschulden gebiete es der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, die Sorgfaltsanforderungen nicht zu überspannen. Eröffne das Gericht die Nutzung der Videoverhandlung, so dürften die aus den damit einhergehenden besonderen technischen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden.

Das mangelnde Verschulden ergebe sich auch aus dem Normzweck des § 128a Abs. 1 ZPO. Die Neueinführung der Videoverhandlung habe zum Ziel gehabt, Verfahren effektiver und prozessökonomischer zu gestalten. Dass Gerichte und Verfahrensbeteiligte von dieser Möglichkeit in der Praxis Gebrauch machen, sei im Interesse der Ersparnis von Zeit und Kosten wünschenswert. Im Sinne der Akzeptanz dieser Verfahrensweise dürfe daher ihre Nutzung nicht derart erschwert werden, dass sie für die Verfahrensbeteiligten riskanter sei als das persönliche Erscheinen im Gericht.

Vorbehaltlich der im Rahmen des § 337 Satz 1 ZPO vorzunehmenden Würdigung des Einzelfalls sei eine Partei daher regelmäßig ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert, wenn sie trotz Beobachtung der als erforderlich anzusehenden Sorgfalt auf Grund nicht mehr aufklärbarer technischer Umstände nicht an der Verhandlung teilnehmen könne.

OLG Celle über grundlegende Fragen zur Videoverhandlung

Zwar möge es zur erforderlichen Sorgfalt eines Rechtsanwalts gehören, eine vom Gericht angebotene Testmöglichkeit wahrzunehmen und im Vorfeld erteilte technische Hinweise des Gerichts zu berücksichtigen. Das LG habe vorliegend aber weder eine Testmöglichkeit angeboten noch Hinweise erteilt. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe sich daher darauf verlassen dürfen, dass eine Bild- und Tonübertragung mit dem ihm vom Gericht zur Verfügung gestellten Einwahllink zustande kommen würde. Ob er das vom Gericht verwendete Videokonferenzprogramm zu ersten Mal nutzte, sei unerheblich, weil besondere technische Kenntnisse zur Teilnahme an der Verhandlung vermittels Videokonferenztechnik nicht gefordert werden könnten.

Auch das Einwählen über ein Mobiltelefon sei nicht zumutbar gewesen. Selbst wenn dies technisch möglich gewesen wäre, hätte eine solche Verbindung den Anforderungen des § 128a Abs. 1 ZPO nicht genügt. Denn die Videokonferenz müsse der Situation einer Verhandlung unter Anwesenden hinreichend nahekommen und das rechtliche Gehör aller Beteiligten sowie die Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Verhandlung wahren. Dafür sei es erforderlich, dass jeder Beteiligte zeitgleich alle anderen Beteiligten wie bei persönlicher Anwesenheit visuell und akustisch wahrnehmen könne. Dies wäre bei Verwendung der nur vergleichsweise kleinen Bildschirme von Mobiltelefonen nicht möglich gewesen. Umso mehr gelte dies in einem Termin zur Beweisaufnahme mit Zeugenvernehmung, bei der es in besonderer Weise auf die Wahrnehmung von Details ankommen könne.

Die Rechtsbeschwerde dagegen hat das Gericht zur Fortbildung des Rechts zugelassen. Insbesondere zu der Frage, ob die Säumnis einer Partei unverschuldet ist, wenn die Teilnahme an der Videoverhandlung aus ungeklärten technischen Ursachen scheitert, fehle es an höchstrichterlichen Leitlinien, so das OLG Celle. Dies sei auf Grund des vermehrten Einsatzes von Videokonferenztechnik im Zivilprozess aber gerade praktisch relevant.