Warten auf Urteilsgründe

Rechtsmittel muss dennoch begründet werden

Während die Urteilsgründe noch auf sich warten ließen, legten die Unterlegenen ein Rechtsmittel ein – das hätten sie begründen müssen, so das BVerfG.

20.05.2025Rechtsprechung

Auch wenn noch keine Urteilsgründe im Eilverfahren vorliegen, ist es nicht unmöglich, eine Berufung (im Hinblick auf einen zugleich eingereichten Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung) zu begründen. Das geht aus einem Beschluss des BVerfG hervor, das die Verfassungsbeschwerde eines Journalisten und eines Verlags nicht zur Entscheidung angenommen hat. Sie hätten nicht substantiiert genug begründet, warum es für sie unzumutbar gewesen wäre, ihr Rechtsmittel auf Basis des Beschlusses und der mündlichen Verhandlung zu begründen. Verfassungsrechtliche Zweifel daran, dass das Gericht im konkreten Fall so lange mit der Begründung seiner Entscheidung wartete, äußerten die Verfassungsrichterinnen und -richter dennoch (Beschl. v. 10.04.2025, Az. 2 BvR 468/25).

Gericht lässt sich Zeit mit Urteilsbegründung

In dem zivilrechtlichen Verfahren hatte zunächst das LG mit begründetem Beschluss im Wege einer einstweiligen Verfügung eine Berichterstattung untersagt. Nach dem Widerspruch des Journalisten und Verlags fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Sach- und Rechtslage erörtert wurde. Im Urteil bestätigte das LG die einstweilige Verfügung. Dieses Urteil wies jedoch keine Entscheidungsgründe auf.

Die Unterlegenen legten sogleich Berufung – allerdings ohne Begründung - ein und beantragten die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung (§§ 719 Abs. 1, 707 ZPO). Danach kann das Gericht die Zwangsvollstreckung einstellen, wenn Berufung eingelegt wurde. Hierfür muss es jedoch die widerstreitenden Interessen gegeneinander abwägen. Maßgeblich für die Entscheidung ist dabei, ob die Berufung in einer summarischen Prüfung überhaupt Aussicht auf Erfolg hat. Das OLG wies den Antrag zurück, weil es die Erfolgsaussichten der Berufung ohne Begründung nicht im Ansatz beurteilen könne.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die unterlegene Partei eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) sowie das Recht auf prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Das Gericht habe hier die Fünfmonatsfrist für die Nachreichung der Urteilsgründe gemäß § 315 Abs. 2 Satz 3 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeschöpft. Dadurch sei es ihnen aber faktisch nicht möglich, ihr Rechtsmittel sinnvoll zu begründen, um den gesetzlich vorgesehenen Rechtsschutz effektiv und zeitnah in Anspruch zu nehmen.

BVerfG: Grundrechtsverletzung nicht substantiiert genug begründet

Das BVerfG entschied jedoch, dass die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig sei. Sie zeige nicht hinreichend substantiiert auf, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheine. Zwar gebiete es das Recht auf effektiven Rechtsschutz, dass der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer Weise erschwert werde. Dazu gehöre auch, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt würden – dabei sei die „Angemessenheit“ eine Frage des Einzelfalls.

Zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde hätten aber weder die Frist zur Berufungseinlegung noch zu deren Begründung zu laufen begonnen. Gleichwohl hätten die Unterlegenen bereits Berufung eingelegt - um die Einstellung der Zwangsvollstreckung zu beantragen.

In der konkreten Verfassungsbeschwerde werde aber nicht hinreichend deutlich, dass es dem Journalisten und Verlag in unzumutbarer Weise erschwert wäre, ihre Berufung jetzt schon (im Hinblick auf den Antrag auf Aussetzung der Zwangsvollstreckung) zu begründen. Dass ihnen die Entscheidungsgründe bislang nicht vorliegen, sei zwar ein gewichtiger Aspekt. Sie hätten aber nicht dargelegt, warum sie ihre Berufung nicht bereits unter Rückgriff auf die im Beschluss über den Erlass der einstweiligen Verfügung ausgeführten Gründe sowie die in der mündlichen Verhandlung angestellte Erörterung der Sach- und Rechtslage hätten begründen können. Die Berufungsbegründung, die dann tatsächlich für die nächste Instanz relevant ist, hätten sie dann innerhalb der laufenden Frist auch noch anpassen können, sobald die Urteilsgründe vorliegen.

Auch eine Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit sieht das BVerfG hier nicht als ausreichend genug dargelegt. Dieses gebiete, dass der Gegenseite ausreichendes Gehör geschenkt werde, damit sie auf die Entscheidung Einfluss nehmen könnte. Auch ergebe sich daraus das Recht auf eine zügige Verfahrensführung. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hätten der Journalist und der Verlag aber hinreichende Gelegenheit gehabt, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen.  

Zweifel bleiben

Dennoch äußert das BVerfG auch verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die lange Wartezeit. Möglicherweise habe das LG nicht im Blick behalten, dass es sich bei der Fünfmonatsfrist für die Nachreichung der Urteilsgründe nicht um einen gesetzlich festgelegten Zeitraum handele, sondern diese aus dem unbestimmten Rechtsbegriff „alsbald“ in § 315 Abs. 2 Satz 3 ZPO abgeleitet werde. Dies sei das Ergebnis einer Auslegung, die verschiedene Interessen berücksichtige - so auch die der unterlegenen und an einem Rechtsmittel interessierten Partei, nicht erst nach einem unzumutbar langen Zeitraum die detaillierten Gründe für ihr Unterlegen zu erfahren.

Im hier zugrundeliegenden Einzelfall bestünden - unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache, der Interessen der Beschwerdeführer und der Eilbedürftigkeit von Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz - zumindest verfassungsrechtliche Bedenken, ob ein Ausschöpfen der Fünfmonatsfrist einer entsprechenden Auslegung des Begriffs „alsbald“ noch gerecht werde.